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Sieben Jahre nach Fukushima
Japans Regierung kämpft um Eindruck von Normalität

Am 11. März vor sieben Jahren kam es zur Atomkatastrophe von Fukushima. Jetzt werden immer mehr Besiedlungsverbote für Städte und Dörfer aufgehoben. Dass die Reststrahlung tatsächlich keine Gesundheitsgefahr mehr darstellt, davon lassen sich die Menschen aber nur schwer überzeugen.

Von Jürgen Hanefeld | 10.03.2018
    Eine Frau betet und legt Blumen nieder an der Stelle an der ihr Haus stand, das durch den Tsunami, der auch das nahegelegene Kernkraftwerk Fukushima beschädigt hat, zerstört wurde.
    Eine Frau legt Blumen an der Stelle ab, an der ihr Haus vor dem Tsunami stand. (dpa / picture alliance / Koichi Kamoshida)
    Sie geben sich redlich Mühe, die Mitarbeiter im "Zentrum für Agrartechnologie" von Fukushima. Fische, Fleisch, Gemüse werden kleingehackt und in bleischweren Halbleiterdetektoren mindestens 30 Minuten lang auf Radioaktivität hin getestet. Mit wissenschaftlicher Akribie wird bewiesen, dass diese Proben einwandfrei sind.
    "Alles, was angebaut oder gezüchtet ist, kann man bedenkenlos essen. Selbst die Pilze, die von Menschen kultiviert wurden, sind unschädlich", sagt der Vize-Direktor des Labors, Kenji Kusama. In den vergangenen sieben Jahren habe man hier 200.000 Produkte getestet. Auch wenn der Zahlenwirrwarr der Messtabellen für Laien kaum lesbar ist, am Ende steht meist: N.D., die englische Abkürzung für "nicht nachweisbar".
    "In den ersten zwei Jahren nach dem Unfall habe ich meiner Tochter keine Lebensmittel aus dieser Region gegeben. Aber jetzt, sie ist 16, essen wir ohne Sorge die Agrarprodukte aus Fukushima."
    Genau das ist die Botschaft an die Besucher der Forschungsanstalt. Nicht die Lebensmittel sind schädlich, so die Parole, sondern Gerüchte, die den Leuten Angst machen. Wie gerufen kam da vor ein paar Tagen auch noch die Nachricht, sogar Thailand importiere jetzt zum ersten Mal wieder Fische aus Fukushima!
    Nur die japanische Öffentlichkeit lässt sich schwer davon überzeugen. Ist sieben Jahre nach dem Super-Gau im Atomkraftwerk Fukushima wirklich alles wieder normal? Nun ja, sagt Kusama, mit Ausnahmen.
    "Im August und September vergangenen Jahres hat es sowohl in Tokio als auch hier Fukushima mehr geregnet als üblich. Das radioaktive Cäsium von den Bergen wurde in die Flüsse gespült, die Fische wurden stärker verstrahlt als sonst."
    Belastung 2017 höher als im Vorjahr
    Duch wildes Gemüse und Pilze aus dem Wald sind hoch belastet. Und Wildschweine. Es ist eben alles komplizierter als gedacht. Greenpeace hat festgestellt, dass mancherorts in Fukushima die radioaktive Belastung 2017 höher gewesen sei als 2016, weil bei Regen die verstrahlte Erde über die Flüsse bergab gespült wird. Kindern muss verboten werden, im Wald zu spielen. Nobuhide Takahashi, der stellvertretender Direktor für Revitalisierung, die Wiederbelebung Fukushimas, räumt ein:
    "Die Flächen bis 20 Meter um die Wohnbereiche herum werden dekontaminiert. Aber die Wälder, die Menschen normalerweise nicht betreten, werden nicht entgiftet."
    Arbeiter in Schutzkleidung beginnen am 25.12.2017 in Futaba, Präfektur Fukushima (Japan) mit den Dekontaminationsarbeiten auf dem radioaktiv belasteten Gelände. Die japanische Regierung will das Gebiet ab Frühjahr 2022 wieder bewohnbar machen. 
    Dekontaminationsarbeiten bei Kernkraftwerk Fukushima Daiichi (dpa / picture alliance / kyodo)
    Trotzdem werden Zug um Zug die Evakuierungsanordnungen für die Dörfer rund um die strahlende Kraftwerkruine aufgehoben, vor allem, damit der Staat endlich die Entschädigungszahlungen einstellen kann.
    "Wir halten die Rückkehr der Einwohner im Grunde genommen für sicher. Denn die Evakuierungsanordnung wird ja erst dann aufgehoben, wenn die Infrastruktur wieder in Ordnung und die Strahlung gesunken ist."
