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Södertälje
Flüchtlinge wissen wenig über Schweden

Schweden nimmt in der EU die meisten Flüchtlinge aus Syrien auf. Vor allem ein Ort zieht die Asylsuchenden an: Södertälje. In der Kleinstadt südwestliche von Schweden sind fast ein Drittel der Menschen Asyrer, wie die Ankömmlinge genannt werden. Aufgenommen werden sie, offene Arme gibt es auch, aber weniger Integration.

Von Randi Häussler |
    Jeden Konflikt im Nahen Osten spüre man in Södertälje sofort, sagt die sozialdemokratische Bürgermeisterin, der kleinen Industriestadt südlich von Stockholm. Asyrer, eine verfolgte christliche Minderheit im Nahen Osten leben schon lange in Södertälje. Es sind mehr als 25 000 und damit sind rund 30 Prozent der Einwohner dieser schwedischen Kleinstadt Asyrer.
    Aufgenommen, aber wenig integriert
    2003 flohen fast 6.000 Iraker vor dem Krieg nach Södertäljä. Diese eine Stadt im Süden Schwedens nahm mehr Flüchtlinge auf als die USA. Und seit 2013 kommen auch noch die Bürgerkriegsflüchtlinge aus Syrien. Im
    Wer es bis nach Schweden schafft, der darf seinen Wohnort im Land selbst bestimmen. Sehr viele geben bei den Behörden Södertälje an, weil schon ihre Freunde und Familien hier aufgenommen wurden. Aufgenommen ja, integriert weniger.
    Die syrisch-orthodoxe Kirche Sankt Afrem ist an diesem Vormittag bis auf den letzten Platz besetzt. Rund 600 Menschen haben sich versammelt, um von einem Gemeindemitglied Abschied zu nehmen. In den ersten Bänken, nahe dem mit Blumen geschmückten Sarg, sitzen die Angehörigen – Bischof Benjamin Atas spendet Trost im Gebet.
    Die Menschen wissen wenig über Schweden
    Die Menschen hier in der Kirche leben teilweise schon viele Jahre in Södertälje, andere sind gerade erst angekommen. Die Stadt ist nach wie vor das Ziel vieler Christen aus dem Mittleren Osten, wenn sie nach Schweden gekommen sind. Denn nicht selten haben sie bereits Freunde oder Familie hier.
    Und die Kirche ist nicht nur an Tagen wie diesem ein wichtiger Anlaufpunkt. Hier erleben die Menschen Gemeinschaft, finden Geborgenheit in etwas, das ihnen vertraut ist und bekommen Rat und Orientierung, erzählt Bischof Atas:
    "Wenn diese Menschen nach Schweden kommen, dann wissen sie kaum etwas über dieses Land. Sie wissen, dass es ein demokratisches Land ist, in dem die Menschen frei sind – sonst aber auch nichts. In ihrem Alltag hier haben sie eine Menge Schwierigkeiten zu überwinden."
    Zwar würden die Neuankömmlinge in Södertälje mit offenen Armen begrüßt, sagt Yusuf Aydin, Sprecher der Sankt-Afrem-Gemeinde. Schließlich seien viele Menschen hier einmal in der gleichen Situation gewesen. Doch bis man richtig angekommen ist, können oft viele Jahre vergehen:
    "Es dauert lange, eine vernünftige Wohnung zu finden, sich weiterzubilden oder die eigene Ausbildung anerkannt zu bekommen. Das führt dazu, dass viele außen vor bleiben."
    Schule gleich Unterschiede aus
    Im Rathaus der Stadt geht Boel Godner mit einem Kollegen den Tag durch. Godnerist seit einigen Jahren Bürgermeisterin der 93.000-Einwohner-Stadt. Die Hälfte von ihnen kommt aus einem anderen Land. Vor allem was die Kinder angeht, kann sich Södertälje auf seine lange Erfahrung mit Flüchtlingen berufen, sagt Boel Godner:
    "Die Schule funktioniert gut – da haben wir sehr viel investiert. In der Schule erreichen wir alle Kinder und können gute Erfolge erzielen – hier können wir Unterschiede zwischen Menschen ausgleichen, alle Kinder sollen die gleichen Chancen bekommen. "
    Die Arbeitslosigkeit in Södertälje sei dennoch hoch, vor allem unter den kürzlich Zugewanderten.
    "Die schwedische Sprache ist der Schlüssel zum Arbeitsmarkt. Je schneller man die Sprache lernt, desto besser. Wenn aber viele Menschen an ein und denselben Ort kommen, im selben Wohngebiet leben und ihre Muttersprache sprechen, dann dauert es lange, bis die schwedische Sprache sitzt."
    Da würden auch die umfangreichen Sprachkurse, die das Land seinen Neubürgern anbietet, nur bedingt helfen.
    Hinzu kommt, dass wie vielerorts in Schweden auch in Södertälje Wohnraum Mangelware ist. Zu mieten gibt es relativ wenig, und es wird auch nicht genügend neuer Wohnraum gebaut. Das kann schon alteingesessenen Schweden Kopfschmerzen bereiten, und Zuwanderer, die meist mit wenigen Mitteln auskommen müssen, trifft das Wohnproblem hart.
    Von einer Bleibe zur nächsten
    Die Situation wird nicht unbedingt dadurch besser, dass man sich als Flüchtling in Schweden aussuchen kann, wo man hinmöchte. In Södertälje führt diese Regelung häufig dazu, dass man sich bei Verwandten einmietet oder gar eine Adresse nur auf dem Papier kauft .
    "Viele Menschen sind dann genötigt, von einer vorübergehenden Bleibe in die nächste zu ziehen, und immer so weiter. Das ist kein guter Start."
    Bürgermeisterin Boel Godner wünscht sich mehr Einsatz vom Staat. Es müsse ein System geben, das Adressen überprüft. Sonst hätten viele Menschen zwar eine Wohnung - aber eben nur in der Theorie.
    Immerhin, sollen bald schwedische Kommunen, die die Zuwanderung bislang regulieren oder ablehnen konnten, zur Aufnahme von Flüchtlingen gezwungen werden können. Ein entsprechender Gesetzesvorschlag wird gerade vorbereitet.
    "Das finde ich sehr gut! Dann können viele Kinder, die heute in armen Wohngegenden aufwachsen, stattdessen in reichen Gemeinden leben und schwedisch lernen, in Schulen mit vielen schwedischen Schülern gehen und so einen besseren Start bekommen."
    Dass Schweden jetzt vor der eigenen Haustür kehre, sei außerdem nur anständig und an der Zeit, findet Södertäljes Bürgermeisterin Boel Godner:
    2Wenn unser Ministerpräsident Stefan Löfven im Europaparlament eine gerechte Verteilung von Flüchtlingen fordert, dann muss er auch sagen können: zu Hause in Schweden machen wir es genauso."