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"Skepsis ist da sicher immer berechtigt"

Boris Wilke vom Institut für interdisziplinäre Konfliktforschung an der Uni Bielefeld sieht keine politisch-militärische Instabilisierung durch die Flut in Pakistan. Allerdings: "Man versucht, gerade bei den pakistanischen Taliban, aus dieser Situation politisches Kapital zu schlagen", sagte Wilke.

Boris Wilke im Gespräch mit Sandra Schulz | 21.08.2010
    Sandra Schulz: Ein einprägsames, gleichzeitig aber auch ein widersprüchliches Bild: Von einem Zeitlupentsunami spricht UN-Generalsekretär Ban Ki Moon; er meint damit die Flutkatastrophe in Pakistan. 20 Millionen Menschen sind betroffen, Hunderte Millionen Euro Soforthilfe werden gebraucht und die Schäden gehen in die Milliardenhöhe – materiell gesehen, damit ist über den Schmerz der Menschen natürlich noch nichts gesagt.

    Und, so zynisch es klingen mag: Es gibt offenbar auf Krisengewinner, zumindest häufen sich die Meldungen über die Hoffnungen der Extremisten, aus der Naturkatastrophe politisches Kapital zu schlagen. Wird eine instabile Region damit noch instabiler? Unter anderem darüber wollen wir in den kommenden Minuten sprechen. Am Telefon begrüße ich Boris Wilke vom Institut für interdisziplinäre Konfliktforschung an der Uni Bielefeld. Guten Morgen!

    Boris Wilke: Guten Morgen!

    Schulz: Herr Wilke, können Extremisten von der Situation, von der Not der Menschen in Pakistan profitieren?

    Wilke: Na ja, sie versuchen es zumindest, wobei wir ja auch bedenken sollten, dass diese islamistischen Organisationen ja sich traditionell eigentlich schon immer versucht haben, den Menschen durch Wohltätigkeit zu helfen, und jede Organisation, die jetzt hilft, hat auch militante Kämpfer in ihren Reihen.

    Aber sicher: Man versucht, gerade bei den pakistanischen Taliban, aus dieser Situation politisches Kapital zu schlagen. Aber ob dies gelingt, ist eigentlich ähnlich ungewiss wie bei den Versuchen der pakistanischen Regierung oder des pakistanischen Militärs oder auch der internationalen Gemeinschaft. Wir wissen es einfach noch nicht.

    Schulz: Ja, das würde ich gerne noch versuchen, näher auseinanderzunehmen: Es fühlen sich, das ist eigentlich klar, viele Menschen von der Regierung im Stich gelassen. Präsident Zadari ist ja erst mal tagelang nicht von seiner Europareise, von seiner Auslandsreise zurückgekehrt, und zum Teil, das haben Sie gerade schon angedeutet, stoßen jetzt eben Hilfsorganisationen in dieses Vakuum, die auch zu islamistischen Gruppierungen Verbindungen haben. Spielt da die Regierung auch den Extremisten in die Hände?

    Wilke: Also zumindest nicht bewusst, wobei ich denke, dass eine Naturkatastrophe diesen Ausmaßes eine jede Regierung, zumindest eines Entwicklungslandes, überfordern würde. Ich denke, ich sehe da jetzt kein bewusstes Unterlassen, ganz im Gegenteil scheint ja die Armee in ihren Hilfsbemühungen recht erfolgreich zu sein und auch bei der Bevölkerung wieder an Zustimmung zu gewinnen, ohne dass dies jetzt heißen muss, dass die Armee jetzt in die ... also jetzt die Regierung übernehmen wollte. Aber, also ein bewusstes Unterlassen kann ich da jetzt nicht erkennen, eben nur die, ja, lokaltypische Unfähigkeit.

    Schulz: Jetzt berichten auch Journalisten aus Islamabad, um auf die Rolle der Armee zu sprechen zu kommen, dass das Militär und aber auch der Geheimdienst Druck machen, dass die Regierung jetzt in den Berichten als möglichst schwach dargestellt werden möge. Malen sich diese Kräfte jetzt auch neue Perspektiven aus, ihre Macht zu stärken?

    Wilke: Ja, ich denke, wenn jetzt die Regierung als möglichst schwach oder das Land insgesamt als überfordert dargestellt wird, ja, dann entspricht das einmal der Sachlage, und zum Zweiten will man natürlich auch die Gebergemeinschaft davon überzeugen, dass man tatsächlich Hilfe braucht. Und die Hilfe ist ja zunächst noch etwas schleppend angelaufen, also ich würde da jetzt nicht einen bewussten Versuch drin sehen, die zivile Regierung zu unterminieren.

    Wir dürfen in dem Zusammenhang auch nicht vergessen, dass der starke Mann, wenn Sie so wollen, in Pakistan traditionell der Armeechef ist, dessen Amtszeit im Übrigen gerade außerplanmäßig um drei Jahre verlängert wurde. Also die Armee sitzt fest im Sattel und hat diese Katastrophe eigentlich nicht zu ihrem Macht- und Privilegienerhalt nötig.

    Schulz: Wie kann sich bei all dem der Westen jetzt am günstigsten positionieren?

    Wilke: Also ich denke, dass wir berechtigterweise uns um die strategische oder um die Stabilität dieser strategisch wichtigen Region sorgen, dass wir aber auch sehen sollten: Es handelt sich zunächst einmal um eine Naturkatastrophe, und die Menschen dort haben, also zumindest moralisch, das Recht auf Hilfe, unabhängig davon, ob diese Region strategisch nun wichtig ist oder nicht.

