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"Slow Radio" der BBC
Radio ohne Zeitdruck

Im Journalismus zählt Geschwindigkeit, auch im Radio. Bei BBC3-Radio gehen die Journalisten einen anderen Weg - und schalten einen Gang zurück: "Slow Radio" heißt die Idee des britischen Senders für ein Radio, das ein "Gegenmittel gegen den rasenden Alltag" sein soll.

Von Jan Schilling |
    Sophie Weste sammelt in der AWD-Arena in Hannover Töne für das «SoundScape» Projekt (Foto vom 27.07.2011). Wie klingt eigentlich Niedersachsen? Rund zwei Wochen waren 18 Studenten im ganzen Bundesland unterwegs und haben mehr als 520 verschiedene Geräusche aufgenommen.
    Slow-Radio - "Nur Naturgeräusche zu senden, reicht nicht. Es ist vielmehr eine akustische Gestaltung der Umwelt." (dpa / Caroline Seidel )
    "Welcome to Arnstadt in Thüringia, on a beautiful autumn day. Now, welcome to Arnstadt in Thüringia on a hot august day in 1705. A young man is crossing the square…"
    Der junge Mann, von dem der britische Autor und Journalist Horatio Clare spricht, ist Johann Sebastian Bach. Der Komponist machte sich 1705 auf den Weg, um in Lübeck den Komponisten Dieterich Buxtehude zu treffen.
    Horatio Clare zeichnet diese Wanderung für BBC3-Radio akustisch nach, spricht seine Gedanken ein, unterbrochen von Musik und biografischen Fakten.
    "Wir versuchen, den unmittelbaren Moment einzufangen und hörbar zu machen. Normalerweis setzt Radio den Akzent auf Informationen oder auf Emotionen durch Musik, wohingegen wir etwas mehr philosophisch sind. Und wir nehmen den Hörer mit auf eine akustische Reise."
    "Eine akustische Gestaltung der Umwelt"
    Diese akustischen Reisen nennt der Sender Slow Radio. Die Idee, Journalismus zu entschleunigen, ist nicht neu. Alles begann in Norwegen. Der norwegische Fernsehsender NRK übertrug 2009 eine siebenstündige Zugfahrt im Fernsehen. Mit der Übertragung einer Hurtigruten-Schiffsfahrt über ganze 134 Stunden schaffte es NRK sogar ins Guinnessbuch der Rekorde. Slow-Radio ist aber mehr als Slow-TV, sagt Programmdirektor Alan Davey.
    "Bei Slow-TV erfahren wir die Umwelt durch Bilder. Bei Slow-Radio geht es ums Zuhören. Aber nur Naturgeräusche zu senden, reicht nicht. Es ist vielmehr eine akustische Gestaltung der Umwelt."
    Bei Live on a shanty boat erzählt der Autor Wes Modes die Geschichten von River People. Modes schippert mit seinem eigenen Hausboot auf dem Tennessee River in den U.S.A. Klangstücke und Soundscapes unterbrechen die Aussagen der Protagonistin.
    Klänge mit Poesie, Musik oder Gedanken mischen
    Slow Radio funktioniert nur, wenn mehrere Perspektiven kombiniert werden, erklärt Alan Davey.
    "Es geht darum, diese natürlichen Klänge mit Poesie, mit Musik oder Gedanken zu mischen, um die Menschen nicht zu langweilen."
    Als Horatio Clare auf Bachs Spuren wanderte, war er nicht alleine mit seinem Mikrofon. Ein Soundtechniker und ein Produzent begleiteten Autor Clare. Der Produzent überlegte schon während der Wanderung, wie die Sendung später gemischt werden kann und wo Bachs Musik zu den Gedanken Clares passten.
    "Der Techniker musste ein komplett neues Setting entwerfen, um die Reise aufzunehmen. Er nahm auf sieben Spuren auf. Eine Unzahl von Mikrofonen schaute aus seinem Rucksack heraus, um die Atmosphäre aufzunehmen. Mit einem anderen, das er in seiner Hand hielt, nahm er seine Schritte auf, und dann hatte er noch ein Funkmikrofon, mit dem er aufnahm, was ich sagte und dachte."
    "Sinnliche Erfahrung der Unmittelbarkeit"
    Techniker, Producer und Autor - Slow Radio Produktionen sind aufwendig. Außerdem muss im Programm Platz dafür sein. Den gibt es bei BBC3-Radio. Der Kultursender sendet schon mal eine 8-Stunden-Performance des Komponisten Max Richter. Live. Den Zuhörern scheinen diese Marathonsendungen zu gefallen.
    "Wir haben viele Reaktionen von Zuhörern erhalten. Die größte Resonanz war die sinnliche Erfahrung der Unmittelbarkeit, waren die Momente, wenn ich zum Beispiel still wurde, als ich am Ende der Bach-Walks die Marien-Kirche in Lübeck betrat. Oder Momente, wenn ich in der Natur einfach Tiere und Vögel sah."
    "Thirty Birds at least, no more fifty… Ahhwww…"
    Gegenmittel gegen den rasenden Alltag
    Slow Radio ist ein Gegenmittel gegen den rasenden Alltag, so der Slogan.
    "Wir haben uns überlegt, was Menschen heute brauchen. Sie brauchen Zeit, um sich Gedanken zu machen. Unser Leben ist sehr schnell geworden. Die Menschen brauchen Momente, in denen sie einen Schritt von ihrem Leben zurücktreten können. Momente, in denen sie Dinge in einem größeren Kontext betrachten und sich Zeit für Ideen nehmen können."
    Seit gut einem Jahr gibt es Slow Radio jetzt bei BBC3 Radio. Über zehn Sendungen wurden seitdem produziert, etwa über meditierende Mönche oder einen Nachtschwärmer-Ausflug in einem Ausgehviertel in Tokio. Slow Radio ist eine Meditation über andere Welten und bietet überraschende Einblicke. Seit Kurzem sogar in das Leben einer indischen Kuh.