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Ronja von Rönne: "Ende in Sicht"
So heiter kann eine Social-Media-Depression sein

Ronja von Rönnes Roman „Ende in Sicht“ liest sich wie der Roman zur eigenen Krise der Autorin, die sie in den sozialen Medien ausführlich dokumentierte. Die gute Nachricht: In der pointengesättigten Geschichte werden alle Depressiven geheilt. Die schlechte: Über planlose Küchenpsychologie reicht das Buch kaum hinaus.

Von Katharina Teutsch | 12.01.2022
Ronja von Rönne: "Ende in Sicht"
In Ronja von Rönne Roman "Ende in Sicht" treffen sich lebenmüde Schlagersängerin und lebensmüder Teenager. (Mehran Djojan / dtv)
Ronja von Rönne war mal das heiß diskutierte It-Girl des deutschen Feuilletons. Mit Anfang Zwanzig löste sie einen Skandal mit einem feminismusfeindlichen Text aus. Mit einer, wie sich bald herausstellen sollte, ungesunden Mischung aus Unbedarftheit und Überheblichkeit fiel ihr der markige Spruch „Ich bin keine Feministin, ich bin Egoistin“, jedoch bald auf die Füße. Ronja von Rönne wurde hochgejubelt und gleichzeitig verlacht. Und das via Social Media so öffentlich wie möglich.
Alles ziemlich ungesund für eine ganz junge Frau am Beginn einer vielversprechenden Journalistenkarriere, die spätestens 2016 mit ihrem Romandebüt über eine Gruppe Millennials und ihre polyamoureusen Beziehungsversuche ins Literarische abbog. Eine depressive Krise der Autorin folgte. Wer wollte, konnte das alles auf Instagram mitverfolgen. Zusammenbruch. Einlieferung in die Klinik. Eine Ronja von Rönne mit verlaufener Schminke-Schnute. Fans, die trösteten, wo und wie sie konnten.

Guter Slapstick


Nun ist Rönnes Roman zur Krise erschienen. Und der liest sich trotz aller Beteuerungen im Abspann des Buchs, Depression sei eine ernsthafte Erkrankung, so heiter wie eine Social Media-Depression es nur sein kann. Die Konstruktion von „Ende in Sicht“ ist dabei vor allem guter Slapstick. Eine abgetakelte Schlagersängerin ist unterwegs in Richtung Schweiz, wo sie sich mithilfe gefälschter Atteste, Sterbebegleitung erschleichen will. Leider kommt sie nicht sehr weit, denn es stürzt ihr von einer viel zu niedrigen Autobahnbrücke ein Teenager vor den Passat. Kurz vorher denkt dieser Teenager aber noch pointensichere Dinge wie: Konnte er nicht einfach Sachen tun, die gewöhnliche Teenager seines Alters taten?

„Einfache, alltägliche Sachen. Einen neuen Handyvertrag abschließen. Einen Liebesbrief schreiben und dann doch nicht abschicken. Den Hund füttern. Schlechtes Gewissen beruhigen. Rumwohnen. Katzenstreu online shoppen.“

Kurz bevor Juli, so der Namen des Teenagers, springt, will sie dann aber doch noch schnell was auf dem Handy schauen. Der Moment vor dem Absprung klingt bei Ronja von Rönne dann so:

„Kein Wunder, dachte sie wütend, während sie auf dem regennassen Display verzweifelt den eventuellen Todestag ihres Haustieres, ein dicker Hamster, dessen Namen sie längst vergessen hatte, als PIN ausprobierte. Doch ihr Telefon verweigerte weiterhin stoisch jeglichen Zugang, kein Wunder, dass die künstliche Intelligenz uns bald überholen würde. Juli steckte das Telefon schließlich in die hintere Hosentasche. Eh egal.“


Hashtaghafte Coolness


Für diesen Eh-egal-Teenager fühlt sich nun das Eh-egal-Ex-Schlager-Sternchen Hella zuständig. Wider Willen zwar, aber dann doch irgendwie mit Herz. Auch sie erscheint als die souveräne Kommentatorin ihres lebensmüden Daseins. Sogar in Extremsituationen wie der Bergung eines verunglückten Mädchens denkt Hella im Ton hashtaghafter Coolness:

„Hella wollte nicht helfen. Sich um andere zu kümmern war noch nie ihr Ding gewesen, sie hatte ja schließlich mehr als genug mit sich selbst zu tun. Erst die blöde Chipstüte, dann so was, dachte sie, nie kann mal irgendwas reibungslos funktionieren. Gleich darauf schämte sie sich für den schlechten Vergleich.“

Ronja von Rönne scheint sich nie für irgendeinen Vergleich zu schämen. Wenn es auch nur so halblustig ist, wird es reingeschrieben. Und liest man den Text also nicht als einen Beitrag zum Thema Depression, Scheitern, Selbstmord, dann bleibt unter dem Strich ein launiger Road Trip durch Westdeutschland übrig, eine Handlungskulisse für coole Sprüche und verrückte Einfälle, wozu auch Selbstmordversuche zählen.

Vollabsturz beim Feuerwehrfest


Bleibt man beim Konzept des launigen Roadtrips gibt es in diesem Roman aber durchaus ein paar lustige Szenen zu genießen. Zum Beispiel einen Vollabsturz beim Feuerwehrfest oder eine alberne Übernachtungsaktion im Thermalbad, in dem man – lebensmüde wie man eben ist – auf einer Sonnenbank einschläft.

„Juli trat in die Kabine daneben und breitete nach Hellas Vorbild ihr Handtuch auf dem Sonnenbett aus, deckte sich mit einem Handtuch zu und rollte sich schließlich in Embryonalstellung zusammen. Oder wie eine wahnsinnig untalentierte Leiche.“


Küchenpsychologie und Familienaufstellungen

Unterlegt ist die Geschichte mit Küchenpsychologie: Mama weg, Papa traurig, Kind depressiv, aber auch zynisch und abgebrüht. Auch wenn sich Ronja von Rönne mit der Stimme im Kopf ihres 15-jährigen Mädchens Witze über Schulpsychologen erlaubt, fährt ihr Roman doch auch auf der Welle trivialisierter Psychopathologien und Familienaufstellungen. Am Ende legt man „Ende in Sicht“, das einem drei heitere Stündchen beschert hat, aus der Hand und behält nichts davon zurück, das den Wirkungshorizont einer launigen Geschichte durchdringt. Auch solche Bücher haben ein Recht auf ihre Leser. Aber vielleicht nicht ein Recht auf allzu lange Besprechungszeiten im Feuilleton.

Ronja von Rönne: „Ende in Sicht“. Roman
DTV, München. 256. S, 22 Euro.