Jochen Fischer: Gerade haben die Iren ein deutlich zu vernehmendes Stoppzeichen gesetzt, da spricht die deutsche Regierungschefin von Dynamik. Wie passt das zusammen? Das möchte ich Silvana Koch-Mehrin fragen. Sie sitzt für die FDP im Europaparlament. Guten Morgen!
Silvana Koch-Mehrin: Guten Morgen!
Fischer: Hat die Kanzlerin recht, wenn sie sagt, die Dynamik sei jetzt gerettet?
Koch-Mehrin: Ich glaube, da ist ein bisschen Sich-selbst-Mut-Zusprechen dabei, denn im Grunde herrscht große Ratlosigkeit und auch bei dem Gipfel hier hat man gesehen, es geht vor allem drum, erst mal Gesicht zu wahren und um zu gucken, dass irgendwas was weitergeht.
Fischer: Jetzt soll der Ratifizierungsprozess ja weitergehen. Wie bewerten Sie das? Ist das richtig?
Koch-Mehrin: Ich halte es für richtig, dass die anderen Länder der EU den Lissabon-Vertrag ratifizieren. Denn das ist ja etwas, was als neue Arbeitsgrundlage wirklich dringend gebraucht wird. Nur bringt es ja nicht die Antwort darauf, was macht man jetzt mit den Iren, was macht man mit Irland.
Bisher heißt es, dass jedes Mitgliedsland den Vertrag ratifiziert haben muss, damit er in Kraft tritt. Und solange die Iren bei ihrem Nein-Votum bleiben, stellt sich da erst mal ein großes Fragezeichen an.
Fischer: Es müssen also noch weitere Staaten ratifizieren. Sie haben es schon gesagt. Aber auch da gibt es ja unsichere Kantonisten, zum Beispiel Tschechien.
Koch-Mehrin: Richtig, ja. Sie haben noch ein Verfahren laufen, beim dortigen Verfassungsgericht. Und das ist fraglich, ob das dieses Jahr noch zum Abschluss kommen wird. Auch der Ausgang ist fraglich, nämlich ob das dann dazu führt, dass die tschechische Regierung sagt, stimmt, diesen Vertrag können wir ratifizieren, oder es eben sein lassen.
Aber ich glaube, das sind ja alles solche Dinge, wo man auch als EU dann, denke ich schon, auch den Mut haben sollte zu sagen, Leute, entweder wir machen weiter auf Basis des Lissabon-Vertrags mit der Europäischen Integration oder diejenigen, die den Vertrag nicht wollen, die sollen halt die anderen nicht blockieren, die das wollen, und dass man darüber auch mal anfängt zu diskutieren.
Fischer: Wie meinen Sie das genau, das Europa der zwei Geschwindigkeiten?
Koch-Mehrin: Ja, das gibt es bereits, es wird nur nicht offen ausgesprochen. Es gibt Länder, die den Euro nicht wollen. Es gibt Länder, die die freie Reisemöglichkeit, das Schengenabkommen nicht ratifizieren. Es gibt Länder, die sich ganz viele Ausnahmen ausbedingen, in Bereichen Justiz und innere Grundrechte. Viele, viele Sachen gibt es da schon.
Es gibt diese unterschiedlichen Geschwindigkeiten. Und ich meine, dass die EU auch stark genug ist, das benennen zu können und zu sagen, wenn die Länder, die weitermachen wollen, dass man die nicht blockiert und anderen eben dann eine andere Form der Zusammenarbeit jetzt anbietet.
Fischer: Wie sehen das denn Ihre Kollegen im Europäischen Parlament, diesen Vorschlag?
Koch-Mehrin: Es gibt manche, die das auch so sehen, und manche, die das nicht so sehen, wie das in Parlamenten immer so ist, dass da Meinungsvielfalt herrscht. Aber es gibt durchaus eine ganze Reihe von Vertretern, die sagen, es ist wirklich fatal, dass man eine Vertragsänderung nicht hinbekommt, wobei man diesen Vertrag schon vor den Erweiterungen der EU, vor 2004 hätte ratifizieren sollen, damit man eine neue Arbeitsgrundlage hat.
Und bevor man immer wieder sich selbst blockiert, muss man auch einfach mal die Lehre draus ziehen, dass hier vielleicht dann doch ein paar Dinge in den letzten Jahren etwas in die falsche Richtung gelaufen sind.
Fischer: Wie kann man den Iren denn die Entscheidung schmackhaft machen, doch noch zuzustimmen?
