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Sind die Irak-Sanktionen noch sinnvoll?

Müller: Am Freitag hatte der Weltsicherheitsrat erstmals über ein Ende der Irak-Sanktionen beraten. Ein von den USA, Großbritannien und Spanien vorgelegter Resolutionsentwurf sieht die Aufhebung aller Embargos mit Ausnahme der Rüstungssanktionen vor. Das Embargo gilt nunmehr seit rund 13 Jahren. Der geplante Hilfsfonds für den Irak, in den alle Einnahmen aus irakischen Ölexporten fließen sollen, soll zwölf Monate lang von den Besatzungsmächten verwaltet werden. Russland, Frankreich, China und Deutschland - die Koalition der Kriegsgegner fordern eine zentrale Rolle der UNO beim Wiederaufbau. Dennoch sind in Berlin und Paris über Washington inzwischen versöhnlichere Töne zu hören, denn auch Gerhard Schröder sieht offenbar keinen Sinn mehr darin, die Sanktionen länger bestehen zu lassen. In den vergangenen Wochen hörte sich das noch mit Blick auf die US-Pläne wesentlich skeptischer an. Ein versöhnlicher Ton, auch der Versuch des Kanzlers, sich George Bush wieder politisch und persönlich anzunähern. Am Telefon sind wir nun verbunden mit dem SPD-Politiker Hans-Ulrich Klose, stellvertretender Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag. Guten Morgen.

    Klose: Guten Morgen.

    Müller: Herr Klose, muss die Bundesregierung Wiedergutmachung leisten?

    Klose: Nein, Wiedergutmachung muss sie nicht leisten im Sinne von Kotau und Preis zahlen. Sie sollte sich aber im eigenen Interesse bemühen, die Verbindung, die Beziehung zu den USA wieder so zu gestalten wie sie vor gut einem Jahr und darüber hinaus war.

    Müller: Wie viel Porzellan ist denn zerschlagen worden?

    Klose: Es hat erhebliche Irritationen gegeben, wozu - fairerweise sollte man das sagen - beide Seiten beigetragen haben. Die Rhetorik war ja nicht immer - wie soll ich es nennen: diplomatisch. In der Politik geht es aber am Ende ja nicht darum, dass man sich wechselseitig lieb hat sondern dass man Interessen definiert und prüft, wo Kooperation sinnvoll ist. Ich glaube, es gibt viele Felder, in denen Kooperation nicht nur sinnvoll sondern geradezu zwingend ist.

    Müller: Hat sich die Bundesregierung in der internationalen Politik - gerade mit Blick auf Washington - tatsächlich politisch isoliert, ins Abseits gestellt?

    Klose: Das kann man eigentlich nicht sagen, denn ihre Position hat ihnen ja weltweit Zustimmung eingebracht. Man hatte eher eine Zeitlang das Gefühl, dass die USA isoliert waren. Das Problem lag darin, dass man ganz am Anfang keine gemeinsame Bedrohungsanalyse vorgenommen hat - wobei ich glaube, dass die amerikanische Bedrohungsanalyse im Grunde richtig ist -, und es hat keine gemeinsamen Absprachen gegeben, wie man mit den neuen Bedrohungen fertig wird. Deshalb haben sich die Wege der Amerikaner und teilweise der Europäer auseinander entwickelt. Das muss man jetzt korrigieren.

    Müller: War es denn klug, sich eher an die Seiten Russlands und Chinas zu stellen gegen Washington?

    Klose: Ich halte nicht viel davon, jetzt im Nachhinein Rechtfertigungsdebatten zu führen. Keiner kann wissen, ob es anders möglich gewesen wäre. Inzwischen sollten wir davon ausgehen: Der Krieg hat stattgefunden, die Alliierten unter Führung der Amerikaner haben glücklicherweise gewonnen. Jetzt sollten alle kooperieren, um den Frieden zu gewinnen.

    Müller: Ende des Monats, Herr Klose, werden sich Schröder und Bush voraussichtlich in Sankt Petersburg treffen anlässlich des 300-jährigen Jubiläums der Stadt. Wird George Bush Gerhard Schröder in seine Arme schließen?

