Friedbert Meurer: .Auf 100 deutsche Verbraucher kommen inzwischen über 110 Handys. Der Deutsche besitzt also statistisch gesehen mehr als ein Mobiltelefon. Doch der Handy-Boom der Deutschen hat nicht dafür sorgen können, dass auch weiterhin Handys in Deutschland gebaut werden. Mit Nokia verabschiedet sich jetzt der letzte Produzent aus Deutschland und hinterlässt in Bochum Wut und tiefe Enttäuschung. Harald Schartau, SPD-Landtagsabgeordneter, er war von 2000 bis 2005 Minister für Wirtschaft und Arbeit in Nordrhein-Westfalen, guten Morgen, Herr Schartau.
Harald Schartau: Guten Morgen.
Meurer: Vielleicht zunächst die Frage, sehen Sie noch eine Chance auf Rettung in Bochum?
Schartau: Also, darum muss jede Auseinandersetzung gehen, weil die betroffenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer dort ja vor Existenznöten stehen und deshalb glaube ich, dass Gespräche mit dem Konzern, mit der Konzernleitung über ihr unternehmerisches Engagement in Bochum unabdingbar sind.
Meurer: Was kann denn realistisch betrachtet dabei herauskommen?
Schartau: Ja, das kann ja keiner sagen, weil eines war ja nicht erkennbar, nämlich dass Nokia in irgendeiner Art und Weise um diesen Standort gerungen hat. Es war ja nirgendwo erkennbar, dass man sich bemüht hat, mit unternehmerischen Mitteln den Standort auch nach vorne zu bringen, sondern hier ist ja bisher nur erkennbar, eine ganz rüde Form von Steinzeitkapitalismus, nämlich die Ergebnisse stimmen nach konzerninternen Regeln nicht mehr, dann machen wir den Laden platt und so geht das ja nicht.
Meurer: Warum soll es Steinzeitkapitalismus sein, wenn Nokia sich an alle Vereinbarungen hält?
Schartau: Ich rede jetzt nicht von den Vereinbarungen, die im Zusammenhang mit Subventionen getroffen worden sind – die werden alle überprüft, da wird Nokia sich auch noch gefallen lassen müssen, dass da natürlich minuziös nachvollzogen wird, was da passierte – sondern es geht darum, dass ein Unternehmen, das hier gut und lange produziert hat, von heute auf morgen allen im Ruhrgebiet mitteilt, wir machen den Laden platt. So was hat es hier noch nicht gegeben.
Meurer: Würden Sie dann auch sagen – wie der Ministerpräsident ein bisschen andeutet – die Käufer sollten bei ihrer Kaufentscheidung beim Handy auf die Marke schauen?
Schartau: Das muss ja jeder selbst wissen. Ich meine, bei den Handys ist es ja mittlerweile so, zu welcher Alternative greifen Sie da? Zu Siemens, BenQ, zu Motorola, die Leidensgeschichte bei Handys, die ist ja ziemlich deutlich nachzuvollziehen. Aber trotzdem muss jeder individuell seine Entscheidung dazu treffen, wie mit einem Unternehmen, vielmehr mit seinen Produkten umgegangen wird, dass den Leuten dermaßen Sorgen bereitet.
Meurer: Wie war denn in Ihrer Amtszeit als Minister für Arbeit und ab 2002 auch für Wirtschaft und Arbeit, wie war denn Ihre Zusammenarbeit mit Nokia?
Schartau: Ja, es war eine Zusammenarbeit, die ja auch gerade 2003 herausgefordert war, die Handyproduktion war immer darauf bedacht, möglichst eine große Produktivität zu haben. Die Arbeitszeiten wurden ausgeweitet, das Arbeitsvolumen wurde ausgeweitet. Das waren ja alles Sachen, die die Beschäftigten auch mitgemacht haben, auch mitgetragen haben. Aber die Vorgänge der letzten Tage, die sind unvergleichbar und die werden sicherlich auch in die Ruhrgebietsgeschichte eingehen.
Meurer: Was ist in Ihrer Amtszeit noch an Subventionen geflossen? Oder war das schon vorher abgeschlossen?
Schartau: Das war vorher.
