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Sind die Sicherheitsvorschriften für die Schiffahrt ausreichend?

Probst: Drohende Ölpest an den Küsten Spaniens und Portugals. In Galizien, wie gehört, schon größere Abschnitte betroffen. Eine tickende Zeitbombe sei der Tanker auf dem Meeresgrund, sagen Umweltschützer. Erneut ist die Diskussion über die Frage der Sicherheitsstandards und Vorschriften aufgeflammt. Am Telefon ist Georg Jarzembowski. Er ist Obmann im Verkehrsausschuss des Europäischen Parlaments. Herr Jarzembowski, brauchen wir eine Verschärfung der Sicherheitsvorschriften für Schiffe und Schifffahrt?

    Jarzembowski: Die Vorschriften müssen nicht verschärft werden, aber die Anwendung muss verschärft werden. Wir haben bereits eine Regelung aus dem Jahre 1995, die sogenannte Hafenstaatenkontrolle, dass die Mitgliedstaaten verpflichtet sind, 25 Prozent aller EU-Häfen anlaufende Schiffe zu kontrollieren, gerade auf solche Fragen hin. Und wir haben sie noch verschärft; allerdings ist das in Kraft Treten der Verschärfung erst für das nächste Jahr vorgesehen, dass alle älteren Tankschiffe jährlich einmal inspiziert werden müssen. Aber meiner Meinung nach ist die Konsequenz, dass die Mitgliedstaaten anscheinend die Kontrollpflicht nicht ausüben. Es geht also nicht um neue Gesetze, sondern um die Anwendung der bestehenden Kontrollvorschriften.

    Probst: Das scheint in diesem Fall, wenn ich richtig nachgelesen habe, ja auch nicht ganz zuzutreffen, denn dieses American Bureau of Shipping hat mitgeteilt, die Prestige sei zweimal in den letzten Jahren genau kontrolliert worden und gehöre ohnehin nicht in die Klasse der Seelenverkäufer.

    Jarzembowski: Das, glaube ich, ist nicht ganz richtig. Dieses Schiff ist zum Beispiel mehrfach vor Gibraltar gewesen, hat dort vor Anker gelegen, um Proviant aufzunehmen, ist dann nicht kontrolliert worden. Ich glaube, das Schiff hätte kontrolliert werden müssen, weil es nach meiner Information von den Hafenstaaten zuletzt 1990 kontrolliert worden ist.

    Probst: Wenn Sie sagen, es hat vor Gibraltar gelegen, also auf Reede, hätte es dann kontrolliert werden können, wenn diese Vorschriften nur für angelaufene Häfen gelten?

    Jarzembowski: Also die Vorschrift lautet, sie gilt für Schiffe, die Gemeinschaftshäfen anlaufen und in Hoheitsgewässern fahren, also meiner Meinung nach hätte man sich nicht auf dem Formalismus berufen dürfen zu sagen, es hat den Hafen nicht angelaufen, denn auf Reede liegen bedeutet in Hoheitsgewässern der Gemeinschaft sein.

    Probst: Und wen trifft da die Schuld?

    Jarzembowski: Also ich glaube, dass wir einerseits die britischen Behörden einmal ins Gebet nehmen müssen und außerdem wahrscheinlich die griechischen Behörden, denn das Schiff ist mehrfach vor griechischen Häfen gewesen, und mir kann keiner erzählen, dass das keinem aufgefallen ist. Ich befürchte, dass viele Mitgliedstaaten einfach gerade schwierige Substandardschiffe nicht kontrollieren, nach dem Motto, wenn wir es kontrollieren, müssen wir es festhalten, und nachher fehlt uns ein Reedeplatz oder ein Hafenliegeplatz. Ich glaube manchmal, dass die Mitgliedstaaten und ihre Behörden ein Auge zu drücken, aber das ist eben nicht hinnehmbar.

    Probst: Also Kostengründe, die da zu Lasten der Sicherheit gehen?

    Jarzembowski: Ja.

    Probst: Wenn Sie sagen, es gibt ausreichende Vorschriften und Bestimmungen, sind sie denn nicht verbindlich genug, oder müsste man Sanktionen einführen?

