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Sissakos Film "Timbuktu"
Die Methoden der Gotteskrieger

Der malische Regisseur Abderrahman Sissako zeigt in seinem neuen Film, was es heißt, der Macht eines wildgewordenen Fundamentalismus ausgeliefert zu sein – am Beispiel von Timbuktu, das 2012 von islamistischen Kämpfern heimgesucht wurde, schon fast vergessen nach dem Erscheinen des IS.

Von Joseph Schnelle | 06.12.2014
    Haitian actress Kettly Noel, Niger actress Toulou Kiki, Tunisian actor Hichem Yacoubi, Mauritanian director Abderrahmane Sissako and Tunisian-born actor Abel Jafri pose as they arrives for the screening of their film "Timbuktu" at the 67th edition of the Cannes Film Festival in Cannes, southern France, on May 15, 2014.
    Die Schauspielerinnen Kettly Noel und Toulou Kiki, Schauspieler Hichem Yacoubi, der Regisseur Abderrahmane Sissako und der Schauspieler Abel Jafri beim Cannes Film Festival (von links) (AFP PHOTO / VALERY HACHE)
    Eine sanfte hügelige Wüstenlandschaft in den Dünen um die malische Hauptstadt Timbuktu. Hier lebt eine glückliche Musterfamilie im Beduinenzelt. Der zwölfjährige Issan hütet die Kühe und abends holt Vater Kidane die Gitarre heraus. In der Hauptstadt Timbuktu auf der anderen Seite des Niger braut sich jedoch etwas zusammen. Radikale Islamisten, die nicht einmal Bambara - die vorherrschende Sprache Malis - beherrschen, haben ein religiöses Terrorregime errichtet. Musik, Fußball und Zigaretten sind verboten. Frauen müssen sich streng verschleiern. Selbst die Fischverkäuferin darf ihre Ware nur mit tiefschwarzen Handschuhen anbieten. Dagegen begehren die Frauen von Timbuktu auf.
    Tatsächlich hatten 2012 arabische Anhänger von Al-Kaida Timbuktu erobert und dort eine Sharia-Herrschaft begründet, die elf Monate andauerte bis malische Truppen unter französischer Führung, die Stadt, die zum Weltkulturerbe gehört, befreiten. Der malische Regisseur Abderrahmane Sissaku setzte sich in dieser Zeit ins Nachbarland Mauretanien ab. Dort hat er auch seinen Film "Timbuktu" realisiert. Auf der Pressekonferenz in Cannes nach der Premiere seines Films brach er in Tränen aus, als er den authentischen Fall einer Steinigung beschrieb, auf den sein Film basiert.
    Sein Film ist kein Politthriller. Vielmehr lässt er alle Seiten zu Wort kommen, was seine Anklage des islamistischen Terrorregimes nur noch stärker macht. Als die Kämpfer eines Tages die örtliche Moschee in der Stunde des Gebets waffenstarrend betreten, liest der örtliche Imam ihnen die Leviten.
    "Hört auf! Ihr schadet dem Islam und den Muslimen. Ihr bringt Kinder in Gefahr vor den Augen ihrer armen Mütter. Ihr habt sogar die Mutter von zwei Kindern geschlagen, ohne irgendeinen Grund. Denkt an die Worte von Allah, dem Allmächtigen: 'Vergib ihnen, lass sie an den Entscheidungen teilhaben. Sprich mit ihnen. Wenn die Entscheidung getroffen ist, leg dein Vertrauen in Allah, denn er liebt jene, die ihm vertrauen.' Wo ist die Milde? Wo ist die Vergebung? Wo ist die Frömmigkeit? Wo ist der Austausch, der Austausch? Wo ist Gott in all dem?"
    Betretenes Schweigen der Krieger, die in Abderrahmanes Film nicht einfach nur blutige Draufgänger sind. Aber ihre totalitäre Herrschaft wird für den Viehhirten Kidane zum Schicksal. Im Zorn über den Tod seiner Kuh, die die Kinder "GPS" nennen, hat er den diebischen Fischer am Fluss totgeschlagen. Das Blutgeld von 40 Kühen kann er nicht zahlen. Auch verzeiht ihm die Familie des Opfers nicht.
    Trotz seines ernsten Themas und seines anklagenden Gestus hat dieser Film viel Poesie und sogar Humor. Wenn etwa die Jugendlichen mit Messi-Trikots und Zinedine-Zidane- Verehrung ein Fußballspiel ohne Ball zelebrieren oder wenn einer der Islamkämpfer, ein Zweifler, in einem (ebenfalls verbotenen) Tanz seinen Frust ausdrückt. Der Film ist bei aller Tragik eine Hommage an die Überlebenskräfte der einfachen Menschen und an ihre Liebe zum Leben.
    Eine besondere Rolle spielt die Ächtung der Musik, die gerade in einem Land in dem der "Wüstenblues" erfunden wurde auf Dauer keinen Erfolg haben kann. Doch die Musik kann man verbieten so oft man will. Eine Gitarre und ein guten Feeling reichen, um sie wieder zu beleben. Die Religionspolizei schleicht über die Dächer auf der Suche nach dem unheiligen guten Ton. Doch was kann sie schon ausrichten gegen die Freude der Menschen an der Musik. Und am Fußball. Mali ist in den letzten Jahren immer wieder afrikanischer Vizemeister geworden.