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Simonis bekräftigt Forderung nach höherer Mehrwertsteuer

Doris Simon: Manchmal ist das Echo lauter als sein Ursprung. So geht es in diesen Tagen Schleswig-Holsteins Ministerpräsidentin Heide Simonis. Sie hatte von mehr sozialer Gerechtigkeit gesprochen und gefordert, bei großen Vermögen die Erbschaftssteuersätze zu erhöhen. Dann lobte sie noch die Mehrwertsteuersätze in Skandinavien und forderte, das Ehegattensplitting zu halbieren. Die Reaktionen kamen prompt. Von Steuererhöhungsrakete, von Karnevalsscherz war die Rede. Aber auch in der Koalition waren viele nicht amüsiert. Eine Mehrwertsteuererhöhung mindere die Kaufkraft und Steuererhöhungsdiskussionen seien sowieso Gift für die Konjunktur. Sie ist nun mit mir am Telefon verbunden. Frau Simonis, Sie haben die Mehrwertsteuererhöhung ja nicht für morgen gefordert, sondern für den fernen Tag, wenn die Steuern in der Europäischen Union einmal harmonisiert sind, wenn es denn dazu kommt. Aber wenn Sie wissen, dass alle schon beim Wort Steuer zucken, Sie kennen ja auch die Umfragewerte der Regierung, warum reden Sie gerade jetzt davon?

    Heide Simonis: Es geht im wesentlich darum, mit einem Problem fertig zu werden, nämlich der Instabilität unserer sozialen Versicherungssysteme, die deswegen instabil sind vor allem, weil wir eine demographische Entwicklung haben, die am Ende dazu führt, dass immer weniger einzahlen, aber immer mehr Leistungen davon herausziehen. Darüber muss man sich irgendwann mal Gedanken machen, wie man die Weichen stellen möchte. In Schleswig-Holstein ist das altbekannt, da reden die meisten Menschen nicht so hysterisch, wie es jetzt im Moment der Fall ist. Hier weiß man, dass die skandinavischen Länder mit dem System der höheren Mehrwertsteuern leichter und besser über Untiefen hinwegkommen, als wir das hier im Moment haben.

    Simon: Aber ist es wirklich die Diskussion, die wir im Augenblick brauchen?

    Simonis: Irgendwann muss man ja damit anfangen. Das sind jetzt keine Sachen, wo man den Hebel umlegt. Ich habe ausdrücklich gesagt, dass ich das nicht morgen und nicht übermorgen will, aber wenn man jedes Mal sagt, ich will es nicht morgen und deswegen nicht drüber redet, könnte mal der Zeitpunkt kommen, wo es zu spät ist.

    Simon: Sie haben ja auch eine Änderung beim Ehegattensplitting angeregt. Rechnerisch wären da Milliarden zu holen, aber ohne Verfassungsänderung - und die ist ja mit der Union nicht zu machen - scheint es schwer, da größere Summen frei zu machen. Das jedenfalls haben die rot-grünen Experten schon nach der Wahl 2002 festgestellt. Wo nehmen Sie denn Ihre Zuversicht her, dass da doch noch viel zu holen ist?

    Simonis: Ich bin davon überzeugt, dass es nie richtig durchgeprüft worden ist und verlasse mich da auf den ehemaligen Bundespräsidenten Herzog, der bei der Vorstellung der Ergebnisse der Kommission die er geleitet hat, gesagt hat, dies wäre kein in Runen gehauenes Gesetz. Man könne sich durchaus Gedanken darüber machen, ob man das Ehegattensplitting ein bisschen kappt, nicht abschafft, und den anderen Betrag natürlich dann direkt wieder für Familien verwendet, also nicht zum Auffüllen von Kassen oder von maroden Staatskassen.

    Simon: Fehlte da Ihrer Meinung nach in Ihrer Partei jetzt der Ehrgeiz, das wirklich durchzuprüfen?

