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Skepsis gegenüber der neuen Währung

    Breker: Einer, der, vorsichtig gesagt, zu den Skeptikern der neuen Währung gehörte, ist Herr Professor Wilhelm Nölling, ehemaliger Chef der Hamburger Landeszentralbank. Er gehört zu denjenigen, die gegen den Euro - wenn auch vergeblich - geklagt haben. Ihn begrüße ich nun am Telefon. Guten Tag, Herr Nölling.

    Nölling: Guten Tag, Herr Breker.

    Breker: Herr Nölling, haben Sie sich Ihr Start-Paket schon abgeholt?

    Nölling: Nein. Ich nehme mir die Zeit, die auch übrig bleibt. Was ich allerdings getan habe: Ich habe unseren Kindern und Enkelkindern ein Abschiedspaket zu Weihnachten geschenkt, und darin geht es runter von 100 DM auf den letzten Pfennig. Ich möchte gerne, dass sie dies in Erinnerung an eine Währung behalten, die nun mal verschwindet. Herr Schiller hat gesagt: wie ein Stück Zucker im Tee.

    Breker: Herr Nölling, der Ansturm auf die Münzen, auf das Startpaket, den wir heute erleben: dokumentiert der nicht auch irgendwie eine Euro-Begeisterung der Menschen?

    Nölling: Ich kann das nicht beurteilen. Ich weiß, wie stark getrommelt wurde, damit die Bevölkerung sich endlich innerlich darauf einstellt und auch tatsächlich, dass es ein neues Geld gibt. Ich habe eher so den Eindruck, dass es zu einer kollektiven, ganz normalen Einschätzung kommt: Da gibt es etwas Neues, da will ich dabei sein, das will ich heute Abend am Stammtisch vorzeigen, usw...diese ganz natürlichen kollektiven Reaktionen auf etwas Neues. Das will ich gar nicht geringschätzen. Es wird allerhöchste Zeit, um der Funktionsfähigkeit des neuen Geldes willen, dass sich die Deutschen damit vertraut machen. In dem Sinne kann ich nur hoffen und begrüßen, dass es relativ reibungslos vor sich geht. Was einen natürlich stört, ist, wie schon gesagt wurde: Die Preissteigerungen haben sich schon allmählich eingependelt. Was ist denn das für eine Aussage zum Start einer neuen Währung? Das, was wir immer behauptet haben, dass es genutzt wird, um nicht unerhebliche Preissteigerungen durchzusetzen, habe sich inzwischen einigermaßen eingependelt. Hier wird tatsächlich unter dem Deckmantel noch einmal abgeschöpft.

    Breker: Ihre Skepsis, Herr Nölling, klingt weiter durch, d.h. Sie sind bei Leibe noch nicht vom Saulus zum Paulus gewandert.

    Nölling: Nein, das wäre auch unredlich und ich glaube, dann hätten wir unsere vergangenen Aktionen, die sich ja über vier Jahre erstreckt haben, auch nicht ehrlich betrieben. Wir sind - und ich ja als gelernter Ökonom und praktiziert habender Volkswirt - auch in Regierungsämtern und anderen Ämtern nach wie vor der Meinung, dass es die neuen Währung sehr schwer haben wird, wirklich akzeptiert zu werden. Ich rede von Deutschland. Ich will mich nicht zu Italien und Griechenland äußern. Die Funktionsfähigkeit und -tüchtigkeit der neuen Geldordnung muss erst noch bewiesen werden. Ich will sofort hinzufügen: Was mich am meisten stört und unseren Einschätzungen am meisten entspricht, ist die wirtschaftspolitische Steuerungsunfähigkeit Europas zum gegenwärtigen Zeitpunkt, wo wir in eine Rezession rutschen. Und dies ist eine direkte Konsequenz des Euro und der Oberaufsicht der Europäischen Zentralbank über die Aktionen der europäischen Regierungen: Es gibt keine vernünftige nationale Antwort auf die einsetzende Rezession, die wahrscheinlich die schwerste werden wird, die wir nach dem Krieg gehabt haben. Und es gibt überhaupt keine Koordinierung auf nationaler, also supranationaler Ebene, d.h., was ich sage ist, dass wirtschaftspolitisch dieses Europa, diese Euroland seeuntüchtig ist. In dieser aufgewühlten See, mit der wir es zu tun haben - man muss sich mal durchlesen, was in Argentinien und in Amerika zur Zeit passiert, um dies zu verstehen - gibt es keine Möglichkeit, keine Absicht und auch keinen politischen Willen, in Europa eine konzertierte Anti-Rezessionspolitik zu machen.

