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"Soldaten - ein Einsatzbericht"

Kriegserfahrung und posttraumatische Belastungsstörungen finden sich bei Dienstpflichtigen aller Waffengattungen und inzwischen auch auf dem Theater. In Göttingen haben eine Regisseurin und zwei Dramaturginnen aus Interviewmaterial ehemaliger deutscher Soldaten im Ausland ein Stück gemacht - ein beunruhigend ruhiger, konzentrierter Abend.

Von Hartmut Krug | 25.06.2011
    Für sein Projekt über deutsche Soldaten und ihr Selbstbild, ihre Motive und Erfahrungen hat sich das Deutsche Theater Göttingen mit dem freien Theater werkgruppe/2 zusammengetan und ist in deren Spielstätte gezogen. Hier, im alten Magazin der Saline Luisenhall, kann sich das Publikum nicht gemütlich in bequeme Theatersitze zurücklehnen. Aber klugerweise wird nicht versucht, eine Kriegsatmosphäre zu schaffen, sondern es wird einfach ein Gefühl von Fremdheit und leichter Ungemütlichkeit hervorgerufen. Man sitzt auf Plastikstühlen im Kreis wie um ein Lagerfeuer. Doch statt eines lodernden Lagerfeuers blitzt in der Mitte eine Art kreisrunder Teppich aus aufgeschütteten Patronenhülsen. Sie sind ein Zeichen, so deutlich wie einfach, kein Spielmaterial. Wolldecken liegen bereit, denn es ist kalt in dem niedrigen, verwinkelten Raum, in dessen Nischen und hinter dessen Balken nacheinander fünf Männer auftauchen und von ihrem Soldaten-Dasein erzählen.

    Sie spielen nicht etwa Erlebtes nach, sondern sie berichten und bedenken vor dem Publikum, was sie in den Helfer- und Kriegseinsätzen in Afghanistan und im Sudan, in Somalia und im Irak, in Bosnien und im Kosovo getan, gedacht und erfahren haben. Aus umfänglichem Interviewmaterial haben die Regisseurin Julia Roesler und die Dramaturginnen Anna Gerhards und Isabelle Stolzenburg eine eineinhalbstündige Textfassung montiert. Fünf Schauspieler spielen fünf unterschiedliche Soldaten.

    Der intensive Abend beginnt am Ende, nach den Kriegseinsätzen der Soldaten. Da herrscht bei vielen das PTBS, das Posttraumatische Belastungssyndrom. Ein Soldat kann nicht mehr die verschlängelten Wege bei Ikea gehen, ein anderer kann nachts nicht schlafen und rast dann über die Autobahn, ein dritter empfindet seine Wohnung im obersten Geschoss als Sicherheitsraum, und oft wird jeder Tag wie ein Trigger empfunden. Das heißt, alltägliche Sinneseindrücke wecken urplötzlich Kriegserfahrungen, - und die werden noch einmal mit aller Macht durchlebt und verdrängen die Wirklichkeit. Nicht anklagend, nicht effekthascherisch, nicht mit äußerlicher Beeindruckungsgestik wird all dies vorgestellt, sondern in einem ruhigen szenischen Nachdenken. Mal setzen sich die Schauspieler zwischen die Zuschauer, dann wieder wandern sie durch den Raum, ziehen sich Uniformen an und denken über den Sinn und den Erfolg von sogenannten Hilfseinsätzen nach. Zum Beispiel über die Versuche, in Afghanistan Brunnen und Schulen zu bauen:

    "Und dann bauen die Deutschen in irgendeinem Dorf eine kleine Schule auf. Eine ganz kleine, das reicht ja. Das andere Dorf kriegt aber noch keine Schule. Weil entweder kann man nicht überall Schulen bauen oder es geht einfach nicht von der Manpower her. Man ist ja kein Bauunternehmen, man hat ja auch andere Dinge zu tun. So, und dann wird die Schule abgefackelt. Oder es fliegt eine Handgranate rein. Meistens wenn die Kinder noch drin sind. So machen die das. Tag für Tag, Tag für Tag."

    Das Inszenierungsmaterial liefert kein uniformes, sondern ein vielfarbiges Soldatenbild. Der Weg der Männer in die Bundeswehr erscheint kaum als ein reflektierter, sondern eher als ein zufälliger: weil man hier zugleich eine Berufsausbildung bekam, weil man fliegen wollte, weil man einen Arbeitsplatz hatte und weil man später beim Einsatz in Kriegsgebieten noch mehr verdiente, gelegentlich aber auch, weil man helfen wollte, oder aus Abenteuerlust. Die Fremdheit, Unsicherheit und ständige Bedrohung, die Erfahrung von Blut und Tod führen zu heftigem Zweifel am Sinn der Einsätze, die im lakonischen Satz münden: "Ich hab keine Lust, ich mag keine Afghanen", oder in der Erschütterung über einen Minenanschlag gegen einen Konvoi, bei dem es sechs Tote und 24 Verletzte gab.

    Die sehr offenen, selbstkritischen und oft kritisch gegenüber der Politik formulierten Berichte der Soldaten zeigen eindrücklich wieder einmal das Selbstverständliche: Krieg und Soldatentum sind tödlich, körperlich wie emotional. Wenn in einer Szene vom Lageralltag auch das Publikum Bier abbekommt und einzelne Frauen zum Mittanzen auf den Patronenteppich geholt werden, wird hiermit auf ambivalente Weise gegen falsche Betroffenheit aninszeniert. Es ist kein spektakulärer, aber ein beunruhigend ruhiger, konzentrierter Abend, bestimmt von einer bedrückend-uneindeutigen Atmosphäre. Zwischen die Erzählungen der rohen Kriegserfahrungswelt werden als Kontrapunkt einige Lieder gestreut, gesungen von zarten Knabenstimmen: mal ein Landser-Schlager, mal Chers berühmtes "Bang, Bang, my baby shot me down", - und zum Schluss ein Abendchoral mit der letzten Zeile als vergeblichem Beruhigungsversuch "Uns geht es gut".