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"Sind wir in einem Rechtsstaat, oder sind wir in einem Bananenstaat?"

Mit diversen Mitteln versuchen Top-Manager und Prominente derzeit, Bundeskanzlerin Angela Merkel zur Verlängerung der Atomlaufzeiten zu bewegen. Hans-Josef Fell, energiepolitischer Sprecher der Grünen, sagt: "Es kann doch nicht sein, dass Konzerne einer Regierung Geld anbieten, um ihre Interessen mit Gewinnerhöhung dann auch noch durchzuziehen."

Hans-Josef Fell im Gespräch mit Gerd Breker | 20.08.2010
    Gerd Breker: Mehr als 40 Top-Manager und andere Prominente drängen Bundeskanzlerin Angela Merkel mit einer gemeinsamen Initiative zum Verzicht auf neue Energiesteuern und zum Weiterbetrieb von Kernkraftwerken. Mehrere Zeitungen und Online-Dienste berichten heute von einem energiepolitischen Appell in Form einer ganzseitigen Anzeige, und in der vom "Handelsblatt" zitierten Anzeige heißt es unter anderem, "eine zukunftsträchtige Energiepolitik müsse auch die Kernenergie einbeziehen. Ein vorzeitiges Abschalten vorhandener Atomanlagen würde Kapital in Milliardenhöhe vernichten, zu Lasten der Umwelt, der Volkswirtschaft und der Menschen in unserem Land." Kritik an Angela Merkel. Ja, alle warten auf das Energiekonzept der Bundesregierung und so langsam steigt die Spannung, wie lange wohl die Laufzeiten der AKW verlängert werden und wie viele Milliarden Euro das bringen könnte.
    Am Telefon bin ich nun verbunden mit Hans-Josef Fell, Sprecher für Energiepolitik der Grünen-Bundestagsfraktion. Guten Tag, Herr Fell.

    Hans-Josef Fell: Guten Tag, Herr Breker.

    Breker: Herr Fell, auch Sie müssen zugeben, die Atomkraftwerke haben etwas im Angebot, was kein anderer Energieträger bieten kann, nämlich Milliarden für die Staatskasse.

    Fell: Nein, das kann ich nicht so nachvollziehen, denn auf der anderen Seite belasten ja die Atomkonzerne mit ihren Folgeschäden, die sie der Allgemeinheit auferlasten, eben die Allgemeinheit mit enormen Milliardenschäden. Wir sehen das in der Grube Asse und in der Entsorgung des Atommülls und anderswo. Es ist immer das Grundprinzip: Sie wollen natürlich die hohen Gewinne für sich behalten, aber die Allgemeinheit mit den Lasten dann belasten.

    Breker: Nur in dem Fall bieten sie ja der Bundesregierung an, halbe-halbe zu machen.

    Fell: Das heißt, ihre Gewinnerhöhung haben sie im Blick. Sie wollen ja die bisherigen etwa zehn Milliarden Euro Gewinne, die sie durch ungerechtfertigte Strompreiserhöhungen immer wieder erwirtschaftet haben, noch toppen, indem sie dann Laufzeitverlängerungen bekommen. Und von dem, was sie da oben drauf kriegen von diesen 2,3 Milliarden Euro, da wollen sie dann die Hälfte weitergeben. Das heißt, sie erhöhen ihre Gewinne noch zusätzlich.

    Breker: Und die Staatskasse profitiert auch?

    Fell: Die Staatskasse profitiert natürlich viel, viel mehr vom Atomausstieg, so wie er vereinbart ist: einmal, indem es viel mehr Steuereinnahmen gibt aus dem Ausbau der erneuerbaren Energien, indem es mehr Einkommenssteuer gibt, Gewerbesteuer und vieles andere mehr, indem die Lasten, die die Atomwirtschaft der Allgemeinheit auferlegt, allmählich zurückgefahren werden und zumindest nicht vergrößert werden, indem der Atommüll eben nicht noch weiter ausgeweitet wird. Insofern hat natürlich dann die Allgemeinheit wesentlich mehr vom Atomausstieg, als von einer Laufzeitverlängerung.

    Breker: Nun wird die Atomkraft inzwischen auch von Seiten der Union als Brückentechnologie bezeichnet. Bei der Brücke ist immer entscheidend, wie lang sie ist, und das ist auch juristisch entscheidend, denn je nach Länge der Brücke muss der Bundesrat zustimmen oder nicht.

