Es ist zumindest kein Krisengipfel, wenn sich die EU-Staats- und Regierungschefs am Donnerstag wieder in Brüssel treffen. Zwar kommt die EU nur mühsam aus der Krise heraus und viele Mitgliedsstaaten stöhnen weiterhin über eine anhaltende Rezession und extrem hohe Arbeitslosigkeit.
Doch zumindest an den Finanzmärkten hat sich die Lage vorläufig beruhigt, was allerdings weniger dem europäischen Krisenmanagement zu verdanken ist als vielmehr der Ankündigung der Europäischen Zentralbank, den Euro notfalls mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln zu verteidigen. Dennoch ist die Erleichterung in Brüssel unüberhörbar. EU-Ratspräsident Herman van Rompuy:
"Es gibt keinen Vergleich zwischen der jetzigen Situation und der Lage vor gut neun Monaten, als sich der Euro und die Eurozone in einer existenziellen Krise befanden. Das ist jetzt nicht mehr der Fall. Natürlich gibt es immer wieder Turbulenzen, Unsicherheiten und Ähnliches mehr. Aber die jetzige Situation ist mit der im letzten Sommer nicht zu vergleichen."
Das könnte den Reformbemühungen der Europäischen Union neuen Schwung verleihen. Dabei geht es auch weiterhin um ein Mammutprojekt in Folge der schweren Schulden- und Bankenkrise: um den Umbau in eine echte Wirtschafts- und Währungsunion. Doch wieder einmal könnte die Tagespolitik der Gipfelagenda einen Strich durch die Rechnung machen.
So ist etwa der Streit zwischen Mitgliedsstaaten und EU-Parlament über die mittelfristige Finanzplanung noch immer nicht gelöst. Und auch andere brennend aktuelle Themen könnten sich noch in den Vordergrund schieben, meint der Vorsitzende der CSU-Gruppe im Europäischen Parlament, Markus Ferber.
"Syrien, Türkei, das wird sicherlich ein Thema sein, das man zunächst nicht auf der Agenda hatte. Im Zusammenhang mit der Weiterentwicklung der Bankenunion wollte man eigentlich auch weiter sein zum Juni. Das ist nicht gelungen. Da wird es aber auch nur allgemeine Impulse geben."
Insgesamt ist der Reformeifer innerhalb der letzten Monate deutlich erlahmt, einmal abgesehen von der Umsetzung der Bankenunion. Eigentlich sollte der Ratspräsident auf dem Gipfel auch ein Strategiepapier zur Zukunft der EU präsentieren. Doch daraus wird wohl nichts werden.
Was möglicherweise auch an der mächtigsten Regierungschefin Europas liegt. Angela Merkel will derzeit keine weitreichenden Entscheidungen über Europa treffen. In einem Interview mit dem Magazin 'Spiegel' ließ sie unlängst wissen, dass sie einer weiteren Kompetenzverlagerung in Richtung Brüssel und EU-Kommission skeptisch bis ablehnend gegenübersteht. Für den Europa-Experten des Brüsseler Think Tanks Carnegie, Jan Techau, kommt das allerdings überhaupt nicht überraschend:
"Man muss glaube ich zunächst mal verstehen, dass in Deutschland Wahlkampf ist. Und dass die Kanzlerin, die ein sehr feines Gespür dafür hat, was die Wahlbevölkerung umtreibt und in ihrem Inneren bewegt - die gibt also hier die Botschaft aus: Zunächst einmal sehe ich keinen Bedarf, dass mehr Macht an Brüssel übergeben werden soll. Das ist die Botschaft, von der sie glaubt, dass sie die Europafront zu Hause beruhigt. Und der Konkurrenz, die der CDU am rechten, nationalistischen, antieuropäischen Rand erwächst, den Wind aus den Segeln nimmt. Also ich glaube, das ist die Hauptbewegung."
Auf dem Weg zu einer gemeinsamen Wirtschafts- und Währungsunion geht es der Kanzlerin darum, eine gemeinsame Basis zu schaffen – um dann Schritt für Schritt die Wirtschaftspolitik der Mitgliedstaaten besser zu koordinieren.
"Wir können die Ziele, die wir uns gesetzt haben, Wachstum und vor allem Beschäftigung für möglichst viele Menschen in Europa; natürlich auch solide Haushalte – dass können wir nur erreichen, wenn wir auch ein gemeinsames Verständnis von der Wirtschaftspolitik entwickeln."
Dieser Ansatz findet sich auch in einem deutsch-französischen Positionspapier, das die deutsche Bundeskanzlerin und der französische Staatspräsident Ende Mai gemeinsam in Paris präsentierten. Doch auf ihrer Pressekonferenz offenbarte sich ein bemerkenswerter Widerspruch: Während Francois Hollande auf der einen Seite für eine weitere Vergemeinschaftung der Wirtschaftspolitik plädierte, lehnte er gleichzeitig die von der EU-Kommission geforderten Reformen für Frankreich ab.