    Wenn wir das nicht trennen, könnte der Eindruck entstehen, wir würden nur deshalb helfen, weil wir die Menschen dort für potenziell gefährlich halten, und das würden die Menschen dort merken. Dann könnte diese Hilfe kontraproduktiv sein. Das heißt, wir sollten schon auch Pakistan das Recht geben, im Falle einer Naturkatastrophe, ja, Hilfe zu bekommen, also uneigennützige Hilfe zu bekommen, und das muss man auch politisch so kommunizieren, denn Pakistan ist, genauso wie jedes andere Land, eingebunden in die, ja, weltweite Medienöffentlichkeit. Und ja, deswegen gilt es, dort vorsichtig zu agieren.

    Schulz: Auf der anderen Seite ist das Misstrauen auch bei vielen Spendern groß, nicht nur ob der politischen Lage, sondern auch ob der Erfahrungen, die man 2005 gemacht hat, nach dem Erdbeben. Da ist ja offenbar nur ein geringer Teil der Spenden überhaupt ans Ziel gekommen. Halten Sie diese Skepsis für unberechtigt?

    Wilke: Ja, Skepsis ist da sicher immer berechtigt, nur sehe ich jetzt nicht, dass jetzt auch im Falle der Erdbebenkatastrophe von 2005 da über das übliche Maß, ich sage mal, eines vom Westen finanzierten Entwicklungshilfeprojektes Gelder abgezweigt wurden. Also diesen Abschluss hat man eigentlich immer, den wird man jetzt auch in diesem Fall nicht ganz vermeiden können, aber es jetzt so darzustellen, dass jetzt nur im Falle von Naturkatastrophen da jemand einen Reibach macht, das hielte ich für verfehlt.

    Schulz: Politisch wird die Situation natürlich nicht stabilisiert durch diese Naturkatastrophe. Was heißt das für die Region, vielleicht auch für das benachbarte Afghanistan?

    Wilke: Ja, also wenn wir beide Nachbarstaaten, beide großen Nachbarstaaten uns anschauen, also Indien, Pakistan, da kommen ja versöhnliche oder, na ja, sagen wir nicht versöhnliche, sagen wir einmal, beruhigende Signale aus Indien. Also man hat jetzt signalisiert, dass man diese Schwäche oder ... der pakistanischen Regierung oder der Armee, der Druck, unter dem sie steht, nicht ausnutzen will. Das ist sicherlich ein wichtiges Signal gewesen.

    Es ist von Pakistan aus jetzt auch ein entsprechendes Signal zurückgekommen. Afghanistan – also die Gebiete, in denen jetzt die afghanischen Taliban in Pakistan sich aufhalten, sind jetzt nicht betroffen von dieser Naturkatastrophe. Auch die Kampfbereitschaft der pakistanischen Armee gegen die Extremisten scheint nicht betroffen zu sein, die militärischen Operationen gehen weiter, die militärischen Operationen der USA genauso.

    Insofern sehe ich da jetzt unmittelbar noch keine Auswirkungen, aber sicher, auch insbesondere jetzt, weil dauerhaft dort Hilfe notwendig ist und dauerhaft auch Helfer im Land sein werden, führt es weiter dazu, dass die Menschen ihre eigene Regierung als eher unfähig, als eher schwach da ansehen, und es nicht unbedingt zu ihrer Legitimation beiträgt und damit auch nicht zur Stabilität einer demokratisch gewählten Regierung.

    Schulz: Und das in Pakistan, einem Land, das auch Atommacht ist und eben als Schlüssel auch gilt für die Stabilität in der ganzen Region. Trotz Ihrer Zurückhaltung: Wie muss jetzt die Internationale Gemeinschaft reagieren, neben der Hilfe, die ja auf der Hand liegt, politisch auch vielleicht gefragt, um nicht noch größere Instabilität zu riskieren?

    Wilke: Also die Sicherheit der Nuklearwaffen ist jetzt durch die Flutkatastrophe nicht beeinträchtigt. Ich habe ja schon das Verhältnis zu Indien angesprochen, da hat die Internationale Gemeinschaft, insbesondere die USA, aber auch Großbritannien, in letzter Zeit versucht, vorsichtig, ja, vermittelnd tätig zu werden.

    Da ist das Problem eher die indische Seite, die da sich eigentlich solche Art von Vermittlung oder Einmischung verbietet. Wir sprechen ja jetzt im Kontext von Afghanistan immer von einer Konfliktregion oder von einem regionalen Einsatz, von einer regionalen Lösung.

    Das sollten wir auch weiterhin tun, nur man sollte nicht glauben, jetzt, nur weil eine Naturkatastrophe aufgetreten ist und viel menschliches Leid und sehr viel uneigennützige Hilfe jetzt hoffentlich auch kommt, dass damit die Konflikte aus der Welt geschafft seien. Die Region wird noch über Jahre mit ihren Konflikten leben müssen, und wir werden, also wenn wir sozusagen eine positive Entwicklung haben, werden wir Schritte zu einer regionalen Zusammenarbeit insbesondere zwischen Indien und Pakistan sehen, jetzt unabhängig von dieser Katastrophe.

    Schulz: Boris Wilke vom Institut für interdisziplinäre Konfliktforschung an der Uni Bielefeld heute in den "Informationen am Morgen". Dankeschön!

    Wilke: Danke Ihnen!