Archiv


'Solidarische Finanzierung ist zukunftsfähig'

Meurer: Die Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung sollen deutlich gesenkt werden, aber das geht wohl nur, wenn gleichzeitig auch Leistungen gestrichen werden, die bislang noch bezahlt werden. Über 14 Prozent zahlen im Moment die meisten Versicherten. Das soll anders werden. Schon im Mai soll die Gesundheitsreform stehen, und das könnte dann darauf hinauslaufen, dass in diesen Tagen und Wochen eine der gravierendsten Sozialreformen der letzten Jahrzehnte in Angriff genommen wird. Heute Nachmittag überreicht der Sachverständigenrat Gesundheitswesen ein Gutachten an die Ministerin Ulla Schmidt. Vorab hieß es unter anderem: Zahnbehandlungen oder private Unfälle würden aus dem Katalog herausgenommen. Mitglied dieser Expertenkommission ist Professor Karl Lauterbach und bei uns nun am Telefon. Guten Morgen, Herr Lauterbach.

    Lauterbach: Guten Morgen.

    Meurer: Wie drastisch sollen denn die Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung gesenkt werden?

    Lauterbach: Wir kommen zum einen zu dem Ergebnis, dass die bestehende Finanzierung, die so genannte solidarische Finanzierung im Prinzip zukunftsfähig ist. Das heißt also, wir sprechen uns gegen radikale Lösungen aus, die Finanzierung beispielsweise komplett auf Steuern oder auf Kopfpauschalen oder auf eine Kapitaldeckung umzustellen. Das heißt, das jetzige System - solidarische Beiträge von Arbeitgebern und Arbeitnehmern - halten wir für zukunftsfähig. Damit es aber überleben kann, muss es deutlich Gewicht abwerfen. Es muss also der Beitragssatz gesenkt werden und wir bringen dafür Vorschläge, die in der Lage wären, den bestehenden Beitragssatz unter 12 Prozent zu senken. Die Leistungen sollen aber nicht so verschwinden, dass sie nicht mehr Teil des Beitragssystems sind, sondern sie sollen durch Steueraufkommen beziehungsweise durch Privatisierung getragen werden. Es handelt sich um sinnvolle Leistungen, die aber zum Fortbestand der GKV umfinanziert werden sollten.

    Meurer: Wird die Privatversicherung, zum Beispiel bei Zahnbehandlung, Pflicht werden oder bleibt das dann, wenn das realisiert würde, jedem einzelnen überlassen?

    Lauterbach: Nein, das kann nicht jedem einzelnen überlassen werden, das ist ganz klar. Die Politik muss hier entscheiden, welche Maßnahmen umfinanziert werden. Zahnbehandlung beispielsweise steht sehr niedrig auf unserer Liste, ist kein Vorschlag, den wir prioritär machen, weil dies bedeuten würde, wenn man es tun würde, dass die Zahnbehandlungen nicht nur privat finanziert werden müssen, sondern sie auch noch viel teurer werden würden: Zahlt die gesetzliche Krankenkasse nicht mehr für die Zahnbehandlung, dann steigen die Preise, weil es dann auch keine Bindung der Preise mehr an die gesetzliche Krankenversicherung gibt. Das ist kein so guter Vorschlag. Wir bringen insgesamt ein großes Portfolio von umfinanzierbaren Leistungen. Wenn ich noch einen Satz sagen kann... Ich glaube, dass das sinnvoll ist: Wenn man einen Teil der Leistungen durch Steuern oder durch Privatisierung umfinanziert, dann lastet nicht mehr das gesamte Aufkommen der gesetzlichen Krankenversicherung auf den Löhnen. Drum ist also eine solche Diversifizierung der Einkommensarten richtig, aber es sollte nur ein Unterteil sein und zum zweiten kann so etwas nur gemacht werden, wenn die Effizienzreserven, die Wirtschaftlichkeitsreserven, die nach wie vor groß in unserem System sind, ebenfalls erschlossen werden, das heißt, wenn die Reformen nicht zu Lasten der Versicherten und Patienten alleine geht, sondern auch die Leistungserbringer, also Ärzte, Krankenhäuser und andere Leistungsbringer mehr Wirtschaftlichkeit und mehr Qualität bringen. Da haben wir noch große Reserven.

    Meurer: Da gab es am Wochenende Schlagzeilen: Die Gesundheitsministerin wolle die Macht der kassenärztlichen Vereinigungen brechen. Auf was sollten sich Ihrer Ansicht nach die Ärzte und ihre kassenärztlichen Vereinigungen einstellen?

    Lauterbach: Auf mehr Wettbewerb. Im Gesundheitssystem ist es so, dass es einen Einheitsvertrag gibt, das heißt jeder bekommt qua Verordnung, qua Staat immer den gleichen Vertrag, das heißt jede Kasse muss mit jedem Arzt zu einheitlichen Bedingungen einen Vertrag machen. Das hat sich nicht bewährt. Das drückt die Qualität nach unten und hebt die Kosten nach oben. Da brauchen wir mehr Wettbewerb. Also, es muss so sein: Gute Qualität und wirtschaftliche Verordnung muss sich für Arzt und Patienten lohnen, und es