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Simonis zieht positive Bilanz aus Landtagswahlen

Volker Wagener: Die SPD ist seit langem schon mit wenig zufrieden, vor allem wenn es um den Ertrag an den Wahlurnen geht. Die Ernte der Genossen gestern in Sachsen und Brandenburg ist auf den ersten Blick schwierig einzuordnen. Einerseits haben die Sozialdemokraten in Dresden und Potsdam erneut Stimmen verloren, andererseits haben sie sich in Brandenburg halten können und in Sachsen nur mäßig abgeben müssen. Allerdings auf einem historisch niedrigen einstelligen Niveau. Was lehrt uns nun dieser Doppelwahlabend? Die Frage geht an Heide Simonis, SPD-Ministerpräsidentin in Schleswig-Holstein. Was sagen Ihnen denn diese Ergebnisse, Frau Simonis?

Moderation: Volker Wagener |
    Heide Simonis: Zunächst mal ist mit Bedauern festzustellen, dass die Wahlbeteiligung noch weiter zurückgegangen ist und nicht berauschend war, mit noch größerem Bedauern ist festzustellen, dass die rechtsradikalen Parteien rein- beziehungsweise wieder reingekommen sind, aber insgesamt ist festzustellen, dass die CDU ihre Ergebnisse nicht hat halten kann, sondern zum Teil kräftigst verloren hat, und die SPD da, wo sie tapfer und geschlossen und ohne Querelen in den eigenen Reihen zu haben, mit sehr schönen zufriedenstellenden Ergebnissen rausgekommen ist.

    Wagener: Für mich ist der Gleichschritt der beiden großen Parteien nach unten auffällig. Sind das die Prügel der Wähler dafür, dass die SPD die Hartz-Reformen verabschiedet, die CDU diese aber im Kern mitgetragen hat?

    Simonis: Ich kann ein Muster ehrlich gestanden auch nicht ausmachen, sondern nur dass da, wo ein Kandidat, ein Ministerpräsident steht und sagt ich, kann nicht anders, so ist es, wir müssen da durch, wir müssen das gemeinsam schaffen, da schaffen wir es, auch wenn wir Stimmen verlieren, während da, wo ein anderer Ministerpräsident von der CDU sagt, ich mache an den Montagsdemonstrationen mit, da schafft man es nicht.

    Wagener: Dass die SPD in Sachsen jetzt auf Augenhöhe mit der NPD ist, muss wohl noch gesondert in der Landes- und Bundespartei diskutiert werden, oder?

    Simonis: Das tut sie, das ist eindeutig ein sehr schmerzhaftes Ergebnis, ist auch meiner Meinung nach - ich bin keine Wahlanalytikerin, aber nur zu erklären aus der besonderen Haltung der Wähler in den fünf neuen Ländern, die immer alles glauben, die sofort reagieren, die nie ein bisschen Geduld haben - das ist jedenfalls meine Erfahrung -, die auch nicht sagen, lass es uns doch mal ein, zwei Wahlperioden miteinander versuchen, vielleicht kriegen wir es dann hin, wenn wir zusammenhalten, sondern die sofort abspringen, wenn es nicht so kommt, wie man sich das wünscht und dann demjenigen, der ihnen die größten Versprechungen macht, nachläuft, insbesondere Männer, also eine bestimmte Alters- und Wahlgruppe, die dann darauf reinfällt auf die Versprechungen dieser Parteien, bei denen man mit einem bisschen Nachlesen zu dem Ergebnis kommt, nirgendwo, wo sie in den Parlamenten waren, haben sie auch nur ein Wort von dem, was sie versprochen haben, gehalten.

    Wagener: Was halten Sie denn von folgenden Erklärungen: der Protest der Wähler - ich verkürze jetzt bewusst - setzt sich erstens aus Wahlenthaltung, zweitens aus PDS-Stimmen und drittens aus NPD- beziehungsweise DVU-Voten zusammen. Addiert ergibt das über den Daumen ein Protestpotential von ungefähr 50 Prozent der Wahlberechtigten. Da darf wohl nicht mehr viel dazukommen, oder?

    Simonis: Statistisch ist das richtig. Aber ich glaube, es hat sich gerade im Brandenburger Ergebnis gezeigt, dass die Menschen doch ein Stückchen innehalten, dass die Wahlbeteiligung zwar abgesunken ist, aber nicht ganz so dramatisch, wie man hätte befürchten können bei den Vorhersagen der letzten zwei bis drei Wochen. Dass natürlich die PDS als absolut populistische Partei hier sehr attraktiv erscheinen muss, kann ich mir beinahe vorstellen, das einzige, was ich mir überhaupt nicht vorstellen kann, ist das, was die rechtsradikalen Parteien schaffen. Was wir also schaffen müssen, ist durch Diskussion mit den Menschen, mit ihnen reden, ihnen klarmachen, dass wir das machen, um ihnen und ihren Kindern zu helfen, Ausbildungsplätze zu kriegen, soziale Sicherheit zu bekommen, die Wirtschaft wieder ans Laufen zu bekommen, bei Pisa endlich wieder vorne und nicht mehr hinten zu stehen. Dies ist hier offensichtlich nicht angekommen.

    Wagener: Wenn Matthias Platzeck Sie fragen würde, würden Sie ihm raten, nun doch eher mit der PDS eine Koalition einzugehen, um damit zumindest einen Teil dieses Protestwählerpotentials in Verantwortung einzubinden?