Zuvor hatte Brüssel der zweitgrößten Volkswirtschaft der Eurozone zwei Jahre mehr Zeit eingeräumt, um das Ziel der drei-prozentigen Defizitgrenze zu erreichen. Gleichzeitig machte die EU der französischen Regierung detaillierte Vorschläge, um Einnahmen und Ausgaben wieder ins Lot zu bringen. Hollandes Antwort: Die Wahl der erforderlichen Maßnahmen und Mittel liege allein in der Verantwortung Frankreichs.
Es ist das Grunddilemma dieser Europäischen Union: Schon jetzt hat die Kommission weitreichende Kompetenzen, die jedoch in ihrem ganzen Ausmaß von vielen Mitgliedsstaaten nicht akzeptiert werden. Neben dem Souveränitätsproblem gibt es aber auch weiter Streit um das richtige Verhältnis zwischen Sparen und Wachsen.
So lag etwa die Arbeitslosenquote in der Eurozone im April insgesamt bei 12,1 Prozent – in Griechenland erreichte sie jedoch gut 27 Prozent. Zudem ist dort wie auch in Spanien, die Jugendarbeitslosigkeit dramatisch gestiegen und liegt heute zwischen 55 und 60 Prozent. Nicht zuletzt aus den südlichen Mitgliedsländern wird deshalb der Ruf nach mehr Wachstumsimpulsen immer lauter. Das findet bei Manuel Barroso durchaus Gehör, auch wenn der EU-Kommissionspräsident am Spar- und Reformkurs festhalten möchte:
"Auch wenn diese Politik grundsätzlich richtig ist, so hat sie doch ihre Grenzen. Damit Politik erfolgreich sein kann, muss sie nicht nur richtig gestaltet sein, sie benötigt auch ein Minimum an gesellschaftlicher und politischer Unterstützung."
Die Menschen in den Krisenländern äußern lautstark ihren Unmut über die strikten Sparprogramme, die ihnen die Troika aus Internationalem Währungsfonds, Europäischer Zentralbank und EU-Kommission auferlegt hat. Die Demonstrationen haben Eindruck gemacht – zumindest bei den Politikern. Auch an den Finanzmärkten gibt es einige, die für eine Abkehr vom strikten Sparkurs werben. So warnte erst unlängst wieder Star-Investor George Soros:
"Germany is imposing the wrong policy on the Eurozone. Austerity doesn’t work. You can’t shrink the debt burden by shrinking the budget deficit."
"Deutschland schreibt der Eurozone die falsche Politik vor. Strikte Sparsamkeit bringt nichts. Man kann die Schuldenlast nicht minimieren, wenn man das Haushaltsdefizit herunterbringt."
Dieser Ansicht sind auch einige Finanzfachleute. So mahnt etwa Dirk Müller, früherer Börsenmakler:
"Dieser Sparkurs führt in die Katastrophe. Wir selbst wissen aus der eigenen Geschichte, was passiert, wenn man in eine Krisensituation hineinspart. Wir haben es unter Reichskanzler Brüning in den 30er Jahren erlebt. Wir selbst haben es anders gemacht. Und selbst Angela Merkel hat in die Krise 2008/2009 hineininvestiert, gegen die Krise an-investiert mit hohen Schulden. Und wir verlangen von unseren südlichen Nachbarn das genaue Gegenteil, von dem wir überzeugt sind, dass es richtig ist."
Die Politik hat in den letzten Wochen reagiert und die Auflagen, die die Krisenländer erfüllen müssen, zeitlich gestreckt. Und der Internationale Währungsfonds musste eingestehen, sich bei der Einschätzung getäuscht zu haben, dass die griechische Wirtschaft schnell wieder Fahrt aufnehmen werde.
Man gaukle der Bevölkerung in den Krisenländern mit der angeblich wachstumsfreundlichen Konsolidierung jedoch etwas vor, warnt Nicolaus Heinen, Europa-Experte der Deutschen Bank:
"Die Politik spielt hier mit dem Wähler ein scheinheiliges Spiel, ihm soll suggeriert werden, dass in einem Land, in dem noch die Krise ist, und in dem die Strukturen noch nicht hinreichend reformiert sind, mehr Geld für mehr Wachstum sorgen soll. Das ist nicht der Fall. Wenn jetzt mehr Geld ausgegeben werden sollte, wird dieses zusätzliche Geld allenfalls kurzfristig verkonsumiert, ein Strohfeuer entsteht. Es führt jedoch nicht dazu, dass das zusätzliche Geld investiert wird. Denn Investitionen brauchen als Voraussetzung sichere Rahmenbedingungen, und die sind zumindest in Griechenland, Italien und Portugal nicht gegeben."
An der Strategie zur Krisenbewältigung sollte man deshalb nach Meinung vieler Volkswirte grundsätzlich festhalten – obwohl die wirtschaftliche Situation sich für viele Menschen verschlechtert hat, obwohl sie unter steigender Arbeitslosigkeit und sinkenden Löhnen zu leiden haben. Marcel Fratzscher, Präsident des DIW, des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, bemüht einen medizinischen Vergleich:
"Das ist wie ein kranker Mensch, der nach vielen Monaten der Krankheit zwar auf dem Weg der Besserung ist, aber dem es nicht schnell genug geht. Und der sagt, ich will die Medizin absetzen, ich brauche was Neues und den man immer wieder daran erinnern muss, Nein, es dauert seine Zeit, und wir sind auf dem richtigem Weg, aber wir müssen diesen Weg durchhalten und die Reformen durchhalten, und es wird noch ein paar Jahre dauern, es wird noch eine Zeit dauern, aber es gibt keine Alternative. Das ist eine schwierige Überzeugungstat, aber es gibt in der Tat keinen anderen Weg als diese Reform durchzuführen."