    Klose: Das halte ich nicht für wahrscheinlich, aber darauf kommt es auch nicht an. Politiker sind dazu da, sachliche Arbeit zu leisten. Ich wiederhole es: Wenn ihre Interessen übereinstimmen, sollten sie kooperieren.

    Müller: Das gilt ja auch für das transatlantische Bündnis. Wie groß ist denn da das Zerwürfnis?

    Klose: Es gibt Irritation, aber das ist es auch schon. Man sollte es nicht übertreiben. Auf der Arbeitsebene gibt es schon heute wieder relativ gute und stabile Beziehungen, wenn ich mir die Bereiche Inneres und Justiz ansehe. Auch die Parlamente begegnen sich, und zwar in freundlicher Weise. Es gibt im Bereich der Außen- und Sicherheitspolitik Klärungsbedarf. Ganz oben in der Spitze gibt es wahrscheinlich stärker auf amerikanischer Seite persönliche Ärgernisse und Störungen, von denen ich nicht weiß, ob sie korrigierbar sind. Ich stecke ja weder im Kopf noch im Herzen des Kanzlers oder des Präsidenten.

    Müller: Gehen Sie denn davon aus, Herr Klose, dass beim Thema Irak-Sanktionen jetzt alle Seiten konstruktiv miteinander kooperieren?

    Klose: Ich kann das nur hoffen, weil - um es zu wiederholen - es darauf ankommt, Frieden im Irak zu gewinnen. Dazu muss man alles tun, damit die Iraker das Gefühl haben, dass es schnell besser wird und schnell besser geht als es 25 Jahre vorher unter dem Regime von Saddam Hussein gegangen ist. Darum geht es doch: Das zu zeigen und gleichzeitig dieses Land schrittweise auf einen pluralistisch-demokratischen Weg zu bringen. Da sind die Sanktionen unsinnig. Sie sollten möglichst schnell aufgehoben werden.

    Müller: Sollte die Bundesregierung denn darauf bestehen, auch mit Augenzwinkern in Richtung Paris, dass die UNO die zentrale Rolle im Irak bekommt? Halten Sie das für sinnvoll?

    Klose: Ich denke, man sollte bei diesem Punkt realistisch sein. Wir sehen, dass die Sicherheitslage im Irak unverändert höchst labil ist und dass die Amerikaner und die Briten und die anderen, die vor Ort sind, Sicherheit gewährleisten können. Deshalb haben diese Länder auf absehbare Zeit eine führende Rolle. Die UNO kann schrittweise eine Rolle spielen, insbesondere zur Legitimation des Vorgehens im Irak. Realistischerweise könnte sie aber nicht morgen die Führung im Irak übernehmen. Deshalb sollte man darauf auch nicht bestehen.

    Müller: Das heißt, Sie haben lieber die Amerikaner als die UNO in der zentralen Führungsrolle?

    Klose: Nein, das habe ich nicht gesagt. Man muss schon präzise sein. Ich habe gesagt, in den nächsten Monaten ist die Sicherheitslage so labil, dass nur die Amerikaner Sicherheit herstellen können. Unterstellen Sie doch mal einen Augenblick, die UNO würde morgen die Führung übernehmen. Wie will sie die Sicherheit gewährleisten? Sie bräuchte dazu mindestens 250.000 Blauhelme. Woher soll sie die nehmen? Lassen Sie uns also realistisch bleiben: In den nächsten Jahren muss die Führung bei den Alliierten liegen.

    Müller: Das heißt also, wenn wir nach vorne blicken - Sie haben jetzt von Jahren gesprochen...

    Klose: Von Monaten. Monate meinte ich.

    Müller: ...von Monaten haben Sie gesprochen. Das heißt, eine Blauhelm-Mission - oder wie man das jetzt konkreter formulieren mag - der UNO ist unrealistisch, kommt also nicht in Frage.

    Klose: Sie kommt nach meiner Einschätzung in den nächsten 6-12 Monaten nicht in Betracht.

    Müller: Der SPD-Außenpolitiker Hans-Ulrich Klose war das. Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören nach Berlin.

    Klose: Bitte sehr.

    Link: Interview als RealAudio