    Simonis: Ich habe einmal in Hamburg einen Ratschlag gegeben, das haben die mir drei Jahre übel genommen, das erfolgt nicht noch mal so. Das muss man auch selber aus Erkenntnis der Menschen machen, mit denen man zusammen hier arbeitet, aber ich glaube nicht, dass es gut ist nach dem Motto: "Wir nehmen den ganzen Protest mit in die Regierung und versuchen auf die Art und Weise eine Regierung zu machen", sondern ich glaube, es muss eine Regierung sein, die antritt und sagt: Wir schaffen das, wir kriegen das hin, wir werden mit unseren Wählern und auch denen, die uns nicht gewählt haben, reden und wir werden für dieses Land sorgen. Hier ist noch eine Menge zu machen, hier sind ein paar der ganz großen Blütenträume nicht gereift, da wird man die kleinen Blütenträume machen, aber die anderen zu nehmen, die das alles zum Teil mit zu verantworten haben, dieses Land ist ja in diesem Zustand, weil es vorher eine PDS-Vorgängerin gegeben hat, das kann ich mir eigentlich nicht vorstellen.

    Wagener: Die SPD hat in beiden Ländern wieder verloren. Werten wir trotzdem die Resultate für Ihre Partei mal positiv. Aus einer historisch noch nie so dagewesenen Defensive hat Matthias Platzeck mit vergleichsweise geringen Verlusten die Macht in Brandenburg für die SPD halten können. Ist das jetzt die Trendumkehr für die SPD?

    Simonis: Die Vorhersagen sahen ja ganz anders aus: erste PDS, zweite CDU, dritte SPD und das hat er jetzt umgekehrt. Er ist nach vorne gekommen und die CDU ist an die letzte Stelle gegangen, die PDS, leider aus meiner Sicht, an die zweite Stelle. Es ist insoweit eine Wende für mich, als sich gezeigt hat, dass die Tapferkeit, zu einer Sache zu sich zu hocken und zu hoffen, dass alles vorbeigeht, das zahlt sich aus und die Landesverbände, die einen anderen Wahlkampf angeschlagen haben, Saarland, das müssen sie selbst entscheiden, ob es richtig war, die jedenfalls haben keine guten Ergebnisse nach hause bekommen.

    Wagener: Bleiben wir noch bei Matthias Platzeck. Er galt und gilt in Brandenburg als Sympathieträger, man kann sogar sagen, das, was er im Wahlkampf gemacht hat, war eine klassische Personenwahl, auf ihn abgestimmt und abgestellt. Wenn die SPD dem Wähler Köpfe anbietet, wird dann die Übersetzung von Hartz IV leichter bei den Wählern, glauben Sie das?

    Simonis: Ja natürlich, das sehe ich ja bei mir, ohne dass ich angeben will, aber ich bin bei uns im Land relativ bekannt, die Leute glauben mir, dass ich die Wahrheit sage. Wenn ich sage, es geht nicht anders und es geht so und aus den und den Gründen, aber da muss noch etwas nachgebessert werden, weil dort der rote Faden der Gerechtigkeit nicht zu erkennen ist, dann habe ich das Gefühl, glauben mir die Menschen.

    Wagener: Sie müssen sich ja in wenigen Monaten selbst in Schleswig-Holstein den Wählern stellen, kluge Köpfe haben errechnet, dass die SPD aus dem Kreis ihrer alten Klientel zuletzt deutlich an die CDU direkt verloren hat und gleichzeitig auch an die immer größer werdende Gruppe der Nichtwähler. Wie wollen Sie Ihre SPD insgesamt in Schleswig-Holstein, aber auch schon mit Blick auf 2006 diesen Trend umkehren lassen?

    Simonis: Was die Verluste der SPD an die CDU anbetrifft, die werden zum Teil wieder wettgemacht durch Verluste von der CDU an die SPD, das ist nicht unser großes Problem. Es ist ein Problem. Aber das viel größere Problem sind die Nichtwähler, und hier haben wir uns vorgenommen, sie durch direkte Ansprache auch sozusagen durch in Vordergrund schieben von mir beziehungsweise von Aussagen von mir - die Schleswig-Holsteiner kennen mich ja seit ein paar Jahren und wissen auch, dass ich dann dazu stehe und dafür kämpfe, was ich mache -, dass man auf die Art und Weise versucht, sie wieder anzusprechen, dass sie auf jeden Fall zur Wahl gehen und nicht zuhause hocken. Und ich glaube, wir werden diesen Wahlkampf in Schleswig-Holstein mit dem Bundeskanzler - und da ist ganz klar, dass wir nicht immer einer Meinung sind - aber mit ihm gemeinsam bestehen können.

    Wagener: Gerhard Schröder war nicht gerade ein Vorzeigewahlkämpfer für die SPD, als er unmittelbar vor den Wahlen die mutmaßliche Mitnahmementalität bei Teilen der Deutschen anprangerte. Musste das sein?

    Simonis: Das kann ich nicht beurteilen, da müssen Sie ihn selber fragen. Aber natürlich gibt es auch bei uns Mitnahmeeffekte, es gibt Leute, die bekommen Sozialhilfe und machen Schwarzarbeit. Die Frage ist nur, ob nicht auch an der Seite, wo es keine Sozialhilfe gibt, nämlich da, wo man Steuern nicht deklariert, wo man die Gewinne ins Ausland verschiebt und sie nicht zu bezahlen, wo man andere kleine Kniffs anwendet, um sich der allgemeinen Verpflichtung zu entziehen, ob da nicht genauso die Mitnahmementalität geht. Um was es geht, ist eigentlich dieser schöne alte Satz von Kennedy: Frag nicht, was dein Land für dich tun kann, frag dich, was du für dein Land tun kannst. Und das bedeutet auf Deutsch übersetzt: Du musst auch Steuern bezahlen, wenn du möchtest, dass dein Land etwas für dich tut. Das heißt, deine Pflicht ist, den Staat in die Lage zu versetzen, seinen Pflichten nachzukommen.