Immerhin sind in den letzten Wochen erste Anzeichen von Besserung zu erkennen: Die Krisenländer verharren zwar weiter in der Rezession, aber das Tempo des Abschwungs ist langsamer geworden, zumindest in Spanien und Italien. Während Portugal und Griechenland sich noch schwertun, hat Italien 2012 zumindest beim Haushaltsdefizit eine Punktlandung geschafft: mit drei Prozent gemessen am Bruttoinlandsprodukt steht die Neuverschuldung im Einklang mit dem Maastricht-Kriterium. Die bittere Medizin scheint also anzuschlagen. Aber Nicolaus Heinen, der Europa-Experte der Deutschen Bank, warnt davor, diese ersten positiven Signale zu überschätzen:
"Ein zentraler Aspekt ist die Selbsterkenntnis, die in den jeweiligen Ländern vorherrscht. Wir sehen mit Italien, aber auch Frankreich und Portugal drei Länder, denen es schlecht geht, die aber noch nicht begriffen haben, dass es ohne Strukturreformen und ohne den Sparkurs nicht geht. Portugal hat eine geografische Randlage und schlecht ausgebildete Arbeitnehmer, sodass dort strukturell auch vieles im Argen liegt."
Deshalb halten einige Volkswirte die Ankündigung der EZB für wenig hilfreich, notfalls Anleihen der Krisenländer aufzukaufen. Das habe die Renditen der Staatsanleihen dieser Länder gedrückt, aber die Reformbereitschaft lasse auf diese Weise nach, meint Heinen:
"Das macht bequem, und das lässt natürlich der Fantasie, also nach einer Streckung des Sparkurses freien Lauf."
Die EZB hat sich von der Politik in eine Falle treiben lassen, meint auch Dennis Snower, Präsident des IfW, des Kieler Instituts für Weltwirtschaft. Das gelte so lange, wie die Fiskalpolitik nicht glaubwürdig sei.
"Die Länder sollten ihre eigenen Fiskalregeln schreiben, natürlich müssen sich diese Fiskalregeln an die Maastricht-Kriterien halten. Aber wie schnell man eine langfristige Schuldenquote angeht oder wie antizyklisch die Fiskalpolitik zu sein hat, das soll den Ländern überlassen werden. Aber wenn sie sich einmal darauf geeinigt haben, jedes Land für sich, dann sollte die Implementierung automatisch sein. Es sollte nicht möglich sein, in schlechten Zeiten fiskalpolitisch eine Rezession zu bekämpfen, ohne in guten Zeiten genau im Ausmaß gegenzusteuern."
Wenn diese Regeln strikt eingehalten werden, schaffe das Vertrauen bei den Gläubigerländern.
Solange das nicht gelingt, schwelt der Streit über das Vorgehen in der Eurokrise weiter. Die kritischen Stimmen mehren sich, die meinen, die gemeinsame Währung, der Euro, sei in dieser Form nicht mehr zu halten. Am lautesten ist das von der neuen Partei "Alternative für Deutschland" zu vernehmen, die für einen geordneten Austritt der südeuropäischen Krisenländer aus dem Euro wirbt. Das aber wäre keine gute Idee, meint Snower:
"Dann wäre die finanzielle Ansteckungsgefahr enorm. Wenn ein Krisenland austritt, dann würde in anderen Krisenländern der Verdacht auftreten, dass es auch hier geschehen würde. Und dann würden Länder das Geld von der Bank abheben, das Bankensystem würde kollabieren, und es wäre eine riesige Krise in Europa."
Die Ökonomen mahnen mehr Zuverlässigkeit an. Das verloren gegangene Vertrauen müsse erst wieder zurückgewonnen werden – vor allem bei den Investoren. In diesem Zusammenhang ist der Richtungsstreit zwischen dem IWF und dem Rest der Troika nicht eben förderlich. Der IWF plädiert für mehr Wachstum in den Krisenländern, die EU-Kommission und die EZB für die Beibehaltung des Sparkurses. Dabei haben beide gewichtige Argumente auf ihrer Seite - und deshalb hält IfW-Präsident Snower den Mittelweg für die richtige Option.
"Das bedeutet, den Gläubigerländern muss bewiesen werden, dass wir nachhaltige Mechanismen in Europa haben, die es verbieten, dass wir wieder in so eine Krise kommen. Und dann wären die Gläubigerländer, glaube ich, mehr bereit, den Schuldnerländern zu Krisenzeiten zu helfen, und dann hätten beide Blöcke etwas davon."
