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"So etwas brauchen und wollen wir in Deutschland nicht"

"Ultimate Fighting"-Veranstaltungen fördern die Gewaltbereitschaft, gerade von gefährdeten Jugendlichen, sagt der Direktor des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen, Christian Pfeiffer. Er fordert daher, dass solche Events in Deutschland verboten werden sollen - und sieht dabei keine rechtlichen Probleme.

Christian Pfeiffer im Gespräch mit Stefan Heinlein |
    Stefan Heinlein: Feigheit ist nach den Regeln verboten. Ansonsten ist fast alles erlaubt: Schläge, Tritte, Knie- und Ellbogenstöße gegen Kopf und Bauch, auch gegen einen Gegner, der am Boden liegt. Die Käfigkämpfe der "Ultimate Fighting Championship" sind in den USA populär, ein Millionengeschäft live im Fernsehen. Nun wollen die modernen Gladiatoren auch den deutschen Markt erobern. Mitte Juni kommt das brutale Spektakel nach Köln. Doch es regt sich Widerstand. Zumindest Jugendlichen soll jetzt der Zutritt versperrt bleiben. Am Telefon nun der Direktor des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen, Christian Pfeiffer. Guten Morgen, Herr Pfeiffer.

    Christian Pfeiffer: Guten Morgen, Herr Heinlein.

    Heinlein: Free Fight in Deutschland also erst ab 18 Jahren. Ist das Thema damit vom Tisch?

    Pfeiffer: Absolut nicht, denn dadurch wird es ja erst so richtig spannend. Jetzt wissen alle unter 18-Jährigen, dass sie über "YouTube" oder sonstige Weise versuchen müssen, da auf jeden Fall ranzukommen, weil das ja das Image gewaltig stärkt im Kreis der Freude, wenn man sagt, "und ich hab's gesehen". Das macht richtig scharf auf diesen Event und von daher denke ich, die Politik ist gefordert. Sie muss die rechtlichen Voraussetzungen dafür schaffen, dass diese Veranstaltungen komplett verboten werden können. Der Ansatzpunkt ist Artikel eins unseres Grundgesetzes: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Solche Veranstaltungen verstoßen gegen die Menschenwürde. Sie sind etwas anderes als ein Boxkampf oder Catchen, was man als Sport durchaus sich anschaut, weil es um die Vernichtung des Gegners geht.

    Heinlein: Nun sagen aber die Veranstalter dieser Kämpfe, auch bei uns gibt es Regeln und sogar Schiedsrichter.

    Pfeiffer: Ja. Schauen Sie sich auf "YouTube" oder sonst einfach mal solche Kämpfe an; dann sehen Sie, dass die Brutalität wirklich exzessiv ist und die Regel eigentlich nur die ist, keinen totzuschlagen. Das hat es auch gegeben; es sind schon welche bei solchen Kämpfen getötet worden. Aber selbst wenn das vermieden wird, ist das Ganze aus meiner Sicht nicht mit dem vereinbar, was wir für die Grundwerte unserer Gesellschaft halten, und von daher denke ich, nachdem die Politiker sich erfreulich aufgeregt haben über das, was hier inszeniert werden soll, sollten sie zur Tat schreiten und die rechtlichen Voraussetzungen schaffen, dass die Stadt Köln nicht nur ab 18 verbieten konnte - das ist klar, dass sie das machen würde -, sondern komplett.

    Heinlein: Gibt es denn tatsächlich eine juristische Handhabe, diese Kämpfe zu untersagen? Sie sagen Artikel eins. Also das Bundesverfassungsgericht muss entscheiden?

    Pfeiffer: Nein. Das Bundesverfassungsgericht ist nicht der Gesetzgeber. Nein, der Gesetzgeber sollte klare Regeln aufstellen, was geht und was nicht geht. Das haben wir bisher nicht, weil es diesen Versuch nicht gegeben hat. Keiner ist auf die Idee gekommen, ein Gesetz gegen "Ultimate Fighting" zu machen. Es gab keinen Importeur in Deutschland, der so etwas veranstalten wollte. Aber nachdem es jetzt da ist, ist die Politik zum Handeln aufgefordert. Warum bin ich da so kritisch? - Weil wir aus der Forschung wissen, dass natürlich normale Jugendliche, die in Familie und Beruf und Freundschaft wunderbar eingegliedert sind, die erfolgreich im Leben sind, stabil dastehen, die werden durch das Betrachten von solchen Dingen nicht gefährdet und ihrerseits zu Schlägern. Aber es ist wie bei den exzessiv brutalen Computerspielen. Wenn man selber wacklig dasteht, wenn man selber aus einer Familie kommt mit innerfamiliärer Gewalt, wenn man im Leben wenig Erfolg gehabt hat, wenn viele Belastungsgefährdungsfaktoren schon da sind, dann bewirken solche Bilder des Grauens, die da produziert werden, dass man selber ein Stück seiner Empathie verliert, abstumpft und dichter rankommt an die Umsetzung solcher Fantasien in reale Gewalt. So etwas fördert Gewalt bei Gefährdeten, und deswegen kann man es verbieten, genauso wie man gewaltverherrlichende Computerspiele nach 131 StGB verbieten kann.

