Donnerstag, 28. März 2024

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"Sie müssen in den USA ganz oft Ihre 'Rasse' angeben"

Es sei eine "Täuschung", dass durch die Präsidentschaft Barack Obamas das Thema Rassismus in den USA überwunden sei, meint der Schriftsteller Ilija Trojanow. "Rasse" sei als Kategorie im US-Alltag weit verbreitet und Barack Obama gelte als Schwarzer, obwohl seine Mutter weiß sei.

Ilja Trojanow im Gespräch mit Jasper Barenberg | 20.07.2012
    Jasper Barenberg: "Das Land hat sich in der Kür eines schwarzen Präsidenten mit sich selbst versöhnt", schrieb ein Beobachter, als Barack Obama im Jahr 2009 ins Weiße Haus einzog. Er würde an der Spitze der USA die Frage der Hautfarbe hinter sich lassen, die tiefen Gräben und Vorurteile zwischen Schwarz und Weiß schließen helfen. Ist das gelungen? – "Nein", sagt der Schriftsteller Ilija Trojanow. Seitdem wird über die sogenannte Rassenfrage nur noch umso heftiger gestritten, so sein Eindruck. Jüngstes Beispiel: Der Tod des 17-jährigen Trayvon Martin, erschossen von einem freiberuflichen Sicherheitswächter in einer wohlhabenden weißen Gegend, nahe der Stadt Orlando in Florida. Aufgeklärt ist dieser Fall noch lange nicht, eine alte Debatte aber hat er mit neuer Heftigkeit wieder aufflammen lassen.

    Am Telefon ist jetzt der Schriftsteller Ilija Trojanow. Einen schönen guten Morgen!

    Ilija Trojanow: Guten Morgen!

    Barenberg: Dieses Thema hat Sie beschäftigt während Ihrer Reise durch die USA. Wie haben Sie diese Zeit erlebt mit Blick auf dieses Thema?

    Trojanow: Ich war zuerst Gastprofessor in St. Louis und schon in St. Louis ist mir aufgefallen, dass es eine Segregierung von Schwarz und Weiß gibt, wie ich es eigentlich nur aus Südafrika kannte. Es gibt ganze Stadtteile, die fast ausschließlich weiß sind, und andere, die sind fast ausschließlich schwarz. Und der erste Schock war, als ich dann eingeladen war von einem anderen Professor in einem rein weißen Stadtteil, und er erzählte, dass mal ein Computertechniker zu ihm ins Haus kam, der hatte seine Freundin mitgenommen, beide schwarz, die Freundin blieb im Auto sitzen, und fünf Minuten später stand die Polizei an der Tür, um die Personalien aufzunehmen. Das heißt, irgendein Nachbar hat, als er eine schwarze Frau im Auto sitzen sah, sofort die Polizei angerufen. Und das war der Beginn eigentlich einer wirklich schockierenden und erstaunlichen Vielfalt an rassistischen Anekdoten, Erlebnissen, Aussagen, die ich im Laufe der vier Monate erfahren habe.

    Barenberg: Unser Korrespondent hatte ja gerade so ein bisschen eine Balance angedeutet: Auf der einen Seite gibt es diesen Rassismus, diesen unterschwelligen, im Alltag in den USA, sicherlich auf der anderen Seite eine hohe Sensibilität in dem Land für dieses Thema. Sehen Sie diese Balance, oder haben Sie das anders erlebt?

    Trojanow: Ich würde gerne noch etwas hinzufügen, dass es nämlich nicht eine grundsätzliche Ablehnung von Rassismus im wortwörtlichen Sinne gibt, nämlich dass man Rasse als Kategorie im Alltag benutzt, denn das ist weit verbreitet. Sie müssen ganz, ganz oft in den USA, wenn Sie zum Beispiel einen Kredit beantragen, Ihre "Rasse" angeben. Nun ist ja Rasse, wie wir wissen, ein völlig konstruiertes, ein völlig erfundenes Konzept, und das merkt man an den Kästchen, die einem zur Auswahl stehen. Es ist nämlich Weiß, Schwarz, Hispanic, Asian, also Spanisch sprechend, Asiatisch, und Other, also irgendwas anderes, und das sind Kategorien der Farbe, Kategorien der Sprache und Kategorien der Herkunft, der geographischen Herkunft. Aber diese Kategorien werden eigentlich alltäglich benutzt, auch in den Medien benutzt, auch in der Sprache benutzt, in der Umgangssprache. Also insofern viel, viel mehr als bei uns, wo das eigentlich nicht mehr als politisch korrekt gilt und eigentlich als verpönt gilt, über Rasse zu reden, ist das im amerikanischen Alltag vorhanden.

    Barenberg: Nun gibt es ja auch in den USA gewissermaßen eine offizielle Sprachregelung, wonach gerade Präsident Barack Obama zu einer Generation der postrassistischen Phase gehört – ein kompliziertes Wort, ein akademisches Wort. Haben Sie davon nichts wiedergefunden in der gesellschaftlichen Wirklichkeit?

    Trojanow: Das war das Spannende, dass ich ankam – man kommt ja oft als Europäer in New York an – und die aufgeklärten, liberalen, gebildeten Leute in New York haben das Gefühl, eigentlich hat man Rassismus besiegt, weil man hat mit Barack Obama zum ersten Mal nicht nur in den USA, sondern sie deuten ja auch auf Europa und sagen, könnt Ihr euch vorstellen, dass bei euch in Deutschland ein Schwarzer Präsident wird. Insofern ist da ein bestimmter Stolz, aber auch, glaube ich, dann eine Täuschung, dass dadurch das Thema überwunden ist. An der Aussage, könnt ihr euch vorstellen, dass bei euch ein Schwarzer Präsident wird, merkt man natürlich die Crux der Sache, denn Barack Obama ist nicht schwarz. Barack Obama ist mütterlicherseits eine Mischung aus Ire und Engländer und noch ein paar anderen Sachen und er ist vor allem ganz stark konditioniert worden von seiner Mutter und seiner Großmutter. Aber interessanterweise kommt das niemals vor, dass jemand, der zur Hälfte nur "schwarz und weiß" ist, tatsächlich als etwas anderes betrachtet wird als als schwarz, und das deutet in die Richtung, die, glaube ich, immer noch nicht überwunden ist, nämlich Ihr Beitrag hat ja von den alten Wunden der Sklaverei gesprochen. Das war das alte eherne rassistische Grundgesetz im Süden: Egal wie wenig schwarzes Blut man in den Adern hat, ist man schwarz, weswegen ja ganz, ganz viele persönliche Tragödien passiert sind, weil Leute versucht haben, die Tatsache, dass sie ein Achtel oder ein Sechzehntel schwarz sind, zu verstecken. Und dass das noch eine Rolle spielt, ist natürlich, gerade wenn man aus Deutschland kommt, wo man ja diese grauenhafte Geschichte mit den Nürnberger Rassegesetzen hatte, schon schwer zu verstehen und unendlich schockierend.

    Barenberg: Der Schriftsteller Ilja Trojanow heute Morgen im Gespräch hier im Deutschlandfunk. Ich bedanke mich dafür!

    Trojanow: Herzlichen Dank!


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.