Die Regeln nachzujustieren – das hält auch DIW-Präsident Fratzscher für unbedingt nötig:
"Wir sind auf einem guten Weg, eine Bankenunion zu implementieren. Das ist ein notwendiger Schritt, um den Euro nachhaltig zu machen. Wir müssen auch auf den fiskalischen Regeln nachlegen. Wir brauchen einen Mechanismus, der sicherstellt, dass in Zukunft Länder sich an die fiskalischen Vorgaben halten, das heißt, dass sie sich nicht so stark verschulden, dass es im Endeffekt dann wiederum zu negativen Ansteckungseffekten für ganz Europa kommt und damit auch für Deutschland."
Wenn man so weit gekommen wäre, dann könnte man sich sogar die Einführung von Eurobonds vorstellen. Aber nur dann. Dennis Snower:
"Wenn das restliche System nachhaltig aufgestellt ist, zum Beispiel, dass die Schuldnerländer automatisch Fiskalregeln verantwortlich einhalten, dann wären Eurobonds nicht mehr schädlich, ganz im Gegenteil, weil die Gläubigerländer wüssten, dass das ausgeliehene Geld wieder zurückkommt."
Doch von Eurobonds ist derzeit auf politischer Ebene gar keine Rede mehr. Vielmehr will der anstehende Gipfel erst einmal ganz praktische und publikumswirksame Zeichen setzen: die Bekämpfung der hohen Jugendarbeitslosigkeit in Europa. Dafür stehen in der mittelfristigen Finanzplanung in den nächsten Jahren sechs Milliarden Euro bereit. Allerdings ist der Haushalt noch nicht verabschiedet – weshalb der Präsident des Europäischen Parlaments jetzt mehr Flexibiliät im Umgang mit dem Haushalt gefordert hat und der EU Versagen im Kampf gegen die Jugendarbeitslosigkeit vorwarf: Der Union sei die Rettung der Banken 700 Milliarden Euro wert gewesen – der Kampf gegen die Jugendarbeitslosigkeit nur sechs Milliarden.
Finanzminister Wolfgang Schäuble sieht indes auch dringenden Bedarf, die Investitionsbedingungen für kleinere und mittlere Unternehmen in Europa deutlich zu verbessern. Auch dafür müsse die EU die notwendige Schützenhilfe leisten:
"Dass die Möglichkeiten der Europäischen Investitionsbank und des Europäischen Investitionsfonds noch stärker kreativer, innovativer genutzt werden, um für kleinere und mittlere Unternehmen die Investitionsbedingungen zu verbessern. Aber auch Eigenkapital für kleine und mittlere Unternehmen zu vergeben. Durch Verbriefungen und Ähnliches mehr. Dass man dafür auch in einer Kombination die nicht genutzten Mittel aus Regions- und Strukturfonds nutzt."
Was die eigentlichen Strukturreformen angeht, hat die Union zumindest bei der geplanten Bankenunion durchaus bemerkenswerte Fortschritte erzielt. Die Bankenaufsicht durch die Europäische Zentralbank steht, ebenso die Grundzüge für eine direkte Rekapitalisierung der Geldinstitute in der Eurozone durch den Rettungsschirm ESM.
Denn grundsätzlich heißt das Ziel: Wenn Banken pleitegehen, sollen nicht mehr die Steuerzahler, sondern die Geldinstitute, ihre Anteilseigner und die Gläubiger haften. Deshalb soll es später auch einen europäischen Abwicklungsmechanismus für die Eurozone geben – die Vorschläge dazu will die Kommission Anfang Juli vorstellen.
Ohnehin richtet sich der Reformfokus mittelfristig ganz auf die Eurozone. So soll es nicht nur bilaterale Verträge zwischen Kommission und Mitgliedsstaaten geben, um die Wettbewerbsfähigkeit zu steigern – dafür soll auch ein eigener Hilfsfond geschaffen werden. Deutschland und Frankreich plädierten auch gemeinsam für einen hauptberuflichen Eurogruppenchef.
Die EU-Mitglieder, die den Euro noch nicht haben, aber auch das Europäische Parlament verfolgen diese Überlegungen jedoch mit einem gewissen Misstrauen. Die Fraktionsvorsitzende der Grünen, die EU-Abgeordnete Rebecca Harms:
"Ich bin mit der Mehrheit des Europäischen Parlaments weiter davon überzeugt, dass wir Integrationsschritte – die Vertiefung der europäischen Politik rund um Finanzen und Wirtschaft – für die gesamte Europäische Union machen müssen. Und dass wir keineswegs diejenigen, die noch nicht im Euro sind, jetzt ausklammern, wenn es um Vertiefung geht."
Zumal auch die Gedankenspiele über eine weitere Demokratisierung der EU – sprich eine Stärkung des EU-Parlaments oder sogar eine Direktwahl des EU-Kommissionspräsidenten – derzeit kaum eine Rolle spielen. Denn dafür müssten die EU-Verträge geändert werden.
So gilt für die gesamte Reformdebatte in der Europäischen Union: Wiedervorlage nach dem 22. September, dem Tag der Wahl zum Deutschen Bundestag. Vorher wird sich auf europäischer Ebene nicht mehr viel bewegen, ist in Brüssel zu hören. Und dann bleibt erst einmal abzuwarten, wer in Berlin für die nächsten vier Jahre die Europapolitik bestimmt.
