Klaus Remme: Wenn die Debatte der letzten Tage eines gezeigt hat, dann dass Familienpolitik oftmals auf vermintes Gelände führt. Ideologiebelastet und kostspielig, eine für die Betroffenen ungünstige Kombination. SPD und CDU streiten um die Kompetenz auf diesem Politikfeld. Das Ziel einer neuen Familienpolitik schillert von arbeitsmarkt- und bildungspolitischen Aspekten bis hin zur Demographie. Und spätestens gestern ist der Streit dort angekommen, wo es zumal in einer föderalen Struktur wirklich kompliziert wird: bei der Finanzierung. Alle nehmen für sich in Anspruch, zum Wohle der Kinder zu handeln. Dabei steht doch fest: das Ergebnis der bisherigen Familienpolitik, egal ob rot, grün, schwarz oder gelb, war allenfalls mittelmäßig. - Am Telefon ist Heide Simonis, die Vorsitzende von UNICEF Deutschland. Guten Morgen Frau Simonis!
Heide Simonis: Moin Moin!
Remme: Frau Simonis, jetzt in der Funktion bei UNICEF haben Sie doch in den letzten Jahrzehnten Politik mitgestaltet. Familienpolitik ist ein Dauerthema. Entdecken Sie neue Akzente jetzt, oder sagen Sie alles schon mal da gewesen?
Simonis: Nein, da sind neue Akzente hinzugekommen, denn wir wissen jetzt zum ersten Mal relativ sicher, wie die Situation der Kinder in entwickelten Ländern ist und wie die Situation der Kinder in unterentwickelten Ländern ist. Und wir stellen fest: in entwickelten Ländern ist noch einiges zu tun. Bei dieser vergleichenden Untersuchung von UNICEF hat sich das herausgebildet. Insbesondere für uns Deutsche stellt sich dar: Unsere Kinder sind nicht an der Spitze, was Versorgung, was Armutsbeseitigung und ähnliches anbetrifft.
Remme: Was ist für Sie also der wichtigste Grund für eine neue Familienpolitik?
Simonis: Wenn Sie sich zum Beispiel angucken, dass unsere Kinder mit den Engländern die stärksten Trinker sind, also häufig bis sehr häufig alkoholisiert sind. Wenn man davon ausgeht, dass unsere Kinder die stärksten Raucher sind. Wenn man davon ausgeht, dass 40 Prozent der Kinder ohne Frühstück morgens in die Schule gehen. Dann ist die Versorgung nicht gesichert und dann muss man mit dem Satz aufhören, nur in der Familie, nur die Eltern und nur die Mütter garantierten, dass es den Kindern gut geht.
Remme: Und in welche Richtung sollte man also die Familienpolitik steuern, um diesen Verirrungen vorzubeugen beziehungsweise um sie zu kurieren?
Simonis: Die Studie ist zu dem Ergebnis gekommen, dass in Ländern wo die Gesellschaft sich daran macht, Standards zu setzen, also Kinderkrippen ausbaut, Kindergärten ganztags anbietet, Mittagessen, Schulaufgabenhilfe und so weiter, die Situation der Kinder besser ist. Das sind die skandinavischen Länder. Das ist Holland. Überall wo dies abgelehnt wird, strikt abgelehnt wird, da geht es den Kindern ganz besonders schlecht und das ist zum Beispiel die USA und England.
Remme: In der Diskussion der vergangenen Tage und Wochen machte sich ein bisschen der Eindruck breit - zumindest bei einem Lager -, dass der Krippenplatz nur die zweitbeste Lösung ist. Ist diese These zu halten?
Simonis: Ich weiß nicht, wie derjenige der das gesagt hat, auf diese Idee gekommen ist. Nach unseren Untersuchungen ist ein Krippenplatz, ein liebevoller Krippenplatz mit festen Zeiten, bei dem die Mütter und die Eltern auch mal durchatmen können, für Kinder durchaus sehr gut, gut bis sehr gut, und ich kann mir gar nicht vorstellen, was daran für ein Kind schlecht sein soll. Die Diskussion läuft ein bisschen zugespitzt nach dem Motto die jungen Mütter kriegen die Kinder abgenommen, sie dürfen sie nicht mehr selber erziehen. Darum geht es überhaupt gar nicht. Es geht darum, ein Angebot zu schaffen, dass junge Frauen, die gerne arbeiten wollen oder arbeiten müssen, auch weil sie Alleinerziehende sind, mit Sicherheit wissen, mein Kind steht nicht auf der Straße vor dem Kindergarten, sondern es sitzt drin und man passt auf das Kind auf.