Koch-Mehrin: Ich glaube, es ist zweierlei. Zum einen, dass man die Tragweite der Entscheidung klarmacht, zu sagen, es geht hier wirklich drum, Mitgliedschaft in der EU auf Basis des Lissabon-Vertrags: ja oder nein. Und der zweite Punkt ist, etwas, was überhaupt nicht ausschließlich für Irland gilt, sondern insgesamt, dass man diese fürchterliche Entfernung, die es gibt, zwischen den EU-Institutionen und den Bürgern Europas, dass man diese Entfernung verringert.
Und ich glaube, dass direkte Demokratie ein richtiger Weg dafür ist. Nur kann es nicht so gehen, dass man es auf die leichte Schulter nimmt, ach ja, ist eine sichere Sache, die Leute werden schon mit Ja stimmen. Da gehört dann eben schon sehr viel Überzeugungsarbeit dazu. Es ist eine richtige Bringschuld aller derjenigen, die meinen, dass Europa eine gute Sache ist, dafür immer wieder zu werben.
Fischer: Sie bleiben dabei, Sie sind eine Verfechterin der direkten Demokratie, der Volksabstimmung über den Beitritt zum Lissabon-Vertrag?
Koch-Mehrin: Ich bleibe dabei. Ja, ich habe es auch für einen großen Fehler gehalten, dass man nach dem Nein-Voten in Frankreich und den Niederlanden zum Verfassungsvertrag dann den Weg gegangen ist, dass man bis auf Irland in keinem anderem Land mehr über dem Verfassungsvertrag hat abstimmen können, er eben nur von den Parlamenten ratifiziert wurde.
Ich hätte mir gewünscht, dass man den umgekehrten Schluss draus zieht und sagt, so, wir wollen hier wirklich, dass die Bürgerinnen und Bürger Europas sich selbst einen solchen Vertrag geben, und wir machen europaweit ein Referendum, europaweit einen Volksentscheid dazu. Da ist nämlich auch klar, dass es um eine europäische Sache geht. Denn was wir jetzt ja immer wieder haben, ist, dass nationale Dinge letztendlich die Entscheidung über eine europäische Sache überlagern.
Fischer: Wieso wollen die Iren eigentlich Ihrer Einschätzung nach lieber mit dem bürokratischeren Nizza-Vertrag leben, als mit den weitaus demokratischeren Lissabon-Vertrag?
Koch-Mehrin: Das, was ich gesehen habe, ist, dass es letztendlich gar nicht konkret um den Vertrag ging, sondern es ging um viele Punkte, die mit dem Vertrag dann zusammengebracht wurden, die aber gar nicht zusammengehören.
Schwangerschaftsabbruch legalisieren in Irland, das war eine Befürchtung, dass der Lissabon-Vertrag das bringt. Davon ist kann überhaupt nicht die Rede sein, das ist nicht dort enthalten. Dass Wehrpflicht eingeführt würde in Irland oder auch, dass die militärischen Neutralität aufgegeben würde. Dann haben wir aber so Plakate zum Beispiel "Für das lokale Krankenhaus - Gegen den Lissabon-Vertrag". Dinge, die da zusammengemischt wurden, so dass sich so ein Unsicherheitsgefühl, ein Unmut gegen Europa im Allgemeinen und Besonderen halt dann in einem solchen Nein-Votum entladen hat.
Und der Lissabon-Vertrag bringt ja absurderweise einige Verbesserungen, auch wenn er nicht wirklich der Weisheit letzter Schluss ist. Aber er bringt ein paar Verbesserungen.
Fischer: Haben die Iren diese Verbesserungen nicht verstehen wollen?
Koch-Mehrin: Ich weiß nicht, ob sie es nicht verstehen wollten, aber ich weiß auch gar nicht, wie weit da diejenigen, die für das Ja zum Lissabon-Vertrag waren, tatsächlich ausreichend und kompetent genug gearbeitet haben, dass sie diese Art von positiver Einschätzung haben rüberbringen können. Ich habe es gesehen, dass diejenigen, die für das Nein geworben haben, sehr viel früher mit ihrer Kampagne begonnen haben und auch sehr viel präsenter waren, die ganze Zeit.
Und bei so einem abstrakten Ding wie einem Vertrag geht es ja vor allem drum, das ist im Grunde wie bei einem Medikament, was man verschrieben bekommt von einem Arzt. Die wenigsten werden sich hinsetzen und das im Einzelnen in Zusammensetzung studieren und so auch ihre eigenen Schlüsse ziehen. Es geht drum, dass derjenige, der meint, dass es einem hilft, das darstellt und erläutert und überzeugt, dass es eine gute Sache ist, diesem Ratschlag zu folgen.
Fischer: Die Europaabgeordnete der FDP Koch-Mehrin. Vielen Dank!
Koch-Mehrin: Herzlichen Dank!
