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"Sie hat natürlich ein beachtliches Lebenswerk"

Alice Schwarzer ist ohne Frage die bekannteste Frauenrechtlerin in Deutschland. Die Frontfrau des Feminismus wird 70 Jahre alt. Historikerin Miriam Gebhardt hält Schwarzers Themen aber nicht mehr für ganz zeitgemäß. Inhaltlich habe sie sich seit den 70er-Jahren nicht mehr weiterentwickelt. Das mache es jungen Frauen heute einfach schwierig anzuschließen.

Miriam Gebhardt im Gespräch mit Jasper Barrenberg |
    Jasper Barenberg: An ihr scheiden sich wahrlich die Geister. Alice Schwarzer ist ohne Frage die bekannteste Frauenrechtlerin Deutschlands, unbestritten sind ihre Verdienste um die Gleichberechtigung. Viele schätzen die Kölner Journalistin und Herausgeberin der Zeitschrift "Emma" für ihren scharfen Verstand und für ihre scharfe Zunge. Heute wird sie 70 Jahre alt. Alice Schwarzer ist aber seit jeher auch Zielscheibe für Anfeindungen, für Häme und für Diffamierungen. "Männerhasserin" ist da nur ein hässliches Etikett von vielen. Andere beschreiben sie auch als autoritär, als besserwisserisch und machtbesessen. Gravierender vor allem beklagen sie, dass der Feminismus nach Art von Alice Schwarzer inzwischen überholt ist, dass er wichtige Themen ausspart. Das meint auch Miriam Gebhardt. "Alice im Niemandsland. Wie die deutsche Frauenbewegung die Frauen verlor" heißt das Buch, das die Historikerin in diesem Jahr veröffentlicht hat. Ich habe Miriam Gebhardt vor dieser Sendung gefragt, was sie Alice Schwarzer denn zum 70. Geburtstag wünscht.

    Miriam Gebhardt: Ich wünsche ihr einfach mehr Nachfolgerinnen, mehr Töchter und Enkelinnen im feministischen Sinne, damit ihr Lebenswerk weitergetragen wird, weil sie hat natürlich ein beachtliches Lebenswerk, aber ich fürchte im Moment ein bisschen um den Bestand dieses Lebenswerkes, und es ist dringend notwendig, dass jüngere Frauen das jetzt weiter vollenden.

    Barenberg: In Ihrem Buch lassen Sie ja die Geschichte der Frauenbewegung Revue passieren. Sie beschreiben die übermächtige Rolle, die Alice Schwarzer jedenfalls in Deutschland darin spielte und auch weiter spielt. Und Sie kommen zu dem Ergebnis, dass Alice Schwarzer dem Feminismus, der Frauenbewegung inzwischen ernsthaften Schaden zufügt. Können Sie uns das erklären?

    Gebhardt: Na ja, dadurch, dass sie ihre eigenen Positionen in den 70er-Jahren, in der Zeit des Kalten Krieges entwickelt hat und seither nicht mehr groß weitergedreht hat. Ich unterstelle, dass sie immer noch dem Patriarchatsmythos anhängt, also der Idee, dass alle Männer global alle Frauen global unterdrücken. Ich unterstelle, dass sie immer noch ein westlich aufgeklärtes Menschenbild vor Augen hat, wenn sie beispielsweise fordert, dass Musliminnen keine Kopftücher tragen sollen. Ich unterstelle, dass sie eine bestimmte normative Vorstellung von weiblicher Sexualität hat. Beispielsweise bei ihrem letzten Konflikt mit Charlotte Roche war das sichtbar. Also ich denke, dass sie in vielen Punkten sich inhaltlich nicht weiterentwickelt hat seit den 70er-Jahren, und das macht es den jungen Frauen heute einfach schwierig anzuschließen.

    Barenberg: Können Sie das noch mal ein bisschen erklären? Warum ist das Festhalten an dem, was Sie unter Feminismus und Frauenbewegung versteht, ein Problem oder geradezu fatal für die Weiterentwicklung?

    Gebhardt: Ich denke, dass in den 70er-Jahren die Ausgangslage eine ganz andere war. Wir hatten gerade erst den Nationalsozialismus und den Mief der 50er-Jahre hinter uns. Die 68er-Bewegung war stark marxistisch und freudianisch ausgerichtet. Und in dieser Atmosphäre, in einem Ost-West-Konflikt, der übertragen wurde auch auf einen Konflikt zwischen Frauen und Männern, ist eben diese Idee des Patriarchats entstanden. Das war damals vielleicht auch notwendig. Vielleicht war die Polarisierung damals wichtig. Vielleicht war es wichtig, dass sich Frauen auch zurückziehen aus der Männergesellschaft. Sie wissen, dass es damals ja Usus wurde, dass Frauen unter sich blieben, um sich um ihre Sexualität und um ihre weibliche Identität zu kümmern, und da wurde doch ein relativ scharfer Ton auch zwischen den Geschlechtern gepflegt, der, glaube ich, jetzt, Jahrzehnte später, eher kontraproduktiv ist. Es hat keinen Sinn, gegen die Männer zu kämpfen, wenn man Dinge erreichen will, wie zum Beispiel eine gemeinsame Verantwortlichkeit bei den Betreuungsaufgaben.

    Barenberg: Dreh- und Angelpunkt in der Argumentation von Alice Schwarzer ist ja immer wieder und weiterhin dieses Machtgefälle zwischen Männern und Frauen, immer noch in vielen Lebensbereichen. Ist das heute sozusagen nicht mehr der zentrale Konflikt, nicht mehr der zentrale Punkt, um den es geht beim Thema Gleichberechtigung?

