Dienstag, 21. Mai 2024

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Sir Walter Raleigh
Des Schicksals Tennisball

Der englische Seeheld Sir Walter Raleigh zählte zu den Pionieren des späteren britischen Weltreichs. Er war Dichter, Entdecker und Staatsmann. Der zeitweilig engste Vertraute von Königin Elisabeth I. fiel unter ihrem Nachfolger aber in Ungnade und saß 13 Jahre lang in Haft. Heute vor 400 Jahren öffnete sich für ihn die Kerkertür.

Von Winfried Dolderer | 19.03.2016
    Der englische Seefahrer, Dichter und Staatsmann Sir Walter Raleigh (1552 - 29. Oktober 1618) in einer Buchillustration.
    Der englische Seefahrer, Dichter und Staatsmann Sir Walter Raleigh in einer Buchillustration. (imago/United Archives)
    Des Schicksals Tennisball, so hat ein zeitgenössischer Biograf den englischen Seehelden, Staatsmann und Dichter Walter Raleigh genannt.
    "Es beförderte ihn aus dem Nichts nach oben, führte ihn zur Größe und von dort hinunter in den Zustand, in dem es ihn vorgefunden hatte."
    Günstling, zeitweise engster Vertrauter und Berater der großen Königin Elisabeth I. Politischer Gefangener ihres Nachfolgers Jakob I. Größter Grundbesitzer in Irland, dann wieder fast mittellos. Raleighs Leben war voller dramatischer Wendepunkte. Der 19. März 1616 markierte eine solche Wende, der Tag, an dem König Jakob überraschend seine Freilassung aus dem Londoner Tower verfügte. Nach zwölf Jahren, drei Monaten und drei Tagen einer Haft, die nach den Worten des Frühneuzeithistorikers und Englandexperten Ronald Asch freilich einem Hotelaufenthalt mit Hausarrest glich.
    Soldat und Dichter
    "Es war jetzt kein düsteres Verlies, sondern man hatte da eine Suite, wenn man den Status hatte wie Raleigh. Man konnte Bücher haben. Raleigh hatte auch Besuch von seiner Ehefrau ganz regelmäßig und von Freunden. Aber er konnte eben keinen politischen Schaden anrichten."
    Raleigh nutzte die Zeit, um eine Weltgeschichte zu verfassen. Zudem Abhandlungen über Schiffsbau, philosophische und politiktheoretische Fragen. Er richtete sich ein Labor ein für chemische Experimente und die Herstellung von Arzneimitteln aus südamerikanischen Heilpflanzen. Der Mann war ein Multitalent. Erste Kampferfahrungen hatte er mit 15 aufseiten der protestantischen Hugenotten im französischen Bürgerkrieg gesammelt. Später kämpfte er in Irland, war entscheidend beteiligt an der Eroberung der spanischen Hafenstadt Cádiz. Seiner Königin Elisabeth legte er elegante Verse mit schmachtenden Liebesbekundungen zu Füßen. Im englischen Parlament galt er als profiliertester Debattenredner. In seiner Londoner Residenz umgab er sich mit einem gelehrten Kreis von Mathematikern, Astronomen, Geografen.
    "Es gab zwar diesen Anspruch, dass der vollkommene Hofmann, der vollkommene Cortegiano, sich eben auch auf die Literatur verstehen müsse, auf die Musik, dass er intelligente Konversation machen müsse. Aber das hat natürlich nicht jeder auf diesem Niveau und in dieser Weise geschafft."
    Seeräuberei als geschätztes Geschäftsmodell
    Das große Thema der englischen Außenpolitik in der Zeit Elisabeths und Raleighs war die Auseinandersetzung mit dem spanischen Weltreich. Spanien beanspruchte die Herrschaft über den amerikanischen Doppelkontinent und den pazifischen Raum. England hielt dagegen. Von 1585 an betrieb Raleigh, wenn auch zunächst ohne nachhaltigen Erfolg, das Projekt einer englischen Siedlung an der nordamerikanischen Ostküste. Zehn Jahre später fuhr er als erster Engländer den Orinoco aufwärts und drang in den südamerikanischen Dschungel ein auf der Suche nach dem legendären Goldreich Eldorado. Dabei war für achtbare Londoner Kaufleute, für die Krone und Abenteurer wie Raleigh auch Seeräuberei ein geschätztes Geschäftsmodell.
    "In Übersee hat man es niemals so genau genommen. Es gab so diesen Spruch: No peace beyond the line, also in Übersee gelten Friedensverträge nicht so richtig, und der Übergang von Handelsunternehmungen zur Piraterie war gleitend."
    Hätte nur Elisabeth eine noch aggressivere Politik getrieben, klagte Raleigh in späteren Jahren.
    "Wir hätten in ihrer Zeit dieses große Reich in Stücke gehauen und Spaniens Könige zu Herrschern über Feigen und Orangen gemacht."
    "Er gehörte sicherlich zu denen, die immer auf die Karte gesetzt haben: England kann sich nur behaupten, auch gegen Spanien, wenn es zu einer großen Seemacht wird, und wenn es Spanien eben in seinen Kolonien angreift, und auch selbst versucht, eine Kolonialmacht zu werden."
    Dass der rabiate Spanienhasser nach Elisabeths Tod der Spionage für Spanien angeklagt wurde, haben bereits Zeitgenossen für eine Justizposse gehalten. Im November 1603 urteilte das Gericht, er solle gehängt, bei noch lebendigem Leibe ausgeweidet, kastriert, geköpft und gevierteilt werden. So schlimm kam es dann nicht. Der König begnadigte Raleigh zu Festungshaft. Die Hinrichtung blieb ihm dennoch nicht erspart. Auf einer letzten Expedition nach Südamerika 1617 brannten seine Leute entgegen dem geltenden Frieden eine spanische Stadt nieder. Das kostete Raleigh am 29. Oktober 1618 den Kopf. Seine letzten Worte waren:
    "Ich war Seefahrer, Soldat und Höfling, und schon das geringste dieser Dinge birgt genug Versuchung, um einen guten Mann zu Fall zu bringen."