Das Gespräch mit Silvana Koch-Mehrin können Sie bis zum 21. November 2008 in unserem Audio-on-Demand-Angebot nachhören. ( MP3-Audio )
Silvana Koch-Mehrin: Guten Morgen!
Fischer: Hat die Kanzlerin recht, wenn sie sagt, die Dynamik sei jetzt gerettet?
Koch-Mehrin: Ich glaube, da ist ein bisschen Sich-selbst-Mut-Zusprechen dabei, denn im Grunde herrscht große Ratlosigkeit und auch bei dem Gipfel hier hat man gesehen, es geht vor allem drum, erst mal Gesicht zu wahren und um zu gucken, dass irgendwas was weitergeht.
Fischer: Jetzt soll der Ratifizierungsprozess ja weitergehen. Wie bewerten Sie das? Ist das richtig?
Koch-Mehrin: Ich halte es für richtig, dass die anderen Länder der EU den Lissabon-Vertrag ratifizieren. Denn das ist ja etwas, was als neue Arbeitsgrundlage wirklich dringend gebraucht wird. Nur bringt es ja nicht die Antwort darauf, was macht man jetzt mit den Iren, was macht man mit Irland.
Bisher heißt es, dass jedes Mitgliedsland den Vertrag ratifiziert haben muss, damit er in Kraft tritt. Und solange die Iren bei ihrem Nein-Votum bleiben, stellt sich da erst mal ein großes Fragezeichen an.
Fischer: Es müssen also noch weitere Staaten ratifizieren. Sie haben es schon gesagt. Aber auch da gibt es ja unsichere Kantonisten, zum Beispiel Tschechien.
Koch-Mehrin: Richtig, ja. Sie haben noch ein Verfahren laufen, beim dortigen Verfassungsgericht. Und das ist fraglich, ob das dieses Jahr noch zum Abschluss kommen wird. Auch der Ausgang ist fraglich, nämlich ob das dann dazu führt, dass die tschechische Regierung sagt, stimmt, diesen Vertrag können wir ratifizieren, oder es eben sein lassen.
Aber ich glaube, das sind ja alles solche Dinge, wo man auch als EU dann, denke ich schon, auch den Mut haben sollte zu sagen, Leute, entweder wir machen weiter auf Basis des Lissabon-Vertrags mit der Europäischen Integration oder diejenigen, die den Vertrag nicht wollen, die sollen halt die anderen nicht blockieren, die das wollen, und dass man darüber auch mal anfängt zu diskutieren.
Fischer: Wie meinen Sie das genau, das Europa der zwei Geschwindigkeiten?
Koch-Mehrin: Ja, das gibt es bereits, es wird nur nicht offen ausgesprochen. Es gibt Länder, die den Euro nicht wollen. Es gibt Länder, die die freie Reisemöglichkeit, das Schengenabkommen nicht ratifizieren. Es gibt Länder, die sich ganz viele Ausnahmen ausbedingen, in Bereichen Justiz und innere Grundrechte. Viele, viele Sachen gibt es da schon.
Es gibt diese unterschiedlichen Geschwindigkeiten. Und ich meine, dass die EU auch stark genug ist, das benennen zu können und zu sagen, wenn die Länder, die weitermachen wollen, dass man die nicht blockiert und anderen eben dann eine andere Form der Zusammenarbeit jetzt anbietet.
Fischer: Wie sehen das denn Ihre Kollegen im Europäischen Parlament, diesen Vorschlag?
Koch-Mehrin: Es gibt manche, die das auch so sehen, und manche, die das nicht so sehen, wie das in Parlamenten immer so ist, dass da Meinungsvielfalt herrscht. Aber es gibt durchaus eine ganze Reihe von Vertretern, die sagen, es ist wirklich fatal, dass man eine Vertragsänderung nicht hinbekommt, wobei man diesen Vertrag schon vor den Erweiterungen der EU, vor 2004 hätte ratifizieren sollen, damit man eine neue Arbeitsgrundlage hat.
Und bevor man immer wieder sich selbst blockiert, muss man auch einfach mal die Lehre draus ziehen, dass hier vielleicht dann doch ein paar Dinge in den letzten Jahren etwas in die falsche Richtung gelaufen sind.
Fischer: Wie kann man den Iren denn die Entscheidung schmackhaft machen, doch noch zuzustimmen?
Koch-Mehrin: Ich glaube, es ist zweierlei. Zum einen, dass man die Tragweite der Entscheidung klarmacht, zu sagen, es geht hier wirklich drum, Mitgliedschaft in der EU auf Basis des Lissabon-Vertrags: ja oder nein. Und der zweite Punkt ist, etwas, was überhaupt nicht ausschließlich für Irland gilt, sondern insgesamt, dass man diese fürchterliche Entfernung, die es gibt, zwischen den EU-Institutionen und den Bürgern Europas, dass man diese Entfernung verringert.
