Archiv


"Sie war eine eigenständige Persönlichkeit"

Mit 91 Jahren ist Loki Schmidt, die Frau des Altkanzlers, in Hamburg gestorben. "Sie lebte auch nicht von dem Glanz des Amtes ihres Mannes, sie lebte aus sich selbst, aus ihren eigenen Ambitionen", sagt der ehemalige WDR-Intendant Friedrich Nowottny.

Friedrich Nowottny im Gespräch mit Friedbert Meurer | 22.10.2010
    Friedbert Meurer: Am 3. März 1919 kam in Hamburg das Arbeiterkind Hannelore Glaser zur Welt. Von aller Welt wurde sie Loki genannt. Loki Schmidt, die Ehefrau des früheren Bundeskanzlers Helmut Schmidt, ist gestern im Alter von 91 Jahren gestorben. Loki Schmidt war populär, auch weil sie damals in den 70er-Jahren, als ihr Mann Kanzler war, einen anderen, einen neuen Frauentypus in Westdeutschland verkörperte: selbstbewusst, berufstätig als Lehrerin, sie hatte ihren eigenen hanseatischen Kopf neben ihrem berühmten Ehemann. – Hamburg trauert um Loki Schmidt. Friedrich Nowottny war in den 70er-Jahren Leiter des Studios Bonn des WDR, dann wurde er Intendant des WDR und er ist jemand, der Loki Schmidt sehr gut kannte. Guten Morgen, Herr Nowottny!

    Friedrich Nowottny: Ich grüße Sie, Herr Meurer!

    Meurer: Wer sie war, das wissen wir natürlich. Loki Schmidt war die Kanzlergattin. Wie war Loki Schmidt?

    Nowottny: Sie war eine eigenständige Persönlichkeit. Sie war nicht nur die Frau an der Seite des Bundeskanzlers, ihres Mannes; sie suchte ihren eigenen Weg und war ihrem Mann trotzdem nahe. Dieses Meisterwerk persönlicher Beziehungen hat sie ja nun fast 70 Jahre organisiert und durchexerziert, und sie hat es vorgelebt, an der Seite des sehr schwierigen Ehemannes Helmut Schmidt.

    Meurer: Bevor wir auf die Beziehung der beiden zueinander zu reden kommen, Herr Nowottny, an welche Episode erinnern Sie sich gerne und am intensivsten?

    Nowottny: Sie war sehr unkompliziert, auch im Umgang mit Journalisten. Wenn sie sich den Fotografen stellte, was selten genug war – sie mochte das alles nicht -, dann fielen ihr schon Formulierungen ein, "seht her, ich bin die Großmutter von Dschingis Khan", und als keiner der Journalisten vor Lachen sich ausschüttete, sagte sie, "einer hätte ja wenigstens lachen können".

    Meurer: Wieso war sie die Großmutter von Dschingis Khan? Was hieß das?

    Nowottny: Das hat sie gemeint, sie sehe so aus, wie sie sich die Großmutter von Dschingis Khan vorstellt. Na gut, die Journalisten waren so viel Selbstironie einfach nicht gewohnt. – Sie ging auch unters Volk. Sie mischte sich unters Volk, wie man so schön sagt. Ich musste einmal Würstchen verkaufen, als ich "Wetten, dass… ?" verloren hatte, in dem Pavillon vor dem Bundestag, der jetzt übrigens denkmalgeschützt irgendwo herumsteht. Sie kam plötzlich. Als Hunderte von Menschen da standen, war Loki Schmidt eine von ihnen, die mitten drin stand, und kaufte mir ein Würstchen ab. Es war alles sehr komisch.
    Sie war ja als Botanikerin auch eine selbstverständliche Persönlichkeit, die man traf, wenn man in den wunderbaren botanischen Garten in Bonn ging, wie man sie überall traf, wo botanische Gärten oder zoologische Gärten zu besuchen waren, auch auf Auslandsreisen.

    Meurer: Man kann sich schwer vorstellen, dass Helmut Schmidt bei Ihnen damals auch Würstchen gekauft hätte. Er war der Mürrische. War er da ganz anders als seine Ehefrau? War sie eher der fröhliche Charakter?

    Nowottny: Sie war der unkompliziertere Charakter, jedenfalls nach außen hin. Sie war eine sensible Frau und sie wusste, wann ihr Mann sie brauchte. Sie hat ja die schweren Terrorjahre der RAF-Bedrohung miterlebt. Sie hat all das erlebt, was sich um die Ermordung von Politikern und herausragenden Wirtschaftsleuten entwickelt hatte. Sie litt darunter, aber sie blieb tapfer bei ihm und sie ging den Weg konsequent gemeinsam an seiner Seite.