Remme: Also bei weitem nicht nur die Notwendigkeit für einen Krippenplatz in sozialen Brennpunkten oder bei Migrantenfamilien?
Simonis: Nein! Ich denke das ist ein generelles gesellschaftliches Problem, wie gehen wir mit Kindern um. Wir haben in der Bundesrepublik festgestellt: Die Armut nimmt zu. Das hat jetzt gerade die EU festgestellt. Wir haben festgestellt, dass unsere Kinder international gesehen im Bildungsbereich nicht immer überall gleichermaßen mitkommen, was natürlich auch für ihre berufliche Zukunft negative Folgen haben kann. Wir stellen fest, dass die Stadtpolitik, die Verkehrspolitik und andere Politiken nicht auf Kinderbedürfnisse und Elternbedürfnisse abgestellt sind, und zerstreiten uns jetzt an dem ideologischen Punkt, darf ein Kind in die Kinderkrippe ja oder nein.
Remme: Frau Simonis, der Staat investiert eine gewaltige Summe von 185 Milliarden Euro in die Familienförderung, wenn man sich alle Leistungen zusammen anschaut. Davon profitieren viele, nur nicht die Geburtenrate. Warum?
Simonis: Man müsste natürlich jetzt jede Frau fragen, warum sie keine Kinder kriegt. Aber guckt man sich die Zahlen an, dann wissen wir, dass insbesondere Akademikerinnen sehr spät oder überhaupt nicht sich einen Kinderwunsch erfüllen. Das hat sehr häufig damit zu tun, dass die Frauen Angst haben, den beruflichen Anschluss zu verpassen. Sie wissen, wenn sie in die Baby-Pause gehen, dann wird der Platz durch jemand anderen besetzt und weil es nicht genügend Möglichkeiten gibt wie überall sonst im europäischen Ausland, verzichten sie eben auf Kinder.
Remme: Die SPD will sechs Milliarden Euro umschichten. Familien sollen die zusätzlichen Leistungen quasi untereinander finanzieren: weniger Kindergeld. Kann diese Rechnung Ihrer Meinung nach aufgehen?
Simonis: Ich habe keine Zahlen vorliegen. Es ist sehr schwierig, das jetzt so einfach zu entscheiden.
Remme: Ich meinte es auch nicht mathematisch. Ich meinte eher den Faktor, dass Familien untereinander praktisch ihre Leistungen finanzieren.
Simonis: Ich wollte nur sagen ich habe den Vorschlag auch gemacht zu sagen, lasst uns ein bisschen sparen am Kindergeld, lasst uns ein bisschen sparen am Ehegatten-Splitting, lasst uns ein bisschen an den Freibeträgen sparen und davon dann die Familien unterstützen, die sich die Kindererziehung zur Aufgabe gemacht haben, für viele, viele Jahre übrigens, und damit auch garantieren, dass die Kinder später mal unsere Altersleistungen auf ihre Schultern packen.
Remme: Also sind Sie der Meinung, dass das Geld was im Moment ausgegeben wird eigentlich ausreichen müsste?
Simonis: Das müsste man sich noch mal genau angucken. Offensichtlich sind die Defizite ja doch so stark, dass Eltern das merken. Das bedeutet man kann das nicht einfach zustopfen, sondern man wird höchstwahrscheinlich auch neue Mittel freimachen müssen. Das ist aber eine Entscheidung, die die Gesellschaft selber zu machen hat, über Politik natürlich. Darüber kann sie dann bei Wahlen entscheiden: soll man mehr für Kinder ausgeben oder soll man weniger. Ich finde es jedenfalls gut, dass endlich über diese Situation diskutiert wird.
Remme: Darüber reden ist ja das eine. Wenn das ganze einmal durch die Mühlen von Bund, Ländern und Kommunen durch ist, wie viel Hoffnung haben Sie, dass es dann zu einer tatsächlichen Veränderung kommt?
Simonis: Jetzt bringen Sie mich sozusagen in die Situation, dass ich eine Note ausgeben sollte. Ich glaube von dem Thema kommen alle drei Ebenen nicht mehr runter. Noch mal nach dem Motto gut, dass wir mal darüber geredet haben, jetzt wollen wir uns anderen Themen zuwenden, wird es nicht geben. Dafür sind die jungen Eltern heute auch viel zu aufgeklärt. Sie wissen wo die Probleme liegen. Sie haben eine feste Vorstellung und können es auch im Ausland sehen, im europäischen Ausland, wie man es anders machen kann. Es ist doch irgendwo schon bewundern, dass die Kinder am besten betreut werden in den skandinavischen Ländern und dass sie dort auch die besten Schulleistungen bringen. Irgendwo hängt doch offensichtlich die Betreuung eines Kindes, die liebevolle Betreuung auch durch staatliche Stellen und die Leistungsfähigkeit eines Kindes zusammen.