Meurer: Im Nachhinein betrachte, finden Sie die Entscheidung richtig, dass das Land 60 Millionen Euro ausgegeben hat?
Schartau: Ja, ich glaube, dass diese Entscheidung nicht nur richtig war zum damaligen Zeitpunkt, sie war auch erforderlich, um die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass ein so großes Werk nach Bochum kommt. Das war ja eine Ringeltaube fürs Revier und ich glaube, dass bei der Diskussion über Subventionen, wenn man nach vorne guckt, über zwei Sachen nachgedacht werden muss, nämlich, wie auf europäischer Ebene Transparenz hergestellt wird, wenn ein Konzern solche Verlagerungsmaßnahmen macht, da muss Millimeter für Millimeter Transparenz hergestellt werden, ob es eine Verlagerung ist, die ausschließlich mit solchen Subventionen spielt. Das geht auf europäischer Ebene nicht. Wer den europäischen Gedanken mit Füßen treten will, der muss eine solche Entwicklung zulassen.
Meurer: Aber es hat ja nur Subventionen für einen Industriepark gegeben. Das ist ja ein recht gewöhnlicher Vorgang in der EU.
Schartau: Ja, ich finde, die Erklärungen dafür, dieses Problem runter zu spielen, die sind teilweise auch schon skandalös. Ich glaube, diese Bemerkungen, wir haben ja nur für einen Industriestandort Geld ausgegeben – ja, für wen ist denn der Industriestandort? Der ist für dieses Unternehmen quasi maßgeschneidert worden und deshalb glaube ich, ein Subventionsmotto, "des einen Leid ist des anderen Freud", das darf es in Europa nicht geben.
Meurer: In Brüssel munitioniert man sich jetzt umgekehrt ein bisschen gegen die Nordrhein-Westfalen und sagt, Nordrhein-Westfalen hat 100 Millionen Euro Subventionen selbst bekommen. Was war da anders, als das, was jetzt in Rumänien passiert ist?
Schartau: Diese Bemerkungen, da muss sich Nordrhein-Westfalen auch stellen, da muss auch niemand Sorge haben, dass in einer solchen Auseinandersetzung Nordrhein-Westfalen in irgendeiner Art und Weise schlecht dasteht, nur es lenkt alle davon ab: Hat ein Konzern die Möglichkeit in einem Land die Produktion abzubauen und mit öffentlichen Mitteln an einer anderen europäischen Stelle wieder aufzubauen? Dieser Gedanke taucht immer wieder auf, aber er muss konsequent zu Ende gedacht werden, weil wenn das möglich ist, dann möchte ich bei Europawahlen nicht unbedingt an Infoständen stehen.
Meurer: Wie schlimm trifft das alles Nordrhein-Westfalen erst, werden die Werke von BenQ in Kamp-Lintfort in Bocholt geschlossen, auch ein Handy-Hersteller, jetzt Nokia?
Schartau: Ja, ich halt die Entwicklungen für sehr, sehr schlimm, auch für sehr schwierig, weil ich glaube, dass die Unternehmen bei Personalkostenanteilen, die ja in dieser hochkapitalintensiven Produktion der Handys bei unter fünf Prozent sind, dass die Unternehmen sich nicht gerade dadurch ausgewiesen haben, mit anderen unternehmerischen Mitteln eben diesen Standort auch gut zu halten. Da geht es ja darum, wie man den Service organisiert, wie man die Logistik organisiert, wie man das Umfeld organisiert. Und ich glaube, da sind die Konzernlenker doch weit davon entfernt, hier eine gute Note für ihre unternehmerische Leistung zu bekommen.
Meurer: Nokia hat ein bisschen kritisiert, das Umfeld der Politik sozusagen, damit auch Zulieferer nach Bochum zögen, habe nicht gestimmt. Was sagen Sie dazu?
Schartau: Ich glaube, das ist eine ganz billige Verteidigungsrede, denn die Politik in Bochum und im Land, da schließe ich ausdrücklich auch die Nachfolgeregierung ein, die ist bei solchen Anmerkungen sicherlich außerordentlich hellhörig und wenn Nokia den Versuch unternommen hätte, ernsthaft über solche Fragen mit den Beteiligten zu reden, dann wäre sicherlich auch etwas passiert. Das sind jetzt Schutzbehauptungen.