    Jarzembowski: Also die neue Vorschrift, dass bestimmte ältere Schiffe, nämlich über 15 Jahre, jährlich kontrolliert werden müssen, tritt erst im Juli nächsten Jahres in Kraft. Insofern können einige versuchen sich rauszureden, aber es gilt immer noch der Grundsatz, dass 25 Prozent aller Schiffe zu kontrollieren sind, und natürlich nicht die neuesten, sondern gerade die älteren Schiffe. Also ich glaube, dass die Kommission mit den Mitgliedstaaten reden muss und notfalls den einen oder anderen Staat verklagen muss, denn es gibt Fälle, wo Mitgliedstaaten zugegeben haben, dass sie die 25 Prozent der anlaufenden Schiffe aus Personalmangel nicht kontrollieren. Hier muss also entweder von den Mitgliedstaaten ein klares Bekenntnis zur Rechtstaatlichkeit und zum Einhalten der Gesetze abgegeben werden, oder die Staaten, die nachweislich nicht die Kontrollen durchführen, müssen von der Kommission vor den Europäischen Gerichtshof gezogen werden.

    Probst: Die Diskussion flammt dann immer wieder auf, wenn das sprichwörtliche Kind wieder einmal im Brunnen liegt oder ein neues reingefallen ist, denn wir hatten ja in der Vizcaya über den letzen Zeitraum von zehn Jahren gesehen schon zwei schwere Havarien, nicht?

    Jarzembowski: Ja, ich teile völlig Ihre Auffassung. Die Mitgliedstaaten sind immer noch zu lax in der Umsetzung des Rechts. Die Vorschriften sind klar. Es gibt auch die Vorschrift, dass Einhüllentanker die nächsten Jahre ausgemustert werden müssen; neue dürfen schon lange nicht mehr gebaut werden. Aber die Mitgliedstaaten drücken einfach ein Auge zu, und dieses ist aus Gründen der Umwelt überhaupt nicht hinnehmbar.

    Probst: Da hat man ja dann auch, gerade was diese Einhüllentanker angeht, sehr großzügige Übergangsfristen eingeräumt.

    Jarzembowski: Ja, die Mitgliedstaaten haben gesagt, dass wenn man früher diese Schiffe ausmustern würde, wir Versorgungsprobleme bekommen würden, weil in dem Bereich der mittleren Tankschiffe gar nicht genügend neue Doppelhüllentanker bisher gebaut worden sind. Ich sehe das aber ein bisschen skeptisch. Ich glaube, manchmal versucht man bestimmten Flotten sozusagen noch eine längere Rendite für alte Schiffe zu bewilligen.

    Probst: Es gibt ja auch die Kritik, dass die spanischen Behörden sich hier Versäumnisse anlasten müssten, sie hätten nicht schnell genug eingegriffen, zu spät, um internationale Hilfe nachgesucht, oder sie hätten das Schiff beispielsweise in einen Hafen schleppen sollen, um da die Fracht zu löschen, abzutanken.

    Jarzembowski: Ja, diese Frage muss genau geprüft werden, denn wir haben in den Debatten der letzten Jahre immer wieder gefordert, dass die Mitgliedstaaten Fluchthäfen sozusagen für gefährdete Schiffe bereitstellen. Das war beim Erika-Zwischenfall vor zweieinhalb Jahren schon so, dass hätte man das Schiff in den Hafen hineingenommen zwar der Hafen möglicherweise verschmutzt worden wäre, das Schiff aber nicht auseinandergebrochen wäre, und man hätte also rechtzeitig die großen Massen abpumpen können. Also ich glaube, wir müssen diesem Konzept, Fluchthäfen bereitzustellen, mehr nachgehen, denn selbst wenn ein Hafen erst einmal verschmutzt ist, ist der schneller und klarer zu säubern, als wenn ganze Landstriche tatsächlich von Öl überzogen werden.

    Probst: Aufgrund der gemachten Erfahrungen, würden Sie für einen solchen Vorstoß schnelle Erfolgsaussichten sehen?

    Jarzembowski: Also ich glaube, dass wir einfach mit den Mitgliedstaaten eine dringende Konferenz führen müssen. Wir brauchen keine neuen Gesetze. Wir müssen mit den Mitgliedstaaten klar Tacheles reden, dass das, was an Vorschriften da ist, auch eingehalten wird. Dann ist das der schnellste Weg, um zu Erfolgen zu kommen und zu verhindern, dass in zwei Monaten das nächste Schiff absäuft.

    Probst: Vielen Dank für das Gespräch.