    Breker: Aber Herr Nölling, das hat doch mit der Währung selber wenig zu tun? Das ist doch das Verhalten der europäischen Zentralbank.

    Nölling: Ja, Moment, die ist ja deshalb da, weil es die Währung gibt. Der hat man aufgetragen, dafür zu sorgen, dass möglichst keine Preissteigerungen mehr da sind. Das ist in Ordnung, soweit sie sich verpflichtet fühlt, dass es in Europa mit der Wirtschaft - in Bezug jedenfalls auf geldpolitische Maßnahmen - nicht weiter nach unten geht. Ich kann nur in höchstem Maße beklagen, in welcher Weise sich die Europäische Zentralbank ziert, nicht handelt hinsichtlich des schnelleren und drastischeren Rückgangs der Zinsen, die sie verantwortet. Das, was die Amerikanische Zentralbank in elf Zinssenkungsschritten vorgemacht hat, um die amerikanische Wirtschaft zu beleben, ist mit der Europäischen Zentralbank völlig undenkbar. Sie will das nicht, sie tut es nicht. Sie lässt zwischen den Zinsen, die in Amerika bezahlt werden für Notenbankkredite und denen in Europa einen weiten Spielraum, und nutzt ihn nicht, um in Europa gegen die Rezession zu steuern. Und sie tut es nicht, mit der Maßgabe, dass die Regierungen bitte sehen müssen, wie sie mit ihren Stabilitätsproblemen, mit ihrer Defizitbegrenzung usw. zurecht kommen. Dieses Gegeneinander einer supranationalen Behörde, europäischer Zentralbank, und einer völlig führungs- und konturlosen wirtschaftspolitischen Landschaft in Europa ist die direkte Konsequenz der Einführung dieses Geldes.

    Breker: Andererseits, es sind die Befürworter, muss ich zugeben, die sagen: Gäbe es den Euro nicht, dann hätten wir heftigste Spekulationen, v.a. gegen die kleinen Währungen.

    Nölling: Das ist eine reine Behauptung. Wenn man fragt, wieso eigentlich, dann gibt es eine Stellungnahme, die das klar wiederlegt: Schauen Sie sich die Länder Großbritannien, Dänemark, Schweden und Norwegen an, schauen Sie sich die Schweiz an: Das sind gutentwickelte Länder, die vielleicht in die Euro-Zone gehört hätten, aber gesagt haben: Wir machen nicht mit. Ich habe mir doch die Zahlen angeschaut: In Bezug auf die Schweiz weiß das jeder. In Bezug auf Dänemark, Norwegen, Schweden und England zeigen die Zahlen eindeutigc, dass es diesen Ländern besser geht, und zwar erheblich besser als dem Durchschnitt der Länder in der Euro-Zone. Wie kann man so etwas behaupten, angesichts der Tatsache, dass es statistisch klar ist: England hat sich befreit und geht es viel besser. Was man ja völlig übersieht und tabuisiert ist der unglaubliche Netto-Kapitalabfluss aus Deutschland und Europa, seitdem wir diese Währungsunion haben. Es ist unglaublich, dass tabuisiert wird, dass wir seit zwei Jahren eine wirklich dramatische Verschlechterung der europäischen Leistungsbilanz haben. Wir haben Defizite, und zwar erhebliche Defizite, wo wir früher erhebliche Überschüsse hatten. Das hängt zum Teil mit den Ölpreissteigerungen zusammen. Aber eben nicht nur. Alle diese Dinge, die mit dem Übergang in die neue Währung verbunden waren, also dass es zu Kapitalabfluss und nicht ausreichender Investitionstätigkeit kommt, haben eine direkte Ursache in der Unsicherheit, wie es mit der europäischen Währung weitergehen soll. Ich kann deshalb diesen wirklich substanzlosen, gehirnlosen, faktenlosen Optimismus über den

    Breker: Das war in den Informationen am Mittag, Wilhelm Nölling, ehemaliger Chef der Hamburger Landeszentralbank und weiterhin Euroskeptiker. Herr Nölling, ich bedanke mich für dieses Gespräch.

    Nölling: Ich bedanke mich auch, Herr Breker