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"Sie muss führen"

Der Politikwissenschaftler Gerd Langguth rät der CDU-Vorsitzenden und Bundeskanzlerin Angela Merkel zu einem klaren Kurs in der Debatte um die künftige Ausrichtung ihrer Partei. Angesichts der wortgewaltigen Ministerpräsidenten der Union sei Merkel "in der Gefahr, dass sie zum Schluss als Moderatorin dasteht", sagte Langguth, Biograf der Kanzlerin.

Moderation: Dirk-Oliver Heckmann |
    Dirk-Oliver Heckmann: Die CDU müsse sich von der einen oder anderen Lebenslüge verabschieden, so etwa von der Vorstellung, dass Steuersenkungen allein zu Wirtschaftswachstum und damit zu mehr Arbeitsplätzen führten. Mit dieser Forderung versetzte Jürgen Rüttgers, der Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, seine Parteifreunde in helle Aufregung. Ein Richtungsstreit, das ist wahrscheinlich das letzte, was sich die Parteioberen derzeit wünschen. Die Umfragewerte für die Union sind ohnehin schon niedrig genug. Heute findet in Berlin ein Kongress statt, der die Debatte um ein neues Grundsatzprogramm der CDU vorantreiben soll. Am Abend trafen sich dazu schon die Vorsitzenden der Kreisverbände.

    Am Telefon begrüße ich jetzt den Politikwissenschaftler und Merkel-Biografen Gerd Langguth von der Universität Bonn. Schönen guten Morgen!

    Gerd Langguth: Guten Morgen, Herr Heckmann!

    Heckmann: Herr Langguth, CDU-Generalsekretär Pofalla hat der Partei als Grundlage für die Programmdebatte einen Fragenkatalog vorgelegt. Eine der Fragen ist die nach der Identität der Christdemokraten. Ist denn das Profil, deren Profil schon so verschwommen, dass sie nicht mehr wissen, wofür sie stehen?

    Langguth: Es ist ein generelles Problem, dass sich alle beiden Volksparteien ja mit der Integration ihrer Wählerschaft sehr schwer tun und auch die Milieus, die früher klassisch die Wählerschaft gespeist haben, beginnen zu verschwimmen. Man muss ja einfach auch mal, wenn man ausgeht von den Wahlergebnissen, sagen: Früher bei insgesamt 10 von 16 Bundestagswahlen lag die CDU immer bei über 44 Prozent, 1957 sogar bei über 50 Prozent und in den letzten Jahren so zwischen 35 bis 38 Prozent. Das heißt, was ist der Markenkern der Union? Die Frage wird zu Recht gestellt werden müssen, vor allem natürlich in einer Großen Koalition, wo man mit einem anderen Partner sozusagen auf gleicher Augenhöhe etwas zu tun hat. Hier gibt es doch eine große Unruhe an der Basis, weil Frau Merkel, vom Typ her ist sie ja keine tief gegründete Christdemokratin, die schon seit vielen Jahrzehnten die christdemokratische politische Philosophie inhaliert hat, sondern sie wirkt ja auf viele Wählerinnen und Wähler eher pragmatisch und moderierend.

    Heckmann: Ein Problem ist ja, Herr Langguth, dass die Union sich in weiten Teilen programmatisch schon modernisiert hat. Auf der einen Seite in der Gesellschaftspolitik ist das Beispiel Elterngeld zu nennen, aber ich verweise im sozial-ökonomischen Bereich auch auf die Leipziger Beschlüsse, die radikalen Reformen, die dort gefordert wurden in der Wirtschaftspolitik. Diese Veränderungen haben aber offenbar mehr Wähler abgeschreckt als gewonnen, oder?

    Langguth: Ja. Nun muss man sehen: Es haben sich natürlich auch die Zeiten geändert, auch im Rahmen der demographischen Entwicklung. Insgesamt leben ja 41 Prozent der Menschen in Deutschland von Transfereinkommen wie Rente, Arbeitslosigkeit, Hartz IV und so weiter, und die erwarten natürlich von der CDU eine sozialere Politik. Jedenfalls ist das das Grundproblem der Union, und da muss man einfach folgendes sehen: Das Erfolgsgeheimnis der Union in der Vergangenheit bestand immer darin, dass sie vermitteln konnte, wir, also mit der CDU, schaffen den wirtschaftlichen Aufschwung, und dieser wirtschaftliche Aufschwung ist die Voraussetzung auch dafür, dass die soziale Sicherheit möglich bleibt. Wenn man jetzt auch eine neueste Umfrage sieht, dann wird man feststellen können, dass 40 Prozent der Unionsanhänger wollen, dass sich die CDU stärker in Richtung Markt und Wettbewerb orientieren solle, und 44 Prozent sprechen sich hingegen für eine stärkere Berücksichtigung der sozialen Absicherung aus. Das ist natürlich ein ganz schwieriger Spagat, den hier die Unionsparteien machen müssen, aber darum kommt die Kanzlerin nicht herum.

