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"Sie ist schon sehr angeschlagen"

SPD-Fraktionschef Peter Struck hat Bundeskanzlerin Angela Merkel mangelnde Führungsfähigkeit vorgeworfen. Die Kanzlerin sei durch die gegenwärtigen Debatten innerhalb der Union geschwächt, sagte Struck. Wichtige Beschlüsse der Großen Koalition - wie etwa das Umweltgesetzbuch - habe sie bei CDU und CSU nicht durchsetzen können. In diesen schwierigen wirtschaftlichen Zeiten müsse die Regierung aber handlungsfähig bleiben, betonte der Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion.

Peter Struck im Gespräch mit Jochen Spengler |
    Jochen Spengler: In der Union gibt es Unzufriedenheit mit der Kanzlerin. Die letzten Umfragewerte, die die Union nunmehr bei 32 Prozent sehen und damit nur noch 5 Punkte weg von der SPD, tragen auch nicht gerade zur Beruhigung bei. Viele Kommentatoren sehen die Union in einer handfesten Krise und die SPD Hände reibend im Aufwind. - Im Studio ist Peter Struck, der SPD-Fraktionschef im Deutschen Bundestag. Herr Struck, fühlen Sie sich im Aufwind?

    Peter Struck: Nein. Ich sehe das mit großer Sorge, was im Augenblick passiert. Aber natürlich sind wir im Aufwind, das ist klar, weil unsere Werte besser werden, aber ich sehe mit großer Sorge - darum mein spontanes Nein - die Situation innerhalb der CDU/CSU. Wir brauchen eine verlässliche Regierung, wir brauchen eine Kanzlerin, die sich auf die eigene Fraktion verlassen kann in diesen schwierigen Zeiten, und wir brauchen einen handlungsfähigen Koalitionspartner. Den haben wir im Augenblick nicht durch die heftigen Debatten, die es in der CDU/CSU gibt.

    Spengler: Ist Frau Merkel angeschlagen?

    Struck: Sie ist schon sehr angeschlagen. Wenn es ihr nicht gelingt, Vereinbarungen einzuhalten, die im Koalitionsausschuss getroffen worden sind, ...

    Spengler: Zum Beispiel welche?

    Struck: Umweltgesetzbuch machen, was sie seit langen Jahren für richtig hält, oder eine Lohnuntergrenze für Zeitarbeiter festzulegen, oder auch andere, eher marginale Bereiche, dann muss ich schon sagen, die Debatte innerhalb der CDU/CSU über die mangelnde Führungsfähigkeit der Kanzlerin schwächt sie eindeutig und macht uns unsicher gegenüber dem, was man von ihr noch erwarten könnte.

    Spengler: Hat sie denn mangelnde Führungsfähigkeit?

    Struck: Aus meiner Sicht ja. Sie muss, wenn sie ein Ziel für richtig erkannt hat, muss sie es auch versuchen durchzusetzen, auch mit der Autorität einer Kanzlerin, und das gelingt ihr im Augenblick überhaupt nicht.

    Spengler: Was bringt denn die Große Koalition dann noch zustande?

    Struck: Wir haben einiges auf den Weg gebracht: die so genannte Föderalismusreform, also die Reform der Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern, mit dem Einbau einer Schuldenbremse im Grundgesetz, auch in Länderverfassungen. Das ist schon ein großer Schritt, der eben auch im Sinne nachfolgender Generationen ist, die wir nicht unbegrenzt belasten dürfen.

    Spengler: Wir haben ja noch ein halbes Jahr. Da wäre ja noch Platz für mehr.

    Struck: Ja, natürlich könnte noch mehr gemacht werden. Im Augenblick bin ich eher skeptisch. Was wir auf jeden Fall machen müssen oder lösen müssen sind die Probleme, die mit der Weltwirtschaftskrise zu tun haben, mit den großen Unternehmen, Stichwort Opel und Schaeffler/Conti. Da müssen wir als Regierung und auch als Koalitionsfraktionen handlungsfähig bleiben und auch eine vernünftige Lösung erreichen.

    Spengler: Ich habe ein Zitat von Frau Merkel: "Wir werden Unternehmen wie Opel unterstützen, wenn unsere Hilfen diesen Betrieben eine gute Zukunft sichern können und nicht nur wirkungslos verpuffen, weil ein Unternehmen am Markt gescheitert ist." Das sagt Angela Merkel. Würden Sie diesen Satz unterschreiben?

    Struck: Den Satz unterstreiche ich.

    Spengler: Das heißt, Opel ist nicht um jeden Preis vom Staat zu retten?

    Struck: Nein. Das war auch niemals unsere Erklärung, sondern unsere Erklärung war, wir glauben, dass Opel eine Zukunftsperspektive hat auf dem Automobilmarkt - das neue Modell "Insignia" ist ein gutes Auto, was da gebaut wird -, auch dass im Bereich der Technologie und der Innovationen, die in dem Unternehmen überlegt werden und auch vorhanden sind, schon die Firma Opel Deutschland eine gute Chance hat. Das ist gar keine Frage.