Doch zumindest an den Finanzmärkten hat sich die Lage vorläufig beruhigt, was allerdings weniger dem europäischen Krisenmanagement zu verdanken ist als vielmehr der Ankündigung der Europäischen Zentralbank, den Euro notfalls mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln zu verteidigen. Dennoch ist die Erleichterung in Brüssel unüberhörbar. EU-Ratspräsident Herman van Rompuy:
"Es gibt keinen Vergleich zwischen der jetzigen Situation und der Lage vor gut neun Monaten, als sich der Euro und die Eurozone in einer existenziellen Krise befanden. Das ist jetzt nicht mehr der Fall. Natürlich gibt es immer wieder Turbulenzen, Unsicherheiten und Ähnliches mehr. Aber die jetzige Situation ist mit der im letzten Sommer nicht zu vergleichen."
Das könnte den Reformbemühungen der Europäischen Union neuen Schwung verleihen. Dabei geht es auch weiterhin um ein Mammutprojekt in Folge der schweren Schulden- und Bankenkrise: um den Umbau in eine echte Wirtschafts- und Währungsunion. Doch wieder einmal könnte die Tagespolitik der Gipfelagenda einen Strich durch die Rechnung machen.
So ist etwa der Streit zwischen Mitgliedsstaaten und EU-Parlament über die mittelfristige Finanzplanung noch immer nicht gelöst. Und auch andere brennend aktuelle Themen könnten sich noch in den Vordergrund schieben, meint der Vorsitzende der CSU-Gruppe im Europäischen Parlament, Markus Ferber.
"Syrien, Türkei, das wird sicherlich ein Thema sein, das man zunächst nicht auf der Agenda hatte. Im Zusammenhang mit der Weiterentwicklung der Bankenunion wollte man eigentlich auch weiter sein zum Juni. Das ist nicht gelungen. Da wird es aber auch nur allgemeine Impulse geben."
Insgesamt ist der Reformeifer innerhalb der letzten Monate deutlich erlahmt, einmal abgesehen von der Umsetzung der Bankenunion. Eigentlich sollte der Ratspräsident auf dem Gipfel auch ein Strategiepapier zur Zukunft der EU präsentieren. Doch daraus wird wohl nichts werden.
Was möglicherweise auch an der mächtigsten Regierungschefin Europas liegt. Angela Merkel will derzeit keine weitreichenden Entscheidungen über Europa treffen. In einem Interview mit dem Magazin 'Spiegel' ließ sie unlängst wissen, dass sie einer weiteren Kompetenzverlagerung in Richtung Brüssel und EU-Kommission skeptisch bis ablehnend gegenübersteht. Für den Europa-Experten des Brüsseler Think Tanks Carnegie, Jan Techau, kommt das allerdings überhaupt nicht überraschend:
"Man muss glaube ich zunächst mal verstehen, dass in Deutschland Wahlkampf ist. Und dass die Kanzlerin, die ein sehr feines Gespür dafür hat, was die Wahlbevölkerung umtreibt und in ihrem Inneren bewegt - die gibt also hier die Botschaft aus: Zunächst einmal sehe ich keinen Bedarf, dass mehr Macht an Brüssel übergeben werden soll. Das ist die Botschaft, von der sie glaubt, dass sie die Europafront zu Hause beruhigt. Und der Konkurrenz, die der CDU am rechten, nationalistischen, antieuropäischen Rand erwächst, den Wind aus den Segeln nimmt. Also ich glaube, das ist die Hauptbewegung."
Auf dem Weg zu einer gemeinsamen Wirtschafts- und Währungsunion geht es der Kanzlerin darum, eine gemeinsame Basis zu schaffen – um dann Schritt für Schritt die Wirtschaftspolitik der Mitgliedstaaten besser zu koordinieren.
"Wir können die Ziele, die wir uns gesetzt haben, Wachstum und vor allem Beschäftigung für möglichst viele Menschen in Europa; natürlich auch solide Haushalte – dass können wir nur erreichen, wenn wir auch ein gemeinsames Verständnis von der Wirtschaftspolitik entwickeln."
Dieser Ansatz findet sich auch in einem deutsch-französischen Positionspapier, das die deutsche Bundeskanzlerin und der französische Staatspräsident Ende Mai gemeinsam in Paris präsentierten. Doch auf ihrer Pressekonferenz offenbarte sich ein bemerkenswerter Widerspruch: Während Francois Hollande auf der einen Seite für eine weitere Vergemeinschaftung der Wirtschaftspolitik plädierte, lehnte er gleichzeitig die von der EU-Kommission geforderten Reformen für Frankreich ab.
Zuvor hatte Brüssel der zweitgrößten Volkswirtschaft der Eurozone zwei Jahre mehr Zeit eingeräumt, um das Ziel der drei-prozentigen Defizitgrenze zu erreichen. Gleichzeitig machte die EU der französischen Regierung detaillierte Vorschläge, um Einnahmen und Ausgaben wieder ins Lot zu bringen. Hollandes Antwort: Die Wahl der erforderlichen Maßnahmen und Mittel liege allein in der Verantwortung Frankreichs.