Remme: Heide Simonis, die Vorsitzende von UNICEF Deutschland. Frau Simonis, vielen Dank für das Gespräch!
Simonis: Ja, danke!
Heide Simonis: Moin Moin!
Remme: Frau Simonis, jetzt in der Funktion bei UNICEF haben Sie doch in den letzten Jahrzehnten Politik mitgestaltet. Familienpolitik ist ein Dauerthema. Entdecken Sie neue Akzente jetzt, oder sagen Sie alles schon mal da gewesen?
Simonis: Nein, da sind neue Akzente hinzugekommen, denn wir wissen jetzt zum ersten Mal relativ sicher, wie die Situation der Kinder in entwickelten Ländern ist und wie die Situation der Kinder in unterentwickelten Ländern ist. Und wir stellen fest: in entwickelten Ländern ist noch einiges zu tun. Bei dieser vergleichenden Untersuchung von UNICEF hat sich das herausgebildet. Insbesondere für uns Deutsche stellt sich dar: Unsere Kinder sind nicht an der Spitze, was Versorgung, was Armutsbeseitigung und ähnliches anbetrifft.
Remme: Was ist für Sie also der wichtigste Grund für eine neue Familienpolitik?
Simonis: Wenn Sie sich zum Beispiel angucken, dass unsere Kinder mit den Engländern die stärksten Trinker sind, also häufig bis sehr häufig alkoholisiert sind. Wenn man davon ausgeht, dass unsere Kinder die stärksten Raucher sind. Wenn man davon ausgeht, dass 40 Prozent der Kinder ohne Frühstück morgens in die Schule gehen. Dann ist die Versorgung nicht gesichert und dann muss man mit dem Satz aufhören, nur in der Familie, nur die Eltern und nur die Mütter garantierten, dass es den Kindern gut geht.
Remme: Und in welche Richtung sollte man also die Familienpolitik steuern, um diesen Verirrungen vorzubeugen beziehungsweise um sie zu kurieren?
Simonis: Die Studie ist zu dem Ergebnis gekommen, dass in Ländern wo die Gesellschaft sich daran macht, Standards zu setzen, also Kinderkrippen ausbaut, Kindergärten ganztags anbietet, Mittagessen, Schulaufgabenhilfe und so weiter, die Situation der Kinder besser ist. Das sind die skandinavischen Länder. Das ist Holland. Überall wo dies abgelehnt wird, strikt abgelehnt wird, da geht es den Kindern ganz besonders schlecht und das ist zum Beispiel die USA und England.
Remme: In der Diskussion der vergangenen Tage und Wochen machte sich ein bisschen der Eindruck breit - zumindest bei einem Lager -, dass der Krippenplatz nur die zweitbeste Lösung ist. Ist diese These zu halten?
Simonis: Ich weiß nicht, wie derjenige der das gesagt hat, auf diese Idee gekommen ist. Nach unseren Untersuchungen ist ein Krippenplatz, ein liebevoller Krippenplatz mit festen Zeiten, bei dem die Mütter und die Eltern auch mal durchatmen können, für Kinder durchaus sehr gut, gut bis sehr gut, und ich kann mir gar nicht vorstellen, was daran für ein Kind schlecht sein soll. Die Diskussion läuft ein bisschen zugespitzt nach dem Motto die jungen Mütter kriegen die Kinder abgenommen, sie dürfen sie nicht mehr selber erziehen. Darum geht es überhaupt gar nicht. Es geht darum, ein Angebot zu schaffen, dass junge Frauen, die gerne arbeiten wollen oder arbeiten müssen, auch weil sie Alleinerziehende sind, mit Sicherheit wissen, mein Kind steht nicht auf der Straße vor dem Kindergarten, sondern es sitzt drin und man passt auf das Kind auf.
Remme: Also bei weitem nicht nur die Notwendigkeit für einen Krippenplatz in sozialen Brennpunkten oder bei Migrantenfamilien?