    Gebhardt: Heute sagen die Wissenschaftlerinnen oder die Feministinnen eigentlich, dass beide Geschlechter (oder vielleicht gibt es sogar mehr als zwei Geschlechter) gleichermaßen betroffen sind von den kulturellen Konstellationen, dass also auch Männer davon profitieren würden, wenn die Geschlechtergerechtigkeit vorangetrieben würde, weil auch Männer ambivalente Wesen sind, weil sie auch widersprüchliche Bedürfnisse haben und vielleicht nicht nur dieses eine Bedürfnis, nämlich die finanzielle Verantwortlichkeit zu übernehmen, während die Frauen dann die Verantwortlichkeit für alles, was Bindung, Nähe und Gefühl heißt, tragen müssen. Ich denke, dass das eine ganz wichtige Erkenntnis ist der letzten Jahre.

    Barenberg: Alice Schwarzer hat gegen das Abtreibungsverbot gekämpft, gegen Vergewaltigung, sie hat Pornografie zum Thema gemacht. Was sind Ihre Verdienste oder wie stehen diese Verdienste da, gemessen an dem, was heute vielleicht die aktuellen Fragen sind, die wichtig sind aus Ihrer Sicht?

    Gebhardt: Ich denke, ihr Hauptverdienst ist, tatsächlich ihren Namen verknüpft zu haben mit einer Sache, sodass sie der Sache wirklich ein Mainstreampublikum erkämpft hat. Damals, als sie aktiv wurde, war Feminismus eine Sache von Mittelschichtstudentinnen an den Universitäten und durch Alice Schwarzers Engagement in Talkshows, in Spielshows im Fernsehen hat sie es tatsächlich geschafft, dass Feminismus bis in die "Bild"-Zeitung, in alle gesellschaftlichen Schichten vorgedrungen ist. Nur genau das ist heute das Problem. Ich denke, dadurch, dass sie wie ein Markenzeichen geworden ist, ist jede Frau, die andere feministische Ideen hat als Alice Schwarzer, automatisch eine Alice-Schwarzer-Kritikerin und wird dann in eine Art Frauenkampf oder Zickenkrieg hineingejagt, obwohl es darum überhaupt nicht geht. Es geht wirklich nur um inhaltliche Positionen.

    Barenberg: Und geht es vielleicht auch um Themen, für die gewissermaßen die Aktivistin Alice Schwarzer, wie Sie sie beschrieben haben, nicht die richtige ist, diesen Kampf zu führen?

    Gebhardt: Na ja, ich denke, dass das Leben von jungen Frauen und Männern heute tatsächlich anders aussieht als für jemanden wie sie, die 1942 geboren ist, dass zum Beispiel der Druck, der auf jungen Frauen lastet, heute, was das Aussehen, was die Jugendlichkeit, Schlankheit, Schönheit, Sexyness angeht, heute viel größer ist als damals, weil als die Frauenbewegung aktiv wurde in den 70er-Jahren, da gab es den Natürlichkeitslook. Da konnte eine Frau in Sack und Asche auf die Straße gehen und heute muss jede Frau sich mordsmäßig herausstaffieren und schlank sein. Also da hat sich so viel geändert und da ist so ein großes Unverständnis heute bei den jungen Mädchen, die ich zum Beispiel an der Universität erlebe, die glauben, Alice Schwarzer will ihnen eine ganz bestimmte Form von körperlichem Sein auch vorschreiben.

    Barenberg: Was wäre denn die Frauenbewegung heute, wenn es Alice Schwarzer nicht gäbe?

    Gebhardt: Ja das ist die Frage, wäre sie vielstimmiger oder nicht. Weil man kann natürlich schon kritisieren, dass sich die anderen Frauen, die es ja auch gab damals, irgendwo verflüchtigt haben. Entweder sie sind ins Privatleben gegangen, oder sie haben bei der Partei der Grünen sich engagiert. Jedenfalls ist nicht viel von denen zu sehen. Das ist die Frage: Ist das ein Verdrängungseffekt gewesen durch Alice Schwarzer, oder war es wirklich so, dass sich zu wenige Frauen auch damals getraut haben, in der Öffentlichkeit aufzutreten.

    Barenberg: Und was ist Ihre Antwort?

    Gebhardt: Na ich denke schon, dass wir in Deutschland ein Problem haben mit Frauen, die politisch sind und aggressiv sind und auch mal die Ellenbogen ausfahren, und dass es schon eine scheinbare Bescheidenheit und eine Zurückhaltung gibt von Frauen, die kontraproduktiv ist.

    Barenberg: Sie haben, Frau Gebhardt, zu Beginn Alice Schwarzer gewünscht, dass es an ihrer Seite mehr Nachfolger gibt, mehr Töchter, mehr Enkelinnen sozusagen. Sehen Sie denn die eine oder die andere, die diese Rolle einnehmen könnte?

    Gebhardt: Ich glaube, wir brauchen heute viele Stimmen, weil die Gesellschaft vielstimmig ist. Wir brauchen Musliminnen, die beweisen, dass sie trotz Kopftuch auch emanzipiert sind. Wir brauchen Frauen, die ihre Ambivalenz offen ausleben, also die nicht nur der Karriere nachstreben oder nur ihre Fürsorglichkeit ausleben. Also ich denke, wir brauchen da mehr Modelle, wir brauchen nicht nur das eine Modell.

    Barenberg: Miriam Gebhardt, die Historikerin, heute aus Anlass des 70. Geburtstages von Alice Schwarzer im Gespräch mit dem Deutschlandfunk. Ich bedanke mich.

    Gebhardt: Danke auch!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.