Es ist das Grunddilemma dieser Europäischen Union: Schon jetzt hat die Kommission weitreichende Kompetenzen, die jedoch in ihrem ganzen Ausmaß von vielen Mitgliedsstaaten nicht akzeptiert werden. Neben dem Souveränitätsproblem gibt es aber auch weiter Streit um das richtige Verhältnis zwischen Sparen und Wachsen.
So lag etwa die Arbeitslosenquote in der Eurozone im April insgesamt bei 12,1 Prozent – in Griechenland erreichte sie jedoch gut 27 Prozent. Zudem ist dort wie auch in Spanien, die Jugendarbeitslosigkeit dramatisch gestiegen und liegt heute zwischen 55 und 60 Prozent. Nicht zuletzt aus den südlichen Mitgliedsländern wird deshalb der Ruf nach mehr Wachstumsimpulsen immer lauter. Das findet bei Manuel Barroso durchaus Gehör, auch wenn der EU-Kommissionspräsident am Spar- und Reformkurs festhalten möchte:
"Auch wenn diese Politik grundsätzlich richtig ist, so hat sie doch ihre Grenzen. Damit Politik erfolgreich sein kann, muss sie nicht nur richtig gestaltet sein, sie benötigt auch ein Minimum an gesellschaftlicher und politischer Unterstützung."
Die Menschen in den Krisenländern äußern lautstark ihren Unmut über die strikten Sparprogramme, die ihnen die Troika aus Internationalem Währungsfonds, Europäischer Zentralbank und EU-Kommission auferlegt hat. Die Demonstrationen haben Eindruck gemacht – zumindest bei den Politikern. Auch an den Finanzmärkten gibt es einige, die für eine Abkehr vom strikten Sparkurs werben. So warnte erst unlängst wieder Star-Investor George Soros:
"Germany is imposing the wrong policy on the Eurozone. Austerity doesn’t work. You can’t shrink the debt burden by shrinking the budget deficit."
"Deutschland schreibt der Eurozone die falsche Politik vor. Strikte Sparsamkeit bringt nichts. Man kann die Schuldenlast nicht minimieren, wenn man das Haushaltsdefizit herunterbringt."
Dieser Ansicht sind auch einige Finanzfachleute. So mahnt etwa Dirk Müller, früherer Börsenmakler:
"Dieser Sparkurs führt in die Katastrophe. Wir selbst wissen aus der eigenen Geschichte, was passiert, wenn man in eine Krisensituation hineinspart. Wir haben es unter Reichskanzler Brüning in den 30er Jahren erlebt. Wir selbst haben es anders gemacht. Und selbst Angela Merkel hat in die Krise 2008/2009 hineininvestiert, gegen die Krise an-investiert mit hohen Schulden. Und wir verlangen von unseren südlichen Nachbarn das genaue Gegenteil, von dem wir überzeugt sind, dass es richtig ist."
Die Politik hat in den letzten Wochen reagiert und die Auflagen, die die Krisenländer erfüllen müssen, zeitlich gestreckt. Und der Internationale Währungsfonds musste eingestehen, sich bei der Einschätzung getäuscht zu haben, dass die griechische Wirtschaft schnell wieder Fahrt aufnehmen werde.
Man gaukle der Bevölkerung in den Krisenländern mit der angeblich wachstumsfreundlichen Konsolidierung jedoch etwas vor, warnt Nicolaus Heinen, Europa-Experte der Deutschen Bank:
"Die Politik spielt hier mit dem Wähler ein scheinheiliges Spiel, ihm soll suggeriert werden, dass in einem Land, in dem noch die Krise ist, und in dem die Strukturen noch nicht hinreichend reformiert sind, mehr Geld für mehr Wachstum sorgen soll. Das ist nicht der Fall. Wenn jetzt mehr Geld ausgegeben werden sollte, wird dieses zusätzliche Geld allenfalls kurzfristig verkonsumiert, ein Strohfeuer entsteht. Es führt jedoch nicht dazu, dass das zusätzliche Geld investiert wird. Denn Investitionen brauchen als Voraussetzung sichere Rahmenbedingungen, und die sind zumindest in Griechenland, Italien und Portugal nicht gegeben."
An der Strategie zur Krisenbewältigung sollte man deshalb nach Meinung vieler Volkswirte grundsätzlich festhalten – obwohl die wirtschaftliche Situation sich für viele Menschen verschlechtert hat, obwohl sie unter steigender Arbeitslosigkeit und sinkenden Löhnen zu leiden haben. Marcel Fratzscher, Präsident des DIW, des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, bemüht einen medizinischen Vergleich:
"Das ist wie ein kranker Mensch, der nach vielen Monaten der Krankheit zwar auf dem Weg der Besserung ist, aber dem es nicht schnell genug geht. Und der sagt, ich will die Medizin absetzen, ich brauche was Neues und den man immer wieder daran erinnern muss, Nein, es dauert seine Zeit, und wir sind auf dem richtigem Weg, aber wir müssen diesen Weg durchhalten und die Reformen durchhalten, und es wird noch ein paar Jahre dauern, es wird noch eine Zeit dauern, aber es gibt keine Alternative. Das ist eine schwierige Überzeugungstat, aber es gibt in der Tat keinen anderen Weg als diese Reform durchzuführen."
