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"Sie versteht sich nicht als Schriftstellerin"

Zum ersten Mal gibt es in Deutschland eine Ausstellung zu den Bilderwelten der Zeichnerin Judith Kerr. Hierzulande bekannt wurde sie vor allem als Schriftstellerin durch ihren Jugendroman "Als Hitler das rosa Kaninchen stahl". Sie selbst jedoch sieht sich in erster Linie als Zeichnerin, weiß die Kuratorin der Ausstellung Ute Wegmann.

Ute Wegmann im Gespräch mit Burkhard Müller-Ullrich |
    Burkhard Müller-Ullrich: Man soll ja niemanden für seine Verwandten haftbar machen oder über seine Verwandten definieren. Und vor allem soll man als Moderator nicht jemanden vorstellen als Tochter von. Aber ich tue das jetzt doch und entschuldige mich dafür, denn wir sprechen mit Ute Wegmann, über die Tochter von Alfred Kerr, meinem Feuilleton-Halbgott neben Kurt Tucholsky und Karl Krauss. Judith Kerr wird demnächst 90, und aus diesem Anlass haben Sie im Bilderbuchmuseum der Stadt Troisdorf bei Köln eine Ausstellung vorbereitet, in der das Werk der Kinderbuchillustratorin Judith Kerr gezeigt wird. Nicht nur das, aber fangen wir mal damit an. Was sind die Bilderwelten der Judith Kerr?

    Ute Wegmann: Judith Kerr ist bei uns in Deutschland vor allen Dingen bekannt durch "Mog, der vergessliche Kater" und "Ein Tiger kommt zum Tee". Das waren ihre ersten Bilderbücher, die hat sie 1968, 1970 geschaffen. Und das sind Bilderbücher, die recht traditionell sind, die sehr naturalistisch sind. Es sind klar konturierte Figuren, die sie meist auf weißen Grund gesetzt hat und wenig mit Hintergrund arbeitet. Aber wenn wir den Hintergrund haben, wenn wir die Figuren in den Räumen sehen, dann ist es im Grunde genommen auch heute für uns ein Zeitdokument. Und auch für sie selber. Das sagt sie selber, dann bin ich erstaunt und schau und denke, ach, solche Küchenmöbel haben wir damals gehabt. Und in der Tat kann man sagen, die Familie, die zum Beispiel in "Mog" – davon hat sie 17 Bücher geschaffen –, die dort vorgestellt wird, die Familie Thomas mit den beiden Kindern und dem Kater, die altern auch nicht, die sind sozusagen zeitlos. Und man erkennt im Grunde genommen das fortschreitende Alter der Bilderbücher vielleicht an den Frisuren, vielleicht an dem einen oder anderen Muster, das auftaucht, aber die Figuren, die Eltern, die Kinder bleiben zeitlos.

    Müller-Ullrich: Also es ist zunächst mal was fürs Auge, eine Ausstellung mit schönen Bildern aus Kinderbüchern. Aber es ist auch eine Ausstellung, die etwas erzählt, nämlich das Leben von Judith Kerr selbst.

    Wegmann: Es geht natürlich in dem Fall jetzt wirklich auch um ihr Leben. Es ist so, dass wir die Ausstellung auch biografisch angelegt haben. Es gibt also Infografiken, es gibt Fotos, es gibt drei, vier Briefe. Es sind also 44 Originale in dieser Ausstellung zu sehen. Und was auch sehr besonders ist, ist, dass es auch zum Beispiel sechs Bilder, sechs Illustrationen sind aus ihrer Kinder- und Jugendzeit, wo sie mit Wasserfarben gemalt hat und wo man schon tatsächlich wirklich erkennt, was für ein wahnsinnig großes Talent sie hat. Aber natürlich gibt es einen kompletten Raum zu dem Buch, mit dem sie ja vor allen Dingen auch in Deutschland bekannt ist, nämlich "Als Hitler das rosa Kaninchen stahl". Die Trilogie, die sie veröffentlicht hat, 1971 ist das Buch in England erschienen, 1973 in Deutschland, es ist seit 40 Jahren Schullektüre bei uns, weil dort zum allerersten Mal aus der Perspektive eines Kindes in einem Kinder- und Jugendroman von der Flucht einer jüdischen Familie aus Berlin in dem Fall über die Schweiz, über Paris nach England, wo die Familie eine neue Heimat gefunden hat, berichtet wird. Und das war damals schon besonders, und das Buch oder die Trilogie, muss man sagen, es sind ja – zwei Teile folgten dann noch – hat nach wie vor eine unglaubliche Intensität, wenn man das liest, weil es sicherlich das autobiografischste Werk Judith Kerrs ist. Also, wenn man sich dann mit ihr und ihrem Leben beschäftigt hat, dann findet man im Grunde genommen ganz, ganz viele Details. Nun hat sie selber aber gesagt, sie wollte keine Autobiografie schreiben. Sie wollte das fiktionalisieren, weil sie sagt, so viele Erinnerungen sind verblasst, und wenn man eine Autobiografie schreibt, dann muss alles stimmen, dann muss alles wahr sein. Und diesem Druck wollte sie sich damals nicht aussetzen, und hat dann eben auch, um dramaturgische Freiheiten zu haben, fiktionalisiert. Und wir haben jetzt in Troisdorf ganz viele Kapitel-Vignetten, und das ist schon ganz toll, dass wir das alles ausleihen konnten für diese Ausstellung, die übrigens, das muss man auch sagen, die allererste in Deutschland ist, weil sie hier natürlich in erster Linie als Schriftstellerin bekannt ist, und sie selber legt doch so viel Wert darauf. Das hat sie – ich durfte sie ja interviewen – in einem Interview zu mir gesagt, dass sie Zeichnerin ist. Sie versteht sich nicht als Schriftstellerin.

    Müller-Ullrich: Danach wollte ich sie zum Schluss noch fragen. Es war viel von Material die Rede. Aber man kann die Person selbst auch noch sehen, sprechen. Wie haben Sie sie erlebt?

    Wegmann: Ja, ich habe sie getroffen, 2011 in Barns, wo sie seit 50 Jahren lebt, und ich muss schon ganz ehrlich sagen, ich war schon sehr berührt. Das hat lange gedauert, bis wir den Termin festmachen konnten. Und sie ist einfach eine wahnsinnig interessante Dame. Sie ist sehr freundlich, sehr aufgeschlossen. Sie hat deutsch mit mir gesprochen die ganze Zeit, und als sie dann gemerkt hat, dass sie nicht mehr so gut die Wörter gefunden hat, dann hat sie dann gesagt, so, jetzt wäre unsere Zeit auch um, sie müsste wieder arbeiten. Und sie arbeitet nach wie vor, sie zeichnet jeden Tag, sie geht jeden Tag in den ersten Stock hoch. Sie sagt selber auch, es ist so schade, dass mein Vater nicht mehr sehen konnte, wie schön die Welt geworden ist. Und das ist ihr nach wie vor ein ganz großes Anliegen, das zu betonen, dass sie ein sehr glückliches Leben hatte.

    Müller-Ullrich: Danke, Ute Wegmann. Ihre Ausstellung im Bilderbuchmuseum Troisdorf beginnt am Wochenende, und Judith Kerr kommt, 90-jährig, demnächst wieder auch nach Deutschland, und zwar zur Vergabe des Alfred-Kerr-Darstellerpreises in Berlin.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.