
Die ersten Stühle in der Philharmonie Essen leerten sich bereits, das geplante Ende des politischen Forums Ruhr war bereits überschritten, als sich ein Vertreter der Stahlindustrie zu Wort meldete - und es doch noch zur Konfrontation kam: "Was ich aber in der Rede vermisst habe, ist der energetische Teil. Sie sind ja auch Energieminister."
Exakt 59 Minuten hatte Gabriel zuvor über das Ruhrgebiet gesprochen, die Wandlungs- und Anpassungsstärke der Region gelobt, Unterstützung für die kommenden, notwendigen Infrastruktur-Maßnahmen versprochen und sich ansonsten dem vorgegebenen Thema Digitalisierung gewidmet: IT-Sicherheit "made in Germany" könne zu einem Standortvorteil werden, so Gabriel, gerade weil Wissenschaftler und auch Unternehmer um ihre Daten und Informationen fürchteten: "Ich kenne ein paar Mittelständler, wenn ich denen etwas von einer Cloud erzähle - das klingt schon wie stehlen."
Doch das alles half - ein paar hundert Metern vom Stammsitz des Energie-Konzerns RWE entfernt, der mit den Folgen der Energiewende kämpft - nichts. Trotz des Themas Industrie 4.0 - es ging schlussendlich wieder um die Energieabgabe. Und der Ton wurde rauer: "Warum ist die Bundesregierung nicht wirklich so stabil und so aggressiv, um diese Energiewende endlich in den Papierkorb zu schmeißen?"
Gabriel nimmt die Konfrontation an
"Ja, weil sie sich bei ihrer politischen Meinung, dass man bei der Atomenergie bleiben sollte, nicht durchgesetzt haben." Gabriel nahm - inmitten der Energiestadt Essen - die Konfrontation an und gab sich zuversichtlich: "Wir werden diese Herausforderung schaffen, aber dafür müssen wir in dieser Legislaturperiode endlich mal die losen Fäden der Energiewende miteinander verknüpfen, aber was wir nicht machen müssen, ist zurückkehren zur Atomenergie oder die Abkehr von Klimaschutzzielen."

Ein erster Applaus - und einmal in Fahrt, legte der Vizekanzler nach. Er habe doch die Industrie zu Gesprächen über das Erreichen der Klimaziele eingeladen. Aber: "Die Antwort der Energieunternehmen, auch der hier ansässigen, war: Herr Gabriel, wir wollen mit ihnen darüber nicht reden."
Direkt vor Gabriel, in der ersten Reihe, saßen beispielsweise der ehemalige Chef von RWE, Jürgen Großmann, sowie der Vorsitzende der Gewerkschaft IGBCE, Michael Vassiliadis, der in Gabriels anschließendem Vortrag als Kronzeuge für die nun laufenden Vermittlungen herangezogen wurde. Denn eines, so Gabriel, sei klar: Extrempositionen würden in diesem Streit nicht weiterhelfen: "Wir werden, denke ich, im Juni das Thema so klären, dass niemand Sorge haben muss, dass Strukturbrüche und Massenarbeitslosigkeit in der Braunkohle passieren."
Gabriel gelingt die abschließende Pointe
Auch für den Netzausbau und den Widerstand Bayerns sowie der CSU werde man Lösungen finden, so Gabriel. Mit der Energiewende hätten die Deutschen etwas gemacht, was sich andere nicht zutrauen würden - und auch der erneute, schnellere Atomausstieg sei gewagt: "Das ist eine Operation am offenen Herzen, in der man mittendrin Diagnose und Therapie wechselt. Dass der Patient noch lebt, hat viel mit der guten Konstitution des Patienten zu tun und wenig mit der Kunst der Chefärzte."
Und so endete der Abend in Essen für den Wirtschaftsminister nicht nur versöhnlich, dem Mann aus dem niedersächsischen Goslar gelang auch die abschließende Pointe: "In einer Hinsicht könnte ich aus dem Ruhrgebiet kommen: Ich bin auch Mitglied im Verein für deutliche Aussprache." Und Letzteres dürften auch die Energiekonzerne einmal mehr als deutlich vernommen haben.