    Simonis: Das kann ich gar nicht sagen. Es kommt immer mal wieder wie das Loch Ness heraus und dann lässt man es liegen. Das ist auch einer der Punkte, an dem wir wissen, dass wir es aus dem normalen laufenden Haushalt nicht mehr schaffen, den Familien die Fürsorge zukommen zu lassen, die in der Zwischenzeit in vielen anderen Ländern Standard ist, nämlich die Versorgung der Kinder mit offenen Ganztagsangeboten, mit Kindergärten schon für die ganz kleinen, wenn die allein erziehenden Mütter oder Väter einen Arbeitsplatz haben und nicht wissen, wohin mit den Kleinen. Da gibt es im ganzen europäischen Ausland andere Modelle, als wir sie haben. Das ist im Moment finanziell nicht zu gewährleisten, aber man könnte das durch eine Umschichtung vielleicht hinbekommen. Ganz nebenbei, der schleswig-holsteinische Landtag hat dieses einstimmig, also auch mit den Stimmen der CDU, beschlossen.

    Simon: Sie haben noch einen anderen Punkt angesprochen, wo vielleicht Geld zu holen wäre, und zwar: erweiterte Erbschaftssteuer. Die Vermögenssteuer ist ja am Widerstand der Union und der FDP gescheitert. Sehen Sie da vielleicht auch noch Möglichkeiten, dass noch mal aufs Papier zu bringen?

    Simonis: Ich fordere es politisch. Ob wir es hinbekommen, das kann ich nicht sagen. Es geht doch darum, dass wenn ich beispielsweise zu einem Rentner hingehe und sage: Du musst auf Deine zweite Rente, die Betriebsrente, auch Krankenkassenversicherungen bezahlen, dann weiß ich, was ich ihm antue. Das ist hart für die Familie und manchmal ist es auch richtig schmerzlich, was da passiert. Dann gehe ich aber hin und sage, die Empfänger von großen Vermögen im Erbschaftsfalle - nicht der Betrieb, der soll ja geschont werden, nicht Oma ihr klein Häuschen, das soll geschont werden - das große Vermögen soll ein Stück dazu beitragen, dass die Lasten unserer Gesellschaft gerechter verteilt werden und das alle sich daran beteiligen, dass uns die Gesellschaft nicht um die Ohren fliegt.

    Simon: Haben Sie eigentlich den Eindruck, dass solche Themen nicht in internen Runden innerhalb der SPD zu besprechen sind, weil das nichts bringt, dass Sie damit jetzt so massiv an die Öffentlichkeit gehen?

    Simonis: Ich bin gar nicht so massiv gegangen. Das haben andere massiv gemacht. Gestern hat beispielsweise Herr Merz eine Erhöhung der Mehrwertsteuer gefordert. Das ist unkommentiert durchgegangen. Wenn man sich Gedanken macht, wie man die Zukunft gestalten will, dann bekommt man jedes Mal gleich Druck. Aber wie bekomme ich denn die Menschen dazu, sich mit so etwas auseinander zu setzen und zu wissen, wohin die Reise geht, wenn ich es aus lauter Angst nie sage?

    Simon: Bei den Sozialdemokraten reagieren die Leute vielleicht anders bei Mehrwertsteuer, weil ja die gängige Lesart ist, dass Mehrwertsteuer mehr die kleineren Einkommen belastet, die konsumierenden, als die großen.

    Simonis: Das ist heute schon nicht ganz richtig. Sie haben beispielsweise bei den direkten Steuern eine Möglichkeit, Steuer zu vermeiden, vollkommen legal, die kleine Einkommen nicht haben, während bei den Mehrwertsteuern, das gebe ich zu, da müssen alle bezahlen. Aber es macht einen Unterschied, ob Sie sich einen teuren Kaschmirmantel kaufen und darauf die Mehrwertsteuer bezahlen oder ob Sie sich im Rahmen Ihres Budgets einen etwas weniger aufwendigen und weniger teureren Mantel leisten. Von der halbierten Mehrwertsteuerrate wollen wir gar nicht reden. Also man kann da soziale Elemente mit hineinbekommen.

    Simon: Und dieses Argument, dass im Augenblick jedes Wort, das mit Steuer zusammengesetzt ist, einen Aufschrei mit sich bringt, das lassen Sie nicht gelten?