    Heckmann: Die Union steckt ja offenbar in dem Dilemma bei dem Versuch, aus dem Umfragetief herauszukommen. Auf der einen Seite, wenn sie die soziale Ausrichtung, wie Sie gerade sagten, betont, nähert sie sich der SPD an, verliert an Profil. Andererseits, wenn sie die Reformen a la Leipzig weiter verfolgt, gleicht sie immer weiter der FDP. Möglicherweise könnte sich ein Fiasko wie bei der letzten Bundestagswahl wiederholen. Was ist denn die Lösung dieses Problems?

    Langguth: Die Lösung kann natürlich nur darin bestehen, dass die Kanzlerin mit dafür sorgt, dass Rahmenbedingungen für einen vernünftigen, dauerhaften Aufschwung vorhanden sind, und vor allem, dass das Grundproblem, nämlich die Arbeitslosigkeit, nicht nur durch nur mal ein paar Zahlen, die jetzt gerade in den letzten Wochen sich günstig erwiesen haben, sich niederschlagen, sondern dass die Rahmenbedingungen sich so entwickeln, dass die Menschen sagen, es ist der Politik der Kanzlerin zu verdanken, dass wir auf Dauer doch vernünftigere Bedingungen für den Abbau von Arbeitslosigkeit bekommen. Das ist der springende Punkt, und hier kann man ja sagen, da ermahnt auch der Bundespräsident zu Recht die Große Koalition daran, indem er immer wieder sagt, nehmt in den Vordergrund die Frage des Abbaus der Arbeitslosigkeit. Arbeit, Arbeit, Arbeit, muss man ja zurufen, und hier ist meines Erachtens noch nicht genügend getan worden. Daran kränkelt eigentlich auch das Ansehen der Union.

    Heckmann: Angela Merkel hat ja in den letzten Wochen geschwiegen zu dem Vorstoß von Jürgen Rüttgers, den ich gerade eben schon zitiert hatte. Nun hat sie gestern bei ihrer ersten Pressekonferenz nach ihrem Urlaub dem Ministerpräsidenten Nordrhein-Westfalens widersprochen. Ist das ein Zeichen dafür, dass Merkel wieder versucht, die Zügel in die Hand zu bekommen?

    Langguth: Ja, aber sie hat es natürlich schwerer als zum Beispiel Herr Beck. Herr Beck hat ja gerade als Parteivorsitzender einige wenige Ministerpräsidenten noch, währenddessen die Union stellt ja von 16 Ministerpräsidenten 11 Ministerpräsidenten. Und das sind natürlich alles wortgewaltige Herren, die sich auch zu Wort melden wollen und die auch zu Recht in gewissem Sinne die Position der Basis zu vertreten haben. Da ist es natürlich sehr viel schwerer, hier diese Vielstimmigkeit, die sich natürlicherweise ergibt, diese auch entsprechend anzugehen. Frau Merkel ist in der Gefahr, dass sie zum Schluss als Moderatorin dasteht. Das darf sie nicht. Sie muss führen, und sie darf allerdings vielleicht sich auch nicht immer um jeden Ministerpräsidenten und um jede Stimme äußern, sondern sie muss ihren klaren Kurs machen. Das gilt natürlich auch in Richtung von Herrn Rüttgers, der ein Stück weit natürlich auch verärgert ist meines Erachtens, dass kein Mann oder keine Frau aus Nordrhein-Westfalen der Bundesregierung als Bundesminister angehört, und das erklärt vielleicht auch einen Teil seines Ärgers.

    Heckmann:! Merkel muss führen, sagen Sie. Führt sie bis jetzt zu wenig?

    Langguth: Ja und nein. Es ist ja so: Ich glaube zunächst mal übrigens, dass die Stimmung in der Koalition, in der Bundesregierung vielleicht viel besser ist, als es nach außen hin wirkt. Wie ich höre, wird in der Bundesregierung selbst eigentlich ganz kooperativ miteinander umgegangen. Es sind dann mehr die unteren Parteichargen häufig, die gegeneinander auf die jeweils andere Partei losgehen. Da ist ja zum Teil auch eine Wortwahl, die kann einen ja nur erstaunen, wenn man sieht, dass es sich hier um Koalitionspartner handelt. Das bringt natürlich ein schwieriges Bild für die Koalition insgesamt, nicht nur für Frau Merkel. Ansonsten muss sie natürlich klare Vorgaben machen, und das scheint mir das Entscheidende. Aber auch da steckt sie in einem Dilemma, wenn sie jetzt, wie sie es jetzt gemacht hat, bestimmte Vorgaben macht, was den Gesundheitsfonds angeht. Wenn es dann zum Schluss misslingt, dann ist sie auch persönlich ramponiert. Es war übrigens auch immer eine gewisse Führungskunst von Helmut Kohl, ihrem Vorgänger, sich nicht in allen Dingen bis ins Letzte festzulegen, sondern immer erst abzuwarten, wie sich innerhalb die Partei die Strömungen entwickelt haben, und davon wird sie auch ein Stück weit von ihrem Vorgänger Helmut Kohl gelernt haben.

    Heckmann: Zum zukünftigen Kurs der CDU war das der Politikwissenschaftler Professor Gerd Langguth von der Universität Bonn. Ich danke Ihnen für das Gespräch, Herr Langguth.

    Langguth: Danke auch.