    Meurer: Gegenüber dem Regisseur Heinrich Breloer in dem Film "Das Todesspiel" hat Helmut Schmidt etwas Bemerkenswertes gesagt vor dem Hintergrund der RAF-Anschläge, nämlich, dass er und seine Frau sozusagen ein Testament aufgesetzt haben. Wenn er von der RAF entführt wird, darf er nicht freigehandelt werden. Wenn seine Frau entführt wird, darf sie nicht freigehandelt werden. Wie ist so etwas möglich? Ist das eine Disziplin, wie man sie sich heute kaum noch vorstellen kann, oder vielleicht sogar lieblos?

    Nowottny: Dies ist etwas in den beiden Beziehungen, in dem sie auch wiederfinden, was deren Auffassung von Pflicht dem Land gegenüber sein könnte. Beide waren sich klar darüber, dass jeder Versuch der Freipressung einen Preis hat, und diesen Preis würde das Land bezahlen müssen, Deutschland bezahlen müssen, und da waren beide der Meinung, das wollen wir nicht, wir sind in dieser Position, du bist Bundeskanzler, ich deine Frau, das ist alles mit Pflichten, mit Lasten verbunden, und wir sind bereit, sie zu tragen. Das war schon bemerkenswert.

    Meurer: Herr Nowottny, in Beziehungen, in Ehen erlebt man häufig, dass ein Partner führt. Bei den Schmidts dürfte es wahrscheinlich schwerfallen zu entscheiden, wer geführt hat, oder?

    Nowottny: Helmut Schmidt hat natürlich immer wieder den Versuch unternommen, unter Beweis zu stellen, dass er der großartige Feldherr auch auf dem Ehehügel ist. Aber Loki hat das mit einem unglaublichen Humor auf eine Art und Weise zurechtgerückt, dass er Versuche dieser Art bald unterlassen hat. Nein, beide begegneten sich auch gegenüber der Öffentlichkeit, gegenüber Journalisten frotzelnd und entspannt und ließen all das, was die Spannung innerhalb dieser Ehe auch ausgemacht hat. Herbert Wehner hat einige Male gesagt, "jetzt bring mal die Sache mit Loki in Ordnung". Da hat es in früheren Jahren Probleme gegeben. Er brachte es in Ordnung und er hat es nicht bedauert. Nein, er war nicht die Nummer 1 in der Ehe, sie waren beide gleichberechtigt und sie haben beide darauf geachtet, dass es auch so über die Jahre hinweg geblieben ist.

    Meurer: Damals in den 70er-Jahren, Herr Nowottny, kam die Frauenbewegung auf. Ich glaube, Loki Schmidt hatte da streng genommen nichts mit am Hut. War sie trotzdem eine Vorbildfigur für die Frauen damals?

    Nowottny: Sie war unbestreitbar eine emanzipierte Frau, noch ehe der Begriff "emanzipiert sein" in der öffentlichen Diskussion eine Rolle spielte. Sie war eine eigenständige Persönlichkeit. Sie lebte auch nicht von dem Glanz des Amtes ihres Mannes, sie lebte aus sich selbst, aus ihren eigenen Ambitionen. Sie war ja eine nun inzwischen mehrfach geehrte und berühmte Frau, die sich nicht nur in der Welt der Blumen auskannte, die nicht nur Biotope schuf, die nicht nur großartig bewandert war in diesen Dingen. Nein, sie war eben auch jemand, der als Persönlichkeit schlicht und einfach auch eingestehen konnte, was sie für ihren Mann bedeutet hat. "Ich habe ihn studieren lassen" ist einer ihrer Sätze, denn Helmut Schmidt kam aus dem Krieg und hatte wie alle, die aus dem Krieg kamen, nichts, nichts außer sich selbst und sein Leben. Da hat sie eben dafür gesorgt, dass er studieren konnte, denn sie hatte ja schon als Lehrerin einen Beruf. Nein, sie war eine Frau aus eigenständigem Selbstbewusstsein, das gewachsen war in den schweren Jahren des Krieges, das gewachsen war in den schweren Belastungen, die die Politik für einen so herausragenden Mann, wie Helmut Schmidt es ist, mit sich bringt.

    Meurer: Der Journalist Friedrich Nowottny heute Morgen im Deutschlandfunk über Loki Schmidt, die gestern im Alter von 91 Jahren gestorben ist. Danke, Herr Nowottny, auf Wiederhören.

    Nowottny: Ich danke Ihnen. Tschüss!

    Mehr dazu bei dradio.de:
    Loki Schmidt ist tot - Trauer um Frau von Ex-Bundeskanzler Helmut Schmidt