Heinlein: Herr Lutz, sind Gesetzesverschärfungen und Abschiebungen ein wirksames Mittel gegen die gewalttätigen PKK-Proteste?
Lutz: Abschiebungen scheitern schon an europäischen Menschenrechtsfragen. Sie haben sie im Einstieg ja genannt. Das ist eine der Voraussetzungen. Darüber hinaus haben viele europäische Länder natürlich ausgestaltetes Recht, das heißt Gesetze, die dann im Rahmen der Menschenrechtskonvention unterhalb Regelungen treffen. Das gilt unter anderem auch für die Bundesrepublik Deutschland. Wir haben ja gesehen, wie schwer man in dem sogenannten Fall Mehmet sich tut, wenn jemand unter 21 Jahren ist, ihn tatsächlich los zu werden. Das gilt aber auch für diejenigen, die eine Aufenthaltsberechtigung haben. Dort haben die meisten europäischen Länder eine Mindesthaftstrafe, die zwischen drei und fünf Jahren liegt, bevor man überhaupt jemanden irgendwo los werden kann. So einfach ist das also nicht mehr. Auf der anderen Seite muß man natürlich sehen, daß die Türkei ja auch alles tut, um in diesem Sinne niemand aufzunehmen. Sie würden ja gerne die PKK-Aktivisten aufnehmen, aber selbst in ihrem Land haben sie keinen europäischen Standard im Sinne des Rechts.
Heinlein: Wie sollte man also, Herr Lutz, aus Sicht der Polizei mit den gewalttätigen PKK-Aktivisten umgehen?
Lutz: Zuerst einmal haben wir ein großes Problem, und ich möchte das einmal übertragen. Stellen Sie sich einmal vor, wir hätten in der Bundesrepublik Deutschland in Nordrhein-Westfalen eine zugelassene PKK, in Rheinland-Pfalz und Hessen, also in Ländern um Nordrhein-Westfalen herum, wäre sie verboten. Das würde erhebliche Probleme bringen. Die gleiche Situation haben wir derzeit in Europa, daß wir in den Niederlanden eine freie PKK haben, die als politische Partei dort agiert, ganz normal Büros hat, tätig ist. Auf der anderen Seite ist sie eine kriminelle Vereinigung hier in der Bundesrepublik Deutschland. In Schweden ist sie eine terroristische Vereinigung. So ließe sich das beliebig fortsetzen. Also in dem Bereich, wo ich heute frei reisen kann, hat die PKK natürlich alle Möglichkeiten, Ruheräume, Zentralen für taktische Entscheidungen aufzubauen. Deswegen haben wir erhebliche Schwierigkeiten in dieser Offenheit einer Gesellschaft, heute tatsächlich mit der PKK auf einem vergleichbaren Standard in Europa umzugehen. Also was ist angesagt? Harmonisierung auch im politischen Verständnis, wie man mit Menschen umgeht, die in diesem Bereich Gewalt nicht echten, sondern Gewalt als Mittel der politischen Konfliktlösung nehmen.
Heinlein: Es gibt nun, Herr Lutz, ich sagte es bereits, den Ruf nach schärferen Gesetzen. Reichen denn aus Ihrer Sicht die bestehenden Gesetze aus, um gegen die PKK-Gewalt in Europa ausreichend vorzugehen?
Lutz: Ich bin nicht unbedingt ein Verfechter der sagt, jedes Gesetz verändert das Verhalten der Menschen. Das sehen wir ja bei uns in vielen anderen Lebensbereichen auch, daß das nicht der Fall ist. Wir haben bei uns Gesetze, und wir können auch diejenigen abschieben, die beispielsweise jemand zur Geisel nehmen. Dort haben wir ohne Frage die Möglichkeit, sofern das eben nicht ein Land ist, was über die Menschenrechtskonvention tatsächlich erfaßt wird. Was machen wir denn mit der Türkei, solange sich die Türkei so verhält wie sie sich heute verhält? Solange haben wir keine Chance. Ob wir das Gesetz verändern und sagen, jemand dem eine Strafe droht von einem Jahr oder der wegen eines bestimmten Deliktes im Rahmen von Demonstrationen verurteilt wird, den möchten wir jetzt in die Türkei abschieben, das geht nicht. Solange die Todesstrafe oder eben auch Folter in diesem Lande für eine politische Gesinnung als Maßstab genommen wird, ist eine Abschiebung nach europäischem Recht nicht möglich. Europäisches Recht bricht deutsches Recht, und deswegen ist das Stammtischgelabere, wenn man heute hingeht und sagt, wir machen da einfach mal ein Gesetz und schieben die Leute dann in die Türkei ab. Das geht einfach nicht!