    Spengler: Ist das wirklich keine Frage? Das bezweifeln ja viele.

    Struck: Ja, aber ich bezweifle es nicht, nach dem, was mir bekannt ist. Jeder führt ja seine Gespräche auch mit einem ganz kompetenten Gesprächspartner, etwa dem Vorsitzenden des Gesamtbetriebsrates Klaus Franz.

    Spengler: Der ist Partei!

    Struck: Nein! Der ist auch gut. Partei ist er natürlich auch, weil er um die Arbeitsplätze seiner Kolleginnen und Kollegen kämpft, aber der ist auch gut. - Also ich kann nicht erkennen, dass dieses Kriterium, das Frau Merkel zurecht genannt hat, bei Opel nicht erfüllt wäre.

    Spengler: Was fehlt denn dann noch, um zu sagen: Ja, Opel, ihr bekommt unsere Unterstützung?

    Struck: Es fehlt die Frage, wie ist die Trennung zwischen GM, General Motors, in Detroit, und Opel Deutschland überhaupt zu bewerkstelligen. Was ist mit einer europäischen Lösung? Geht es auch um Hilfe für die anderen Opel-Werke oder anderen GM-Werke in Europa, in Spanien oder anderswo?

    Spengler: Wenn es nicht zu einer europäischen Lösung käme, Herr Struck, sollte der Staat dann trotzdem Geld geben?

    Struck: Ich glaube schon, dass es uns darauf ankommen muss, dass wir eine nationale Lösung für Opel Deutschland erreichen.

    Spengler: Nation vor Europa?

    Struck: Das ist gar nicht die Frage, sondern die Frage ist, was machen wir mit den vielen tausend Mitarbeitern, die bei Opel in Deutschland arbeiten, und was machen wir mit ihren Familienangehörigen und Kindern, den Zulieferern, die von Opel leben. Insofern würde ich das auch in Kauf nehmen, wenn wir sagen, wir können nur eine nationale Lösung erreichen.

    Spengler: Hat denn die SPD aus dem Fall Holzmann nichts gelernt? Da gab es auch Staatsunterstützung, dann ging es drei Jahre gut und dann war das Unternehmen doch pleite.

    Struck: Kein Fall ist vergleichbar. Es geht immer um die Frage, ist das ein Unternehmen, das sich am Weltmarkt oder am europäischen Markt behaupten kann, hat es eine Perspektive, ...

    Spengler: Und die hat Opel?

    Struck: Aus meiner Sicht ja, eindeutig.

    Spengler: Und das können Sie als Politiker auch besser beurteilen als ein Wirtschafter?

    Struck: Das ist eine polemische Frage jetzt. Da müsste ich eigentlich nein sagen, weil Sie das von mir so erwarten. Und ich glaube schon, dass ich mir ein eigenes Urteil bilden kann über die Perspektiven, die Opel hat.

    Spengler: Schaeffler, Conti?

    Struck: Schwieriger, weil wir einmal da den Gummibereich als Conti, den Conti-Bereich jetzt als wirklich respektablen Wirtschaftszweig ansehen. Es wird ernsthaft diskutiert werden müssen, ob der Bereich herausgelöst werden kann. Das ist ja, glaube ich, auch die Vorstellung von Frau Schaeffler und ihrem Sohn. Zu welchen Bedingungen das geschehen muss, muss man auch prüfen. Andererseits ist Schaeffler selbst nicht nur ein wichtiges großes Unternehmen, sondern auch ein Unternehmen, das im Bereich der Elektronik für Autos und dergleichen schon einen guten Ruf hat, und man kann ihn nicht ohne weiteres kaputt gehen lassen. Aber das ist eine allgemeine Aussage, die ich hier mache, sondern ich muss erst warten, bis das Konzept von Frau Schaeffler vorliegt, und dann kann man darüber urteilen.

    Spengler: Kann es sein, dass Frau Schaeffler irgendwann in ihrem Unternehmen keine Rolle mehr spielen wird?

    Struck: Das kann durchaus sein.

    Spengler: Wir sprechen mit Peter Struck, dem SPD-Fraktionsvorsitzenden im Deutschen Bundestag. - Herr Struck, das Kabinett hat gestern beschlossen, die Managergehälter stärker zu kontrollieren, so will ich es mal sagen. Wird die SPD im Bundestag darauf bestehen, dass die Gehälter nur bis zu einer Grenze von einer Million Euro als Betriebsausgaben absetzbar sind, was die Union ja nicht will?

    Struck: Zunächst einmal müssen wir das beschließen im Bundestag auch, was das Kabinett beschlossen hat. Das werden wir tun. Wir werden aber im Laufe der nächsten Wochen noch mal klären, ob weitergehende Forderungen erfüllt werden können.

    Spengler: Das wäre so eine?

    Struck: Ja, das wäre so eine, aber da bin ich im Augenblick skeptisch.

    Spengler: Skeptisch heißt, das ist keine Bedingung, ohne die nichts geht?

