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Skandal um künstliche Luftröhren
"Star-Chirurg" in der Kritik

Eine Dokumentation im schwedischen Staatsfernsehen erhebt schwere Vorwürfe gegen Paolo Macchiarini. Der Chirurg an der angesehenen medizinischen Universität Karolinska-Institut hatte acht Patienten eine künstliche Luftröhre eingesetzt, sechs davon starben. Er soll auch Menschen in akute Lebensgefahr gebracht haben, die gar nicht bedrohlich krank waren.

Von Christine Westerhaus | 02.02.2016
    Ein Mediziner bekommt am 18.02.2014 in einer Klinik in Baden-Württemberg vor einer Operation ein Paar Handschuhe angezogen.
    Falsch datierte Röntgenbilder, geschönte Fakten über den Zustand von Patienten - die Liste der Vorwürfe gegen Paolo Macchiarini ist lang. (picture-alliance / dpa / Felix Kästle)
    Paolo Macchiarini stellte sich in den Medien gerne als Retter dar, der schwerkranken Menschen helfen kann. Mit einer künstlichen Luftröhre aus Plastik, die tagelang in einer Lösung mit körpereigenen Stammzellen gebadet hatte, würden Patienten wieder ohne Schmerzen leben können, so sein Versprechen. Die Stammzellen werden sich an die künstliche Luftröhre anlagern und dort nach und nach neues Gewebe und schließlich ein neues Organ bilden. Das stellten Paolo Macchiarini und sein Team auch Andemariam Beyene in Aussicht.
    Er litt an Luftröhrenkrebs und erhielt als erster eine künstliche Luftröhre. Doch der Mann aus Eritrea, der auf Island lebte, starb 2014 nach monatelangem Leiden. Bei der Obduktion sahen die Ärzte, dass sich das eingepflanzte Plastikrohr teilweise abgelöst hatte, dass der Eingang zu den Lungenflügeln von entzündetem Gewebe verstopft und die Luftröhre kollabiert war und nur dank eines Art Drahtgerüst offen gehalten worden war. Von den Stammzellen, die neues gesundes Luftröhrengewebe bilden sollten, fehlte jede Spur. Doch in den Artikeln, die Macchiarini nach der OP verfasste, stand nur Positives, erzählt Karl-Henrik Grinnemo, Paolo Macchiarinis Kollege am Karolinska-Institut.
    "Wir haben uns alle Artikel über die Luftröhren-Operationen angesehen und mit den Daten verglichen, die in den Krankenakten standen. Dabei fiel uns unter anderem auf, dass in dem wichtigsten Artikel, der 2011 im Fachmagazin "Lancet" veröffentlicht wurde, mehr oder weniger gar nichts stimmte. Röntgenbilder, die angeblich fünf Monate nach der OP gemacht wurden, waren schon nach einem Monat entstanden. Gewebeproben, die angeblich auf eine neu gebildete Schleimhaut hinweisen sollten, zeigten in Wirklichkeit eine sich auflösende Luftröhre und es gab Hinweise auf Pilz und Bakterieninfektionen. Es gab also überhaupt keine Hinweise auf eine Regeneration der Luftröhre."
    Dennoch wurden – auch auf Grundlage des positiven Artikels - weitere Menschen operiert. Nun erhielten auch Menschen in Russland eine synthetische Luftröhre, obwohl sie nicht lebensbedrohlich krank waren. Die Methode war zuvor nicht einmal an Tieren erprobt worden, wie Karl-Henrik Grinnemo später herausfand.
    "Paolo Macchiarini hat die ganze Zeit behauptet, dass es Tierversuche in großem Umfang gab. Doch es gab gar nichts. Er hat erst damit angefangen, als schon drei Patienten operiert worden waren und hat die Daten dann nie veröffentlicht. Das ist wirklich furchtbar, dass die Methode direkt an Menschen getestet wurde. Das Karolinska-Institut argumentiert damit, dass man die Patienten operiert habe, um ihr Leben zu retten. Doch keiner der Menschen, die dort operiert wurden, war todkrank. Im Gegenteil: Vor der OP reisten die Patienten herum, kamen eigenhändig mit einem Koffer hier an und hatten vorher noch Freunde in Schweden getroffen."
    Das Karolinska-Institut stellte sich vorerst weiter hinter seinen Chirurgen
    Anfang 2014 zeigte Karl-Henrik Grinnemo Macchiarinis Methoden gemeinsam mit drei weiteren Kollegen bei der Leitung des Karolinska-Instituts an. Ein externer Gutachter, der daraufhin eingesetzt wurde, kam nach monatelanger Untersuchung zu dem Schluss, dass Macchiarini in seinen Artikeln tatsächlich Fakten über den Zustand der Patienten massiv geschönt hatte. Sein Fazit: Macchiarini hat sich des Forschungsbetrugs schuldig gemacht. Doch das Karolinska-Institut stellte sich nach einer internen Auswertung weiterhin hinter seinen "Starchirurgen", wie er in den Medien gern genannt wurde.
    "Das war ein harter Schlag ins Gesicht für uns, aber vor allem auch für die Patienten, von denen zwei bereits gestorben sind und die Dritte ein miserables Leben hat. Wir wussten, dass Macchiarini auch in Russland Menschen operierte und wir wollten mit unserer Anzeige erreichen, dass diese Operationen endlich aufhören."
    Erst die dreistündige Dokumentation über Macchiarini im schwedischen Staatsfernsehen SVT scheint den Luftröhren-Chirurgen nun zu Fall zu bringen. Kurz nach der Ausstrahlung erklärte der Rektor des Karolinska-Instituts, Anders Hamsten, in einer Pressemitteilung, man werde der Sache nun genauer nachgehen. Im SVT sagte er während einer Diskussionsrunde nach der Ausstrahlung:
    "Ausgehend von Paolo Macchiarinis Tätigkeit in Russland ist mein Vertrauen in ihn angegriffen. Diese Operationen sind nicht mit den Werten des Karolinska Instituts vereinbar."
    Inzwischen ist klar, dass Macchiarinis befristete Anstellung am Karolinska-Institut nicht verlängert wird. Karl-Henrik Grinnemo wundert sich jedoch über den plötzlichen Sinneswandel der Institutsleitung. Schließlich sei dem Karolinska-Institut die ganze Zeit bewusst gewesen, dass Macchiarini auch in Russland Menschen künstliche Luftröhren einpflanzt, obwohl sie nicht lebensbedrohlich krank sind.
    "Ich finde es ziemlich merkwürdig, dass es erst eine Fernsehsendung braucht, um einzusehen, was passiert ist. Alles, was in der Dokumentation zu sehen war, stand auch in unserer Anklage. Außerdem finde ich es verblüffend, zu behaupten, man habe nichts über Macchiarinis Operationen in Russland gewusst. Diese Affäre hat dem Ansehen des Karolinska-Instituts massiv geschadet. Dass so ein international angesehenes Institut nicht in der Lage ist, zu beurteilen, was gute Forschung ist und was nicht, deckt ein deutliches Defizit auf."
    Inzwischen ist klar, dass auch die Leitung des Karolinska-Instituts erklären muss, warum sie an Maccharini trotz des externen Gutachtens festhielt. Offenbar wussten die Verantwortlichen auch schon früh, dass der Chirurg vor seiner Rekrutierung an das Karolinska-Institut in Italien angeklagt war, weil er Patienten in die Irre geführt hatte. Paolo Macchiarini selbst steht derzeit für die Medien nicht als Gesprächspartner zur Verfügung.