Heinlein: Sollten PKK-Demonstrationen verboten werden?
Lutz: Das Verbot von Demonstrationen hilft relativ wenig, aber was mit Sicherheit helfen würde - und diese Rechtsgrundlage ist in einigen Bundesländern in Deutschland und auch in einigen europäischen Ländern nicht vorhanden -, daß man Leute vorbeugend, wenn sie ganz einfach demonstrieren, Häuser besetzen und vieles tun, einfach in Vorbeugehaft nicht, das heißt für einige Tage aus dem Verkehr zieht. Das haben einige Bundesländer bei uns als Rechtsgrundlage. Man muß darüber nachdenken, ob eine solche Möglichkeit, um dem inneren Frieden zu dienen, tatsächlich eine Chance ist, für eine vorübergehende Befriedung ganz einfach eine Rechtsgrundlage zu haben. Auf Dauer gesehen ist dies aber eine politische Frage, wie mit den Kurden umgegangen wird, nicht nur eine Frage der Türkei. Das gilt auch für den Iran und den Irak, so daß man also sehen muß, daß hier auch Druck ausgeübt wird von ganz Europa und nach Möglichkeit von der ganzen Welt. Wir Europäer wären aber gut beraten, wenn wir hier eine vergleichbare Linie fahren würden gegenüber der Türkei. Es kann nicht sein, daß die Türkei in die Europäische Gemeinschaft will, aber selbst noch Standards hat, die weit hinter Europa hinterherhinken.
Heinlein: Sie haben gesagt, Herr Lutz, die Politik sei jetzt gefordert zur Lösung der Kurden-Frage. Viele Beamte sind bisher im Inn- und Ausland bei den Krawallen zum Teil schwer verletzt worden. Fühlt sich die Polizei in Europa von der Politik, von der EU in Brüssel alleine gelassen?
Lutz: Es ist einfach so: Europa war unfähig, eine Lösung zu bieten in dem Problem Öcalan. So ein Problem kann sich immer wiederholen, und deswegen müssen die Europäer einen Standard entwickeln, wie man mit einem solchen Problem umgeht. Auf der einen Seite kann ich die deutsche Bundesregierung verstehen, wenn sie sagt, Öcalan wollen wir nicht in Deutschland haben, weil bei uns die Bevölkerungsgruppe Türken - das sind ja nicht nur die Kurden, sondern eben generell die Frage eines türkischen Problems - auf deutschem Boden nicht über zwei, drei oder vielleicht vier Jahre für einen Prozeß - so lange dauert der heute - tatsächlich zu belasten ist im Bereich des inneren Friedens. Auf der anderen Seite kann es aber auch nicht richtig sein, daß jemand, der für Morde Verantwortung hat wie Öcalan, in diesem Bereich in Europa herumreisen kann, keiner will ihn haben, sondern dann muß es eben eine internationale Gerichtsbarkeit geben, oder die Türkei erreicht diese Standards, daß sie eben ausländische Beobachter zuläßt, damit wir hier eine Möglichkeit haben, auch dem inneren Frieden in Europa auf Dauer zu dienen.
Heinlein: Vielleicht kurz zum Schluß, Herr Lutz. Ihr deutscher Amtskollege Spinrath von der deutschen Polizeigewerkschaft hat angesichts der Kurden-Kravalle den Personalabbau bei der Polizei beklagt. Wie sieht das auf europäischer Ebene aus?
Lutz: Herr Spinrath hat vollkommen recht. Wenn wir in diesem Bereich unsere Dienste in Europa aufgrund der Krawalle komplett umstellen müssen, das heißt, daß diejenigen, die Innendienst machen ihre Arbeit liegen lassen müssen - - Wir brauchen ja auch einen bestimmten Verwaltungsstandard, damit Verfahren tatsächlich rechtsstaatlich durchgeführt werden können. Wenn wir dann noch darüber hinaus hingehen und auch noch andere Aufgaben, die die Bürger im Alltag erwarten, reduzieren müssen, dann ist das auf Dauer nicht erträglich. Aus diesem Grunde rächt sich die Haushaltsenge in Europa, wo überall Personal abgebaut wird. Deswegen kann ich nur sagen, auf den Punkt gebracht hat er Recht.
Heinlein: Der Vorsitzende der Europäischen Polizeigewerkschaften, Hermann Lutz. Herr Lutz, vielen Dank für dieses Gespräch und auf Wiederhören.