    Prämien für Menschen, die zurückziehen
    Soll heißen: Es geht bergauf. In diesem Frühjahr wird das Besiedlungsverbot für fünf weitere Städte und Dörfer eingestellt. Man setzt vor allen Dingen auf junge Familien. Von ursprünglich 6000 Bewohnern der Ortschaft Itate sind aber bisher nur 500 zurückgekehrt. Unsummen steckt der Staat deshalb in neue Schulen. 27 Millionen Euro hat allein die gerade fertig gestellte Grund- und Mittelschule in Itate gekostet. Aber die Zahl der Schulkinder liegt, gemessen am Stand vor der Katastrophe, bei weniger als zehn Prozent. Und das, obwohl die Präfektur mit kostenlosen Schulbussen und Schulspeisungen lockt. In Kawauchi sind immerhin knapp 40 Prozent der Kinder zurückgekehrt, aber nur, weil die Gemeinde den Eltern pro Kind und Monat umgerechnet 230 Euro Unterstützung zahlt. Die Verzweiflung ist so groß, dass der Ort jetzt Leuten, die nie dort gewohnt haben, eine Prämie in Höhe von 3.800 Euro zahlt, wenn sie nach Kawauchi ziehen. 16 Personen seien bisher darauf eingegangen.
    Riskieren sie für Geld ihre Gesundheit? Greenpeace warnt. Zwar sei die Strahlung in den vergangenen sieben Jahren zurückgegangen. Aber es gebe weiterhin Hotspots, wo es viel stärker strahlt als ein paar Meter weiter.
    "Unsere Messungen beweisen, dass jeder Rückkehrer ein signifikantes Risiko für seine Gesundheit und seine Sicherheit eingeht", sagt Kazue Suzuki von Greenpeace Japan. "Die japanische Regierung muss damit aufhören, die Menschen in ihre alte Heimat zurück zu zwingen."
    Japan muss internationalen Grenzwert anpassen
    Der Zwang entsteht vor allen Dingen dadurch, dass die Betroffenen keine Entschädigungen mehr erhalten, wenn die Evakuierungsanordnung aufgehoben ist. Die Messlatte lag bisher beim Strahlungswert von 20 Millisievert pro Jahr, 20 mal höher als international üblich. Doch just am Donnerstag dieser Woche hat sich hier etwas Entscheidendes getan: In der Menschenrechtskommission der UNO hat Deutschland durchgesetzt, dass Japan den weltweit üblichen Grenzwert von einem Millisievert akzeptiert. Jan Vande Putte, Atomspezialist von Greenpeace, spricht von einem wichtigen Fortschritt:
    "Das hat eine große Bedeutung für Leute, die zur Rückkehr in hoch verstrahlte Gegenden gezwungen werden und sich großen Gefahren aussetzen, die aber ohne Entschädigung gar keine Alternative haben. Wenn Japan jetzt wirklich seinen Grenzwert auf ein Millisievert heruntersetzt, wie es Deutschland und übrigens auch Greenpeace wollen, dann muss Japan auch seine Politik ändern und die Rechte der Bewohner wahren, indem sie ihnen die Wahl lassen, ob sie zurückkehren wollen oder nicht."
    Wer das Geld dazu hatte, hat sich allerdings nach sieben Jahren längst woanders eine neue Heimat geschaffen. Warum jetzt ein zweites Mal umziehen? Bis heute sind vor allem alte Menschen zurückgekehrt, aus Mangel an Alternativen. Noch immer leben mehr als 50.000 in Behelfsunterkünften. Die Selbstmordrate ist hoch, die Lebensqualität niedrig. Noch immer liegen Halden schwarzer Säcke in der Landschaft, sie enthalten nach offiziellen Schätzungen mehr als 15 Millionen Kubikmeter leicht verstrahlter Erde.
    Verbraucher misstrauen Produkten aus Fukushima
    Nur die Entschädigungen für Fukushimas Fischer laufen unbegrenzt weiter. Trotzdem sind sie in einer verflixten Situation. Sie können nur noch zehn Prozent dessen absetzen, was sie früher aus dem Meer gezogen haben. Nicht, weil ihre Fische verstrahlt wären, sondern weil die Großhändler auf dem Fischmarkt in Tokio keinen Fisch aus Fukushima kaufen. Sie fürchten, ihn nicht loszuwerden. Hisashi Maeda, Chef der Fischkutterkooperative, klagt:
    "Radioaktives Material sieht man leider nicht. Man schmeckt es nicht, man riecht es nicht. Umso nervöser sind die Verbraucher. Heute noch. Das ist sicher einer der Gründe, die den Verkauf der Produkte aus Fukushima bremsen."
    Deswegen haben es die Fischer bis heute geschafft, sich Entschädigungen des AKW-Betreibers TEPCO zu sichern. Und zu verhindern, dass Wasser aus der Kraftwerksruine ins Meer verklappt wird. Selbst das gereinigte Wasser, das sie durch ihre Filteranlagen geschickt haben, wird weiterhin in Tanks aufgehoben.
    "Wenn Tepco Wasser ins Meer leitet, wird darüber sofort berichtet. Dann reagieren die Verbraucher noch empfindlicher. Das wollen wir Fischer nicht. Deswegen sind wir strikt gegen die Einleitungen."
    Wenigstens die Fische vor der Küste Fukushimas haben dadurch ein langes Leben.