Immerhin sind in den letzten Wochen erste Anzeichen von Besserung zu erkennen: Die Krisenländer verharren zwar weiter in der Rezession, aber das Tempo des Abschwungs ist langsamer geworden, zumindest in Spanien und Italien. Während Portugal und Griechenland sich noch schwertun, hat Italien 2012 zumindest beim Haushaltsdefizit eine Punktlandung geschafft: mit drei Prozent gemessen am Bruttoinlandsprodukt steht die Neuverschuldung im Einklang mit dem Maastricht-Kriterium. Die bittere Medizin scheint also anzuschlagen. Aber Nicolaus Heinen, der Europa-Experte der Deutschen Bank, warnt davor, diese ersten positiven Signale zu überschätzen:
"Ein zentraler Aspekt ist die Selbsterkenntnis, die in den jeweiligen Ländern vorherrscht. Wir sehen mit Italien, aber auch Frankreich und Portugal drei Länder, denen es schlecht geht, die aber noch nicht begriffen haben, dass es ohne Strukturreformen und ohne den Sparkurs nicht geht. Portugal hat eine geografische Randlage und schlecht ausgebildete Arbeitnehmer, sodass dort strukturell auch vieles im Argen liegt."
Deshalb halten einige Volkswirte die Ankündigung der EZB für wenig hilfreich, notfalls Anleihen der Krisenländer aufzukaufen. Das habe die Renditen der Staatsanleihen dieser Länder gedrückt, aber die Reformbereitschaft lasse auf diese Weise nach, meint Heinen:
"Das macht bequem, und das lässt natürlich der Fantasie, also nach einer Streckung des Sparkurses freien Lauf."
Die EZB hat sich von der Politik in eine Falle treiben lassen, meint auch Dennis Snower, Präsident des IfW, des Kieler Instituts für Weltwirtschaft. Das gelte so lange, wie die Fiskalpolitik nicht glaubwürdig sei.
"Die Länder sollten ihre eigenen Fiskalregeln schreiben, natürlich müssen sich diese Fiskalregeln an die Maastricht-Kriterien halten. Aber wie schnell man eine langfristige Schuldenquote angeht oder wie antizyklisch die Fiskalpolitik zu sein hat, das soll den Ländern überlassen werden. Aber wenn sie sich einmal darauf geeinigt haben, jedes Land für sich, dann sollte die Implementierung automatisch sein. Es sollte nicht möglich sein, in schlechten Zeiten fiskalpolitisch eine Rezession zu bekämpfen, ohne in guten Zeiten genau im Ausmaß gegenzusteuern."
Wenn diese Regeln strikt eingehalten werden, schaffe das Vertrauen bei den Gläubigerländern.
Solange das nicht gelingt, schwelt der Streit über das Vorgehen in der Eurokrise weiter. Die kritischen Stimmen mehren sich, die meinen, die gemeinsame Währung, der Euro, sei in dieser Form nicht mehr zu halten. Am lautesten ist das von der neuen Partei "Alternative für Deutschland" zu vernehmen, die für einen geordneten Austritt der südeuropäischen Krisenländer aus dem Euro wirbt. Das aber wäre keine gute Idee, meint Snower:
"Dann wäre die finanzielle Ansteckungsgefahr enorm. Wenn ein Krisenland austritt, dann würde in anderen Krisenländern der Verdacht auftreten, dass es auch hier geschehen würde. Und dann würden Länder das Geld von der Bank abheben, das Bankensystem würde kollabieren, und es wäre eine riesige Krise in Europa."
Die Ökonomen mahnen mehr Zuverlässigkeit an. Das verloren gegangene Vertrauen müsse erst wieder zurückgewonnen werden – vor allem bei den Investoren. In diesem Zusammenhang ist der Richtungsstreit zwischen dem IWF und dem Rest der Troika nicht eben förderlich. Der IWF plädiert für mehr Wachstum in den Krisenländern, die EU-Kommission und die EZB für die Beibehaltung des Sparkurses. Dabei haben beide gewichtige Argumente auf ihrer Seite - und deshalb hält IfW-Präsident Snower den Mittelweg für die richtige Option.
"Das bedeutet, den Gläubigerländern muss bewiesen werden, dass wir nachhaltige Mechanismen in Europa haben, die es verbieten, dass wir wieder in so eine Krise kommen. Und dann wären die Gläubigerländer, glaube ich, mehr bereit, den Schuldnerländern zu Krisenzeiten zu helfen, und dann hätten beide Blöcke etwas davon."