    Struck: Nein. Ich meine, das Mindeste, was gemacht werden kann, ist jetzt vereinbart worden, auch durch den Kabinettsbeschluss. Wir wollen weiter gehen in vielen Fragen, auch was die steuerliche Absetzbarkeit von Abfindungen für Manager angeht, die da rausgeschmissen worden sind. Da weiß ich nicht, ob wir das hinkriegen, aber das Bemühen bei uns ist da. Bei der Union sehe ich das eher begrenzt.

    Spengler: Und Sie bestehen nicht gegenüber der Union darauf, dass Sie irgendwo sagen, wenn wir das nicht vereinbaren, dann ist nichts vereinbart?

    Struck: Nein. Wir werden auf jeden Fall das, was jetzt im Kabinett beschlossen worden ist, die Begrenzung der Managergehälter, auf jeden Fall verabschieden. Das Gesetz wird es geben. Alles was darüber hinausgeht und von der Union abgelehnt wird, wird Teil des Wahlkampfthemas der SPD sein.

    Spengler: Gehört dazu auch die Reichensteuer?

    Struck: Zweifellos. Wir werden natürlich über den sogenannten Balkon reden müssen. Das ist ein Aufschlag auf den Spitzensteuersatz von jetzt 42 auf 45 Prozent, der jetzt gilt bei bestimmten Grenzen, ab einer bestimmten Grenze. Wir sind dabei, unser steuerpolitisches Konzept für das Wahlprogramm vorzubereiten. Dazu gehört auch eine Ausweisung des Spitzensteuersatzes im Bereich der sogenannten Balkonsteuer.

    Spengler: Nun heißt es immer, dass die reichsten zehn Prozent dieser Gesellschaft schon über die Hälfte des Steueraufkommens tragen. Reicht das nicht?

    Struck: Ich glaube schon, dass es einen solidarischen Beitrag geben muss, der irgendwo an einer bestimmten Grenze liegt, die nicht niedrig ist, sondern wirklich hoch ist.

    Spengler: Also das reicht noch nicht jetzt, was im Augenblick gilt?

    Struck: Nein, das reicht nicht, sondern ich bin schon der Meinung, dass wir für zum Beispiel Bildungsausgaben, die die Länder machen, und auch über eine Vermögenssteuer wieder nachdenken müssen, die den Ländern zugute käme, und auch über die Verbreiterung des Balkons - das war ein Vorschlag von Steinmeier auch im Zusammenhang mit der Finanzierung des Konjunkturpaketes -, weil ich nicht glaube, dass die Menschen, die in diesen Bereichen steuerlich liegen, dadurch kaputt gehen.

    Spengler: Ab wann ist für die SPD ein Mensch reich, ab welchem Einkommen?

    Struck: Nehmen wir den Balkon jetzt. Der Balkon gilt also plus drei Prozent auf 42 Prozent bei im Augenblick 500.000 Euro zu versteuerndem Einkommen. Wir wollen das gerne auf 250.000 zu versteuerndem Einkommen, was ja wirklich höheres Bruttoeinkommen bedeutet, erweitern. Da kann ich nicht erkennen, dass irgendjemand da in seiner Leistungsfähigkeit deutlich beeinträchtigt wird.

    Spengler: Sie haben auf die Anfangsfrage, Herr Struck, gesagt, na ja, so richtig fühlen wir uns nicht im Aufwind. Das heißt, Sie wollen sich nicht mit Umfragewerten um die 25 Prozent zufrieden geben. Wo sehen Sie denn ein realistisches Ziel?

    Struck: Die jetzigen Umfragen sind ärgerlich, aber sie beunruhigen mich nicht, weil ich weiß, dass ein Viertel bis ein Drittel der Wähler erst kurz vor der Wahl sich entscheidet, zwei Wochen oder manchmal auch direkt erst am Wahltag. Insofern kommt es darauf an, dass wir Mitte September einen anderen Wert haben.

    Spengler: Welchen Wert? Mit welchem wären Sie denn zufrieden?

    Struck: Ich glaube, jeder muss sagen, heute, bei den heutigen Verhältnissen, weil wir mit sechs Parteien sicher wieder im Bundestag sitzen werden, dass wir mit 35 Prozent ein gutes Ergebnis erreichen würden, denn dann ist man stärkste Fraktion im Deutschen Bundestag.

    Spengler: Ist das dann noch die Volkspartei SPD, die wir kennen?

    Struck: Die Zeiten, in denen die großen Parteien über 40 oder 42, 43 Prozent kriegten - wir hatten mal 46 Prozent als bestes Ergebnis zu Willy-Brandt-Zeiten, 1972 -, die Zeiten sind vorbei, weil die Menschen sich zwischen fünf oder sechs oder sieben oder acht oder zehn Parteien entscheiden können und weil fünf oder sechs Parteien im Deutschen Bundestag sein werden - voraussichtlich 2009.

    Spengler: Danke. - Das war Peter Struck, der SPD-Fraktionsvorsitzende im Deutschen Bundestag.

    Struck: Ich danke auch.