    Fell: Der Bundesrat muss aus unserer Sicht klar zustimmen. Das hat ein neues Gutachten des Rechtsanwaltsbüros Gassner in den letzten Tagen erst noch mal klar auferlegt. Dort ist ein neuer Aspekt aufgetaucht. Die Haftungsrisiken für die Länder werden erhöht, wenn eben die Laufzeitverlängerung wie von der Regierung angekündigt durchgezogen wird. Denn bisher haben wir ja ein Haftungsrisiko, das sich für die Länder nur auf die bestehenden Laufzeiten beschränkt, und wenn nun die Laufzeiten verlängert werden, müssen natürlich auch die Länder mit ihrem Anteil, der nicht unerheblich ist pro Reaktor, dann auch die Haftungsrisiken weitertragen. Das ist ein eindeutiger Eingriff in die Länderhoheit und damit eben auch nach Grundgesetzartikel 74 Absatz 2 klar zustimmungspflichtig.

    Breker: Nun ist die Brennelementesteuer Teil des Sanierungspakets von Schäuble für den Bundeshaushalt. Steuer oder Abgabe, auch das macht einen rechtlichen Unterschied.

    Fell: Ja, natürlich macht das einen großen Unterschied. Eine Steuer ist eigentlich das, was zwingend erforderlich ist. Der Staat erhebt einfach die Steuern, um Belastungen, die der Allgemeinheit auferlegt werden, auch bezahlen zu können. Ich sprach ja schon von den Belastungen in der Atommüllentsorgung, in den Sicherheitsfragen und in anderem. Wenn nun aber die Atomkonzerne versuchen, ihren Wortbruch, den sie ja de facto machen, indem sie ihre Unterschrift, die sie unter die Beendigung der Atomkraft ja bereits gesetzt haben, nun widerrufen wollen, und damit dann auch noch Geld anbieten, so hat das natürlich einen ganz besonderen Eindruck. Also Bananenrepublik ist hier vielleicht noch ein sehr, sehr beschönigender Ausdruck. Es kann doch nicht sein, dass Konzerne einer Regierung Geld anbieten, um ihre Interessen mit Gewinnerhöhung dann auch noch durchzuziehen. Wo sind wir denn? Sind wir in einem Rechtsstaat, oder sind wir in einem Bananenstaat?

    Breker: Zu Beginn ihrer sogenannten Energiereise hat die Bundeskanzlerin davon gesprochen, es ginge ihr um eine sichere und bezahlbare Energieversorgung. Die alternativen Energien Wind und Sonne, wie sicher sind die denn eigentlich?

    Fell: Die sind ja sicher. Sie haben keine Lasten, die uns in der Zukunft immer mehr belasten. Ich sprach bereits von den Sicherheitsproblem der Atomkraft, ich sprach von den sozialen Folgen, und wir können noch viel weiteres in den Blick nehmen. Beispielsweise hat ja auch die europäische Agentur für Atomkraft gerade auch aufgezeigt, dass die Uranmengen auf der Erde sehr knapp sind. Wir begeben uns immer mehr in die Abhängigkeit endlicher und knapper werdender Ressourcen. Genau das haben aber Sonnenstrahlen und Windenergie nicht. Die Angebotsschwankungen, die die Windenergie und die Sonne haben, sind natürlich vorhanden, aber sie können technologisch in den Griff bekommen werden mit heute schon verfügbaren Technologien, beispielsweise mit Speichertechnologien, Pumpspeicherkraftwerken, und auch hier gilt: Wenn man die Atomenergie abschaltet, werden in Deutschland eine ganze Menge von Speicherkapazitäten sofort frei, weil eben im Moment die Atomkraftwerke mit ihrer Überschussproduktion nachts die Speicher füllen, um tags die Spitzen damit dann teilweise zu decken. Das alles könnten wir verwenden, auch Hinzunahme der skandinavischen Wasserkraft, mit ein paar Leitungen, die zusätzlich zu den bestehenden gelegt werden, können wir dieses Problem sehr schnell lösen. Und es schafft uns natürlich neue Arbeitsplätze. Es schafft uns den Klimaschutz, es schafft uns den Ausbau der Wirtschaft. Die Manager, die heute in den Zeitungen mit einer großen Anzeige sind, liegen ja eigentlich völlig daneben. Sie haben ein Gedankengut, das der Vergangenheit angelastet werden kann. Mit Klimazerstörung, mit Belastungen für die Gesellschaft können wir doch keine Industriegesellschaft aufbauen, sondern nur mit neuen Energien, die eben dauerhaft kostengünstig zur Verfügung sind. Sonnenstrahlen und Wind kosten nichts und das ist die Revolution, die wir brauchen, um auch die Industriegesellschaft aufrecht erhalten zu können.

    Breker: Im Deutschlandfunk war das der energiepolitische Sprecher der Bündnisgrünen-Bundestagsfraktion, Hans-Josef Fell. Herr Fell, danke für dieses Gespräch.

    Fell: Ja! Ich danke Ihnen auch.