Die Regeln nachzujustieren – das hält auch DIW-Präsident Fratzscher für unbedingt nötig:
"Wir sind auf einem guten Weg, eine Bankenunion zu implementieren. Das ist ein notwendiger Schritt, um den Euro nachhaltig zu machen. Wir müssen auch auf den fiskalischen Regeln nachlegen. Wir brauchen einen Mechanismus, der sicherstellt, dass in Zukunft Länder sich an die fiskalischen Vorgaben halten, das heißt, dass sie sich nicht so stark verschulden, dass es im Endeffekt dann wiederum zu negativen Ansteckungseffekten für ganz Europa kommt und damit auch für Deutschland."
Wenn man so weit gekommen wäre, dann könnte man sich sogar die Einführung von Eurobonds vorstellen. Aber nur dann. Dennis Snower:
"Wenn das restliche System nachhaltig aufgestellt ist, zum Beispiel, dass die Schuldnerländer automatisch Fiskalregeln verantwortlich einhalten, dann wären Eurobonds nicht mehr schädlich, ganz im Gegenteil, weil die Gläubigerländer wüssten, dass das ausgeliehene Geld wieder zurückkommt."
Doch von Eurobonds ist derzeit auf politischer Ebene gar keine Rede mehr. Vielmehr will der anstehende Gipfel erst einmal ganz praktische und publikumswirksame Zeichen setzen: die Bekämpfung der hohen Jugendarbeitslosigkeit in Europa. Dafür stehen in der mittelfristigen Finanzplanung in den nächsten Jahren sechs Milliarden Euro bereit. Allerdings ist der Haushalt noch nicht verabschiedet – weshalb der Präsident des Europäischen Parlaments jetzt mehr Flexibiliät im Umgang mit dem Haushalt gefordert hat und der EU Versagen im Kampf gegen die Jugendarbeitslosigkeit vorwarf: Der Union sei die Rettung der Banken 700 Milliarden Euro wert gewesen – der Kampf gegen die Jugendarbeitslosigkeit nur sechs Milliarden.
Finanzminister Wolfgang Schäuble sieht indes auch dringenden Bedarf, die Investitionsbedingungen für kleinere und mittlere Unternehmen in Europa deutlich zu verbessern. Auch dafür müsse die EU die notwendige Schützenhilfe leisten:
"Dass die Möglichkeiten der Europäischen Investitionsbank und des Europäischen Investitionsfonds noch stärker kreativer, innovativer genutzt werden, um für kleinere und mittlere Unternehmen die Investitionsbedingungen zu verbessern. Aber auch Eigenkapital für kleine und mittlere Unternehmen zu vergeben. Durch Verbriefungen und Ähnliches mehr. Dass man dafür auch in einer Kombination die nicht genutzten Mittel aus Regions- und Strukturfonds nutzt."
Was die eigentlichen Strukturreformen angeht, hat die Union zumindest bei der geplanten Bankenunion durchaus bemerkenswerte Fortschritte erzielt. Die Bankenaufsicht durch die Europäische Zentralbank steht, ebenso die Grundzüge für eine direkte Rekapitalisierung der Geldinstitute in der Eurozone durch den Rettungsschirm ESM.
Denn grundsätzlich heißt das Ziel: Wenn Banken pleitegehen, sollen nicht mehr die Steuerzahler, sondern die Geldinstitute, ihre Anteilseigner und die Gläubiger haften. Deshalb soll es später auch einen europäischen Abwicklungsmechanismus für die Eurozone geben – die Vorschläge dazu will die Kommission Anfang Juli vorstellen.
Ohnehin richtet sich der Reformfokus mittelfristig ganz auf die Eurozone. So soll es nicht nur bilaterale Verträge zwischen Kommission und Mitgliedsstaaten geben, um die Wettbewerbsfähigkeit zu steigern – dafür soll auch ein eigener Hilfsfond geschaffen werden. Deutschland und Frankreich plädierten auch gemeinsam für einen hauptberuflichen Eurogruppenchef.
Die EU-Mitglieder, die den Euro noch nicht haben, aber auch das Europäische Parlament verfolgen diese Überlegungen jedoch mit einem gewissen Misstrauen. Die Fraktionsvorsitzende der Grünen, die EU-Abgeordnete Rebecca Harms:
"Ich bin mit der Mehrheit des Europäischen Parlaments weiter davon überzeugt, dass wir Integrationsschritte – die Vertiefung der europäischen Politik rund um Finanzen und Wirtschaft – für die gesamte Europäische Union machen müssen. Und dass wir keineswegs diejenigen, die noch nicht im Euro sind, jetzt ausklammern, wenn es um Vertiefung geht."
Zumal auch die Gedankenspiele über eine weitere Demokratisierung der EU – sprich eine Stärkung des EU-Parlaments oder sogar eine Direktwahl des EU-Kommissionspräsidenten – derzeit kaum eine Rolle spielen. Denn dafür müssten die EU-Verträge geändert werden.
So gilt für die gesamte Reformdebatte in der Europäischen Union: Wiedervorlage nach dem 22. September, dem Tag der Wahl zum Deutschen Bundestag. Vorher wird sich auf europäischer Ebene nicht mehr viel bewegen, ist in Brüssel zu hören. Und dann bleibt erst einmal abzuwarten, wer in Berlin für die nächsten vier Jahre die Europapolitik bestimmt.