    Simonis: Das lasse ich natürlich gelten, aber wissen Sie, was an anderer Stelle passiert, wenn wir nichts tun? Dann werden die Beiträge wieder steigen. Das sagt jeder, der etwas davon versteht. Das schöpft übrigens auch Kaufkraft weg. Alle die Kaufkraftanhänger, die müssen sich das gegenrechnen und gegenhalten. Es kann doch nicht angehen, dass wir uns der Realität so verschließen, dass jedes Drehen an irgendeinem Schräubchen, was für die Zukunft Entlastung verspricht, gleich als Sakrosankt abgestempelt wird. Dann kriegt man einen Maulkorb umgehängt und dann darf man sich nicht mehr drüber unterhalten und wenn es dann gemacht werden muss, dann ist die Überraschung groß, weil alle sagen: "das hat uns nie jemand gesagt."

    Simon: Wenn Sie jetzt noch mal auf ein anderes Streitthema schauen: die Ausbildungsplatzabgabe. Da gibt es nun Überlegungen, einzelne Länder oder Regionen von dieser Abgabe auszunehmen, wenn in diesen Ländern oder Regionen über Bedarf ausgebildet wird. Könnte so eine Überlegung Sie zu einem Ja zur Ausbildungsabgabe bewegen?

    Simonis: Ich habe das auch mit angeregt. Unter anderem kommt diese Überlegung aus Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen. Die Rheinland-Pfälzer haben ähnliches gesagt, wie auch der Herr Kollege Platzeck aus Brandenburg. Da wo die Quote erreicht wird, und bei uns wird sie erreicht, seit mehreren Jahren, durch Überzeugungskraft, durch runde Tische, durch Selbstverpflichtung, da sollte man nicht noch hingehen zur Strafe und sagen: "So und jetzt müsst Ihr noch obendrein eine Strafe bezahlen". Wenn allerdings die Quote nicht erreicht wird, muss man sich darüber unterhalten. Das spricht für regionale Auswahlmöglichkeiten.

    Simon: Inwieweit sehen Sie denn dieses Gesetz zur Ausbildungsplatzabgabe auch als ein Ding, das SPD-nahen Truppen besänftigen will, zum Beispiel die Gewerkschaften?

    Simonis: Das würde ich nicht nur unter diesem Gesichtspunkt betrachten. Wir haben ein riesiges Problem zu lösen. Wir haben Kinder und Jugendliche, die kommen von der Schule und kommen in die Arbeitslosigkeit und da bleiben sie. Und die kriegen wieder Kinder, die von der Schule in die Arbeitslosigkeit gehen und da bleiben. Das sind die Sozialhilfekarrieren, die schon von der Geburt an vorgeschrieben sind. Das kann keine Gesellschaft wollen, zumal wir davon ausgehen müssen, dass wir irgendwann mal Facharbeitermangel haben werden und bestimmte Arbeiten bei uns in Deutschland überhaupt nur noch von zugereisten Hilfskräften aus Polen oder sonst wo gemacht werden. Da muss man sich Gedanken machen, wie man solche Jugendlichen, die nicht stark genug sind, um sofort durchzustarten, so fit macht, dass sie dann in ihrem späteren Leben nicht in der Sozialhilfe landen, sondern für sich selber sorgen können. Da bin ich durchaus gewillt auch zu sagen, lasst uns die Zahlen angucken. Da wo es nicht gemacht wird, da muss man es machen. Das hat nichts damit zu tun, sozialdemokratische Schmerzen zu lindern, sondern das hat etwas damit zu tun, die Lebenschancen solcher Kinder zu verbessern.

    Simon: Dass heißt, nur auf Treu und Glauben, den freiwilligen Erklärungen der Industrie möchten Sie nicht glauben.

    Simonis: Wir wollen sie auch nicht abgeben. Die Industrie- und Handelskammern in Deutschland haben mit voller Empörung ein solches Anliegen zurückgewiesen, während sie auf regionaler Basis, das weiß ich von Schleswig-Holstein, das muss man auch fairerweise sagen, solche Verpflichtungen eingegangen sind.