Meurer: Harald Schartau, ehemaliger Minister für Wirtschaft und Arbeit in Nordrhein-Westfalen, SPD, bei uns im Deutschlandfunk, Herr Schartau, schönen Dank und auf Wiederhören.
Schartau: Danke auch, wiederhören.
Harald Schartau: Guten Morgen.
Meurer: Vielleicht zunächst die Frage, sehen Sie noch eine Chance auf Rettung in Bochum?
Schartau: Also, darum muss jede Auseinandersetzung gehen, weil die betroffenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer dort ja vor Existenznöten stehen und deshalb glaube ich, dass Gespräche mit dem Konzern, mit der Konzernleitung über ihr unternehmerisches Engagement in Bochum unabdingbar sind.
Meurer: Was kann denn realistisch betrachtet dabei herauskommen?
Schartau: Ja, das kann ja keiner sagen, weil eines war ja nicht erkennbar, nämlich dass Nokia in irgendeiner Art und Weise um diesen Standort gerungen hat. Es war ja nirgendwo erkennbar, dass man sich bemüht hat, mit unternehmerischen Mitteln den Standort auch nach vorne zu bringen, sondern hier ist ja bisher nur erkennbar, eine ganz rüde Form von Steinzeitkapitalismus, nämlich die Ergebnisse stimmen nach konzerninternen Regeln nicht mehr, dann machen wir den Laden platt und so geht das ja nicht.
Meurer: Warum soll es Steinzeitkapitalismus sein, wenn Nokia sich an alle Vereinbarungen hält?
Schartau: Ich rede jetzt nicht von den Vereinbarungen, die im Zusammenhang mit Subventionen getroffen worden sind – die werden alle überprüft, da wird Nokia sich auch noch gefallen lassen müssen, dass da natürlich minuziös nachvollzogen wird, was da passierte – sondern es geht darum, dass ein Unternehmen, das hier gut und lange produziert hat, von heute auf morgen allen im Ruhrgebiet mitteilt, wir machen den Laden platt. So was hat es hier noch nicht gegeben.
Meurer: Würden Sie dann auch sagen – wie der Ministerpräsident ein bisschen andeutet – die Käufer sollten bei ihrer Kaufentscheidung beim Handy auf die Marke schauen?
Schartau: Das muss ja jeder selbst wissen. Ich meine, bei den Handys ist es ja mittlerweile so, zu welcher Alternative greifen Sie da? Zu Siemens, BenQ, zu Motorola, die Leidensgeschichte bei Handys, die ist ja ziemlich deutlich nachzuvollziehen. Aber trotzdem muss jeder individuell seine Entscheidung dazu treffen, wie mit einem Unternehmen, vielmehr mit seinen Produkten umgegangen wird, dass den Leuten dermaßen Sorgen bereitet.
Meurer: Wie war denn in Ihrer Amtszeit als Minister für Arbeit und ab 2002 auch für Wirtschaft und Arbeit, wie war denn Ihre Zusammenarbeit mit Nokia?
Schartau: Ja, es war eine Zusammenarbeit, die ja auch gerade 2003 herausgefordert war, die Handyproduktion war immer darauf bedacht, möglichst eine große Produktivität zu haben. Die Arbeitszeiten wurden ausgeweitet, das Arbeitsvolumen wurde ausgeweitet. Das waren ja alles Sachen, die die Beschäftigten auch mitgemacht haben, auch mitgetragen haben. Aber die Vorgänge der letzten Tage, die sind unvergleichbar und die werden sicherlich auch in die Ruhrgebietsgeschichte eingehen.
Meurer: Was ist in Ihrer Amtszeit noch an Subventionen geflossen? Oder war das schon vorher abgeschlossen?
Schartau: Das war vorher.
Meurer: Im Nachhinein betrachte, finden Sie die Entscheidung richtig, dass das Land 60 Millionen Euro ausgegeben hat?