Simonis: Nein! Ich denke das ist ein generelles gesellschaftliches Problem, wie gehen wir mit Kindern um. Wir haben in der Bundesrepublik festgestellt: Die Armut nimmt zu. Das hat jetzt gerade die EU festgestellt. Wir haben festgestellt, dass unsere Kinder international gesehen im Bildungsbereich nicht immer überall gleichermaßen mitkommen, was natürlich auch für ihre berufliche Zukunft negative Folgen haben kann. Wir stellen fest, dass die Stadtpolitik, die Verkehrspolitik und andere Politiken nicht auf Kinderbedürfnisse und Elternbedürfnisse abgestellt sind, und zerstreiten uns jetzt an dem ideologischen Punkt, darf ein Kind in die Kinderkrippe ja oder nein.
Remme: Frau Simonis, der Staat investiert eine gewaltige Summe von 185 Milliarden Euro in die Familienförderung, wenn man sich alle Leistungen zusammen anschaut. Davon profitieren viele, nur nicht die Geburtenrate. Warum?
Simonis: Man müsste natürlich jetzt jede Frau fragen, warum sie keine Kinder kriegt. Aber guckt man sich die Zahlen an, dann wissen wir, dass insbesondere Akademikerinnen sehr spät oder überhaupt nicht sich einen Kinderwunsch erfüllen. Das hat sehr häufig damit zu tun, dass die Frauen Angst haben, den beruflichen Anschluss zu verpassen. Sie wissen, wenn sie in die Baby-Pause gehen, dann wird der Platz durch jemand anderen besetzt und weil es nicht genügend Möglichkeiten gibt wie überall sonst im europäischen Ausland, verzichten sie eben auf Kinder.
Remme: Die SPD will sechs Milliarden Euro umschichten. Familien sollen die zusätzlichen Leistungen quasi untereinander finanzieren: weniger Kindergeld. Kann diese Rechnung Ihrer Meinung nach aufgehen?
Simonis: Ich habe keine Zahlen vorliegen. Es ist sehr schwierig, das jetzt so einfach zu entscheiden.
Remme: Ich meinte es auch nicht mathematisch. Ich meinte eher den Faktor, dass Familien untereinander praktisch ihre Leistungen finanzieren.
Simonis: Ich wollte nur sagen ich habe den Vorschlag auch gemacht zu sagen, lasst uns ein bisschen sparen am Kindergeld, lasst uns ein bisschen sparen am Ehegatten-Splitting, lasst uns ein bisschen an den Freibeträgen sparen und davon dann die Familien unterstützen, die sich die Kindererziehung zur Aufgabe gemacht haben, für viele, viele Jahre übrigens, und damit auch garantieren, dass die Kinder später mal unsere Altersleistungen auf ihre Schultern packen.
Remme: Also sind Sie der Meinung, dass das Geld was im Moment ausgegeben wird eigentlich ausreichen müsste?
Simonis: Das müsste man sich noch mal genau angucken. Offensichtlich sind die Defizite ja doch so stark, dass Eltern das merken. Das bedeutet man kann das nicht einfach zustopfen, sondern man wird höchstwahrscheinlich auch neue Mittel freimachen müssen. Das ist aber eine Entscheidung, die die Gesellschaft selber zu machen hat, über Politik natürlich. Darüber kann sie dann bei Wahlen entscheiden: soll man mehr für Kinder ausgeben oder soll man weniger. Ich finde es jedenfalls gut, dass endlich über diese Situation diskutiert wird.
Remme: Darüber reden ist ja das eine. Wenn das ganze einmal durch die Mühlen von Bund, Ländern und Kommunen durch ist, wie viel Hoffnung haben Sie, dass es dann zu einer tatsächlichen Veränderung kommt?
Simonis: Jetzt bringen Sie mich sozusagen in die Situation, dass ich eine Note ausgeben sollte. Ich glaube von dem Thema kommen alle drei Ebenen nicht mehr runter. Noch mal nach dem Motto gut, dass wir mal darüber geredet haben, jetzt wollen wir uns anderen Themen zuwenden, wird es nicht geben. Dafür sind die jungen Eltern heute auch viel zu aufgeklärt. Sie wissen wo die Probleme liegen. Sie haben eine feste Vorstellung und können es auch im Ausland sehen, im europäischen Ausland, wie man es anders machen kann. Es ist doch irgendwo schon bewundern, dass die Kinder am besten betreut werden in den skandinavischen Ländern und dass sie dort auch die besten Schulleistungen bringen. Irgendwo hängt doch offensichtlich die Betreuung eines Kindes, die liebevolle Betreuung auch durch staatliche Stellen und die Leistungsfähigkeit eines Kindes zusammen.
Remme: Heide Simonis, die Vorsitzende von UNICEF Deutschland. Frau Simonis, vielen Dank für das Gespräch!
Simonis: Ja, danke!