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Sieg oder Niederlage für Russland?

US-Präsident Barack Obama und der russische Präsident Dmitri Medwedew wollen ein neues Abkommen über die atomare Abrüstung unterzeichnen. Diese Art Neubeginn in den Beziehungen beider Länder wird von russischen Militärexperten zwar durchaus wohlwollend, zugleich aber nüchtern gesehen.

Von Robert Baag | 08.04.2010
    Noch fehlen die Unterschriften von US-Präsident Barack Obama und seines russischen Amtskollegen Dmitri Medwedew unter dem novellierten START-Abkommen, das heute von beiden in Prag unterzeichnet werden soll.

    Wohl nicht zuletzt deshalb machte Moskaus Chefdiplomat Sergej Lawrow jetzt mit entschlossener Miene noch einmal deutlich, dass für Russlands Führung natürlich weiterhin unverhandelbar gelten werde:

    "Der Zusammenhang zwischen START und den US-Raketen-Abwehr-Plänen ist im Vertragstext genau formuliert worden, mithin juristisch bindend. Er fixiert zudem den aktuellen Stand der jeweiligen strategischen Abwehrsysteme. Wird diese Rangordnung verändert, ist es beiden Seiten erlaubt zu entscheiden, ob und in welchem Umfang sie sich weiter am Abbau strategischer Angriffswaffen beteiligen wollen."

    So lautet die offizielle Lesart Moskaus. Sie gestattet es, nach Medwedews Signatur unter den novellierten START-Abrüstungsvertrag das Ratifizierungsverfahren einzuleiten. In den beiden Häusern des russischen Parlaments, der Duma und dem Föderationsrat, dürfte es dabei für Medwedew einfacher werden als für Obama im US-Kongress.

    Allenfalls die Kommunisten und der eine oder andere Abgeordnete aus der sogenannten Liberaldemokratischen Partei LDPR des Populisten Wladimir Schirinowski könnten versuchen, das Vertragswerk als zu nachgiebig gegenüber den USA zu kritisieren. Aber: Durchgewinkt wird es am Ende dann doch - dank sanfter, wenn auch nachdrücklicher Regieanweisungen aus dem Kreml und der russischen Regierung. Es wäre schließlich nicht das erste Mal. Außenminister Lawrow hatte bereits kurz nach der bilateralen Einigung, Ende März, versprochen, dass das Dokument den Volksvertretern noch im April vorgelegt werde.

    Dieser Neustart in den amerikanisch-russischen Beziehungen wird von russischen Militärexperten zwar durchaus wohlwollend, zugleich aber nüchtern gesehen. Während die nuklearen Gefechtsköpfe der USA noch mindestens ein Jahrzehnt einsatzfähig seien, könne Moskau nun seine veralteten atomaren Geschosse entsorgen, bevor sie zu einem unkalkulierten und kostenintensiven Risiko würden. Weil dies aber den amerikanischen Experten nicht entgangen sei, hätten die Russen am Ende bei den amerikanischen Raketen-Schutzschild-Plänen gegen den Iran oder Nordkorea einlenken müssen - auch wenn Lawrow dies gesichtswahrend anders dazustellen versucht hat:

    "Die Russische Föderation wird das Recht haben, aus dem START-Vertrag auszusteigen, wenn die quantitative und qualitative Raketenabwehr der USA Standards anzunehmen beginnt, die einen fassbaren Einfluss auf die Wirksamkeit der russischen Atomwaffen ausüben könnten. Es versteht sich, dass wir dabei selbst über das Ausmaß dieses Einflusses entscheiden werden."

    Zu einer leidenschaftslosen Analyse des novellierten START-Abkommens, schreibt der bekannte russische Militär-Publizist Aleksandr Gol'c, gehöre im Übrigen der Hinweis, dass trotz der als sensationell empfundenen Absenkung des jeweiligen Nuklear-Sprengkopf-Arsenals auf 1550 atomare Gefechtsköpfe die gegenseitige mehrfache Overkill-Kapazität nach dem Grundmuster des Kalten Kriegs weiter bestehen bleibe.

    Wichtig indes - da sind sich die meisten russischen Beobachter allerdings auch einig - sei die Signalwirkung des in Prag novellierten START-Abkommens: Russland und die USA zögen bei der nuklearen Abrüstung wieder an einem Strang. Auch der Iran und Nordkorea würden dies zur Kenntnis nehmen müssen. Und selbst der oberste Militär Russlands, Generalstabschef Nikolai Makarow, strahlt - bündig platziert in das nukleare Tauwetterklima - Zufriedenheit ins Publikum aus: "Die erzielten Vereinbarungen", so der Vier-Sterne-General, "beseitigen die gegenseitigen Besorgnisse und entsprechen in vollem Umfang den Interessen der Verteidigungsfähigkeit und der nationalen Sicherheit der Russischen Föderation".