Und ich glaube, dass direkte Demokratie ein richtiger Weg dafür ist. Nur kann es nicht so gehen, dass man es auf die leichte Schulter nimmt, ach ja, ist eine sichere Sache, die Leute werden schon mit Ja stimmen. Da gehört dann eben schon sehr viel Überzeugungsarbeit dazu. Es ist eine richtige Bringschuld aller derjenigen, die meinen, dass Europa eine gute Sache ist, dafür immer wieder zu werben.
Fischer: Sie bleiben dabei, Sie sind eine Verfechterin der direkten Demokratie, der Volksabstimmung über den Beitritt zum Lissabon-Vertrag?
Koch-Mehrin: Ich bleibe dabei. Ja, ich habe es auch für einen großen Fehler gehalten, dass man nach dem Nein-Voten in Frankreich und den Niederlanden zum Verfassungsvertrag dann den Weg gegangen ist, dass man bis auf Irland in keinem anderem Land mehr über dem Verfassungsvertrag hat abstimmen können, er eben nur von den Parlamenten ratifiziert wurde.
Ich hätte mir gewünscht, dass man den umgekehrten Schluss draus zieht und sagt, so, wir wollen hier wirklich, dass die Bürgerinnen und Bürger Europas sich selbst einen solchen Vertrag geben, und wir machen europaweit ein Referendum, europaweit einen Volksentscheid dazu. Da ist nämlich auch klar, dass es um eine europäische Sache geht. Denn was wir jetzt ja immer wieder haben, ist, dass nationale Dinge letztendlich die Entscheidung über eine europäische Sache überlagern.
Fischer: Wieso wollen die Iren eigentlich Ihrer Einschätzung nach lieber mit dem bürokratischeren Nizza-Vertrag leben, als mit den weitaus demokratischeren Lissabon-Vertrag?
Koch-Mehrin: Das, was ich gesehen habe, ist, dass es letztendlich gar nicht konkret um den Vertrag ging, sondern es ging um viele Punkte, die mit dem Vertrag dann zusammengebracht wurden, die aber gar nicht zusammengehören.
Schwangerschaftsabbruch legalisieren in Irland, das war eine Befürchtung, dass der Lissabon-Vertrag das bringt. Davon ist kann überhaupt nicht die Rede sein, das ist nicht dort enthalten. Dass Wehrpflicht eingeführt würde in Irland oder auch, dass die militärischen Neutralität aufgegeben würde. Dann haben wir aber so Plakate zum Beispiel "Für das lokale Krankenhaus - Gegen den Lissabon-Vertrag". Dinge, die da zusammengemischt wurden, so dass sich so ein Unsicherheitsgefühl, ein Unmut gegen Europa im Allgemeinen und Besonderen halt dann in einem solchen Nein-Votum entladen hat.
Und der Lissabon-Vertrag bringt ja absurderweise einige Verbesserungen, auch wenn er nicht wirklich der Weisheit letzter Schluss ist. Aber er bringt ein paar Verbesserungen.
Fischer: Haben die Iren diese Verbesserungen nicht verstehen wollen?
Koch-Mehrin: Ich weiß nicht, ob sie es nicht verstehen wollten, aber ich weiß auch gar nicht, wie weit da diejenigen, die für das Ja zum Lissabon-Vertrag waren, tatsächlich ausreichend und kompetent genug gearbeitet haben, dass sie diese Art von positiver Einschätzung haben rüberbringen können. Ich habe es gesehen, dass diejenigen, die für das Nein geworben haben, sehr viel früher mit ihrer Kampagne begonnen haben und auch sehr viel präsenter waren, die ganze Zeit.
Und bei so einem abstrakten Ding wie einem Vertrag geht es ja vor allem drum, das ist im Grunde wie bei einem Medikament, was man verschrieben bekommt von einem Arzt. Die wenigsten werden sich hinsetzen und das im Einzelnen in Zusammensetzung studieren und so auch ihre eigenen Schlüsse ziehen. Es geht drum, dass derjenige, der meint, dass es einem hilft, das darstellt und erläutert und überzeugt, dass es eine gute Sache ist, diesem Ratschlag zu folgen.
Fischer: Die Europaabgeordnete der FDP Koch-Mehrin. Vielen Dank!
Koch-Mehrin: Herzlichen Dank!
Das Gespräch mit Silvana Koch-Mehrin können Sie bis zum 21. November 2008 in unserem Audio-on-Demand-Angebot nachhören. ( MP3-Audio )