    Heinlein: Sind also diese menschlichen Kampfmaschinen Vorbilder gerade für viele männliche Jugendliche?

    Pfeiffer: Für ohnehin gefährdete männliche Jugendliche, muss ich einschränken. Für normale, nicht gefährdete Jugendliche, für die ist es entsetzlich, sich so was anzugucken, aber mit ein bisschen Grauen werden sie das scheinbar lachend und auf cool sich darstellend dann durchaus machen. Das gilt natürlich auch für 18- bis 21-Jährige, für die, die unmittelbar in Köln zugelassen sein werden. Ich denke, wir müssen dahin kommen, die rechtlichen Voraussetzungen zu schaffen, dass das auch für Erwachsene verboten werden kann, dass wir insgesamt sagen, so etwas brauchen und wollen wir in Deutschland nicht.

    Heinlein: Sie haben es, Herr Pfeiffer, mehrfach erwähnt: Gewalt, Gewaltvideos und auch die Filme dieser Käfigkämpfe sind im Internet fast beliebig abrufbar. Macht es denn tatsächlich einen Unterschied, ob man diese Kämpfe im Internet betrachtet, oder live erlebt?

    Pfeiffer: Der Kick ist größer, eindeutig. Natürlich ist es im Internet auch schon reichlich aufregend und spannend und verführerisch und hat all die Wirkungen, die ich gerade beschrieben habe, auf Gefährdete. Aber wer unmittelbar dabei ist, der wird ja von einem ganz anderen Gefühl gepackt. Dann geht es nicht mehr nur um visuelles Vergnügen; dann hört man ja die Schreie, man nimmt fiebernd teil an dem Kampf und von daher ist die direkte Konfrontation mit dem Geschehen wirksamer als das, was wir bei "YouTube" uns anschauen können, und deswegen meine ich, die Veranstaltung selber ist verbietbar, aber nur, wenn der Gesetzgeber etwas tut. Von daher ist Herr Laschet aufgefordert und seine Kollegen in Nordrhein-Westfalen zu prüfen, macht man so etwas mit Landesrecht, oder nimmt man den Bundesgesetzgeber und regelt es einheitlich für Deutschland.

    Heinlein: Können Sie uns noch erklären, warum so viele Menschen, viele gefährdete Jugendliche, wie Sie sagen, tatsächlich so fasziniert sind von diesen Kämpfen? Werden da menschliche Urinstinkte befriedigt?

    Pfeiffer: Na ja, es wird etwas anderes befriedigt. Wer seinerseits als Kind unter Gewalt gelitten hat, wer ständig den Kopf einziehen musste, weil der Vater massiv geprügelt hat, wer nach oben bücken muss, will nach unten treten. Der berauscht sich dann an den Machtfantasien, einmal selber in Power zu sein und andere zu prügeln. Es entsteht ganz viel durch das Leiden als Opfer und davon gibt es viele in unserer Gesellschaft, die grauenhafte Kindheitserfahrungen gemacht haben und die dann danach gieren, selber aus der Ohnmachtrolle in die Machtrolle hineinzuwachsen und selber Gewalt auszuüben. Daher ist es faszinierend besonders für solche, andere finden es ekelig und grauenhaft und mögen gar nicht hinschauen und werden sich keine Eintrittskarten kaufen.

    Heinlein: Kann man einen direkten Zusammenhang herstellen zwischen diesen Kämpfen und der zunehmenden brutalen Gewalt auf unseren Schulhöfen?

    Pfeiffer: Gott sei Dank nimmt sie nicht zu. Die Zahl der Jugendlichen, die so massiv auf den Schulhöfen verletzt werden, dass sie ins Krankenhaus kommen, nimmt ab. Das ist ein weit verbreiteter Irrtum. Die Schulen sind ein überwachter Raum. Aber die Körperverletzungen außerhalb der Schulen, die nehmen zu und es nimmt die Brutalität zu, dass Jugendliche das auch noch filmen, wenn sie jemand gedemütigt haben, der am Boden liegt. Von daher haben wir eine wachsende Gewalt, Gott sei Dank außerhalb der Schulen, nicht innerhalb.

    Heinlein: Im Deutschlandfunk heute Morgen der Kriminologe Christian Pfeiffer. Herr Pfeiffer, ich danke für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Pfeiffer: Ich danke Ihnen.