Schartau: Ja, ich glaube, dass diese Entscheidung nicht nur richtig war zum damaligen Zeitpunkt, sie war auch erforderlich, um die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass ein so großes Werk nach Bochum kommt. Das war ja eine Ringeltaube fürs Revier und ich glaube, dass bei der Diskussion über Subventionen, wenn man nach vorne guckt, über zwei Sachen nachgedacht werden muss, nämlich, wie auf europäischer Ebene Transparenz hergestellt wird, wenn ein Konzern solche Verlagerungsmaßnahmen macht, da muss Millimeter für Millimeter Transparenz hergestellt werden, ob es eine Verlagerung ist, die ausschließlich mit solchen Subventionen spielt. Das geht auf europäischer Ebene nicht. Wer den europäischen Gedanken mit Füßen treten will, der muss eine solche Entwicklung zulassen.
Meurer: Aber es hat ja nur Subventionen für einen Industriepark gegeben. Das ist ja ein recht gewöhnlicher Vorgang in der EU.
Schartau: Ja, ich finde, die Erklärungen dafür, dieses Problem runter zu spielen, die sind teilweise auch schon skandalös. Ich glaube, diese Bemerkungen, wir haben ja nur für einen Industriestandort Geld ausgegeben – ja, für wen ist denn der Industriestandort? Der ist für dieses Unternehmen quasi maßgeschneidert worden und deshalb glaube ich, ein Subventionsmotto, "des einen Leid ist des anderen Freud", das darf es in Europa nicht geben.
Meurer: In Brüssel munitioniert man sich jetzt umgekehrt ein bisschen gegen die Nordrhein-Westfalen und sagt, Nordrhein-Westfalen hat 100 Millionen Euro Subventionen selbst bekommen. Was war da anders, als das, was jetzt in Rumänien passiert ist?
Schartau: Diese Bemerkungen, da muss sich Nordrhein-Westfalen auch stellen, da muss auch niemand Sorge haben, dass in einer solchen Auseinandersetzung Nordrhein-Westfalen in irgendeiner Art und Weise schlecht dasteht, nur es lenkt alle davon ab: Hat ein Konzern die Möglichkeit in einem Land die Produktion abzubauen und mit öffentlichen Mitteln an einer anderen europäischen Stelle wieder aufzubauen? Dieser Gedanke taucht immer wieder auf, aber er muss konsequent zu Ende gedacht werden, weil wenn das möglich ist, dann möchte ich bei Europawahlen nicht unbedingt an Infoständen stehen.
Meurer: Wie schlimm trifft das alles Nordrhein-Westfalen erst, werden die Werke von BenQ in Kamp-Lintfort in Bocholt geschlossen, auch ein Handy-Hersteller, jetzt Nokia?
Schartau: Ja, ich halt die Entwicklungen für sehr, sehr schlimm, auch für sehr schwierig, weil ich glaube, dass die Unternehmen bei Personalkostenanteilen, die ja in dieser hochkapitalintensiven Produktion der Handys bei unter fünf Prozent sind, dass die Unternehmen sich nicht gerade dadurch ausgewiesen haben, mit anderen unternehmerischen Mitteln eben diesen Standort auch gut zu halten. Da geht es ja darum, wie man den Service organisiert, wie man die Logistik organisiert, wie man das Umfeld organisiert. Und ich glaube, da sind die Konzernlenker doch weit davon entfernt, hier eine gute Note für ihre unternehmerische Leistung zu bekommen.
Meurer: Nokia hat ein bisschen kritisiert, das Umfeld der Politik sozusagen, damit auch Zulieferer nach Bochum zögen, habe nicht gestimmt. Was sagen Sie dazu?
Schartau: Ich glaube, das ist eine ganz billige Verteidigungsrede, denn die Politik in Bochum und im Land, da schließe ich ausdrücklich auch die Nachfolgeregierung ein, die ist bei solchen Anmerkungen sicherlich außerordentlich hellhörig und wenn Nokia den Versuch unternommen hätte, ernsthaft über solche Fragen mit den Beteiligten zu reden, dann wäre sicherlich auch etwas passiert. Das sind jetzt Schutzbehauptungen.
Meurer: Harald Schartau, ehemaliger Minister für Wirtschaft und Arbeit in Nordrhein-Westfalen, SPD, bei uns im Deutschlandfunk, Herr Schartau, schönen Dank und auf Wiederhören.
Schartau: Danke auch, wiederhören.