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"Sie treiben Griechenland immer tiefer in die Krise"

Der Grünen-Europaabgeordnete Sven Giegold hält nichts von einem weiteren Rettungspaket für Griechenland. Das Land müsse hart an den richtigen Stellen sparen, es müsse einen Schuldenschnitt geben, den die Märkte längst eingepreist hätten - und einen anderen Rettungsfonds.

Sven Giegold im Gespräch mit Tobias Armbrüster | 24.06.2011
    Tobias Armbrüster: ... Sven Giegold, er sitzt für die Grünen im Europaparlament und ist dort Mitglied im Ausschuss für Wirtschaft und Währung. Schönen guten Tag, Herr Giegold!

    Sven Giegold: Hallo, Herr Armbrüster!

    Armbrüster: Herr Giegold, Griechenland bekommt also sein Geld. Wie lange wird es dauern bis zum nächsten Rettungspaket, bis zum Rettungspaket Nummer drei?

    Giegold: Ja, wenn das so weitergeht, dann wird das nicht allzu lange dauern, schlichtweg deshalb, weil die Pakete nicht funktionieren. Sie funktionieren ökonomisch nicht, weil sie treiben Griechenland immer tiefer in die Krise, und sie funktionieren politisch nicht, weil die Griechen nicht überzeugt sind, dass dieses Paket gerecht ist. Ich will das ganz deutlich sagen: Griechenland muss sparen und es muss auch hart sparen, aber es muss in den richtigen Bereichen sparen, zum Beispiel bei Militärausgaben, und es muss dafür sorgen, dass gleichzeitig gerade diejenigen, die die letzten 20 Jahre sehr viel Vermögen gebildet haben, dass die ernsthaft besteuert werden. Und das passiert bis heute nicht, und so lange werden die Griechinnen und Griechen kein neues Vertrauen fassen.

    Armbrüster: Müsste die EU dafür besser in den griechischen Haushalt eingreifen können?

    Giegold: Die EU müsste – sie kann es ja längst – ... Durch die Troika-Verhandlungen sind diese Maßnahmen ja vollständig mit der EU abgestimmt. Das Problem ist nur, dass die EU – und ich weiß das auch aus den internen Kreisen – leider nicht auf eine soziale Balance gedrungen hat, und das trifft jetzt immer mehr Menschen, auch innerhalb der Institutionen, weil das Paket deshalb politisch nicht trägt.

    Armbrüster: Müsste Griechenland auch einen Schuldenschnitt machen?

    Giegold: Griechenland kann mit dieser Höhe der Schulden nicht weiter leben, die Maßnahmen, dass dort jetzt der Privatsektor einbezogen wird, sind richtig, das hat aber nur Sinn, wenn die Summen, die dabei zusammenkommen, auch groß genug sind.

    Armbrüster: Wie groß müsste der Schuldenschnitt denn sein?

    Giegold: Ich glaube, ökonomisch wird alles unter 30 bis 40 Prozent der jetzigen Höhe nicht tragen.

    Armbrüster: Und ist den Grünen in Europa denn klar, dass sie mit einer solchen Forderung zahlreiche europäische Banken gefährden?

    Giegold: Der Punkt ist, dass nicht wir die Banken gefährden, sondern die Finanzmärkte haben diesen Schnitt längst eingepreist. Insofern ist es wirklich kein Geheimnis, das zu sagen. Was aber vielmehr nötig ist, ist ein europäischer Bankenrettungsfonds, der dafür sorgt, dass wenn die griechischen Banken bei einem solchen Schritt eben auch beteiligt würden, die dann diese Banken auffangen, weil sonst haben wir große Ansteckungseffekte in Bulgarien und auf dem Balkan. Das kann keiner wollen. Insofern – ein ungeordneter Schnitt, wie das Herr Schäffler von der FDP fordert, das ist natürlich nicht machbar. Wir brauchen gerade dabei eine strenge europäische Kooperation.

    Armbrüster: Bei diesem EU-Gipfel in Brüssel ist nun außerdem herausgekommen, dass es neue Direkthilfen für Griechenland geben soll, Direkthilfen der EU-Kommission. Die Rede ist von einer Milliarde Euro. Ist das etwas Symbolisches, oder bahn sich hier sozusagen ein neuer Rettungsmechanismus an?

    Giegold: Nein, hier geht es darum, dass Griechenland auch Maßnahmen braucht, um zu investieren. Das Vertrauen in die griechische Ökonomie ist am Boden, deshalb ist es richtig, dass die Gelder, die ja abrufbereit liegen, aber nicht abgerufen werden können, weil die Eigenanteile nicht aufgebracht werden, dass die jetzt mobilisiert werden. Griechenland braucht so etwas wie einen kleinen Marshallplan, der müsste allerdings ganz klar da ansetzen, wo Griechenland Probleme hat, zum Beispiel bei einer Energieversorgung, die unabhängig ist von den immer weiter steigenden Ölkosten.

    Armbrüster: Ich kann mir vorstellen, dass viele Hörer sich da jetzt denken, da richten sich die EU-Parlamentarier und auch die EU-Kommission sozusagen ein neues Rettungspaket über die Hintertür ein, vorbei an den Nationalstaaten.

    Giegold: Also das sind ja Gelder, die liegen sowieso im europäischen Haushalt, die sind für Griechenland vorgesehen und sind dort blockiert, mitten in der Krise, während dort immer wahrscheinlicher wird, dass das ganze Paket scheitert. Es ist wirklich klug eingesetzt, jetzt auch in eine wirtschaftliche Dynamik in Griechenland zu investieren, was das Sparen ergänzen muss.

    Armbrüster: Wir diskutieren ja hier bei uns in Deutschland zurzeit viel über eine Steuerreform, vor allem über Steuersenkungen. Wäre das auch etwas, worüber man in Griechenland nachdenken müsste?

    Giegold: Also in Griechenland werden ja jetzt die Steuern erhöht und nicht gesenkt. Was allerdings man sagen muss, ist: Es gibt ein ganz großes Ungleichgewicht. In Deutschland wird massiv darüber geredet, Griechenland soll seine Auflagen einhalten. Das finde ich grundsätzlich auch richtig, aber es wird bei dieser Debatte um die Steuerpolitik in Deutschland völlig hinweggegangen über die Empfehlung, die die EU-Kommission gerade allen Mitgliedsländern, auch Deutschland, gemacht hat. Die EU-Kommission hat festgelegt und gesagt, Deutschland soll haushaltsneutral Niedriglohnempfänger entlasten und mehr in Bildung investieren und in Bildungsgerechtigkeit. Steuersenkungen werden dort regelrecht ausgeschlossen, weil wir unsere Haushalte konsolidieren und Schulden zurückzahlen müssen. Wir brauchen einen Umsetzungsplan für diese europäischen Empfehlungen von der Bundesregierung, damit eben nicht nur wir Forderungen an Griechenland richten, sondern auch unsere eigenen Hausaufgaben machen. Sonst können wir nicht erwarten, dass unsere Partner das tun.

    Armbrüster: Soweit der grüne Europaabgeordnete Sven Giegold. Besten Dank für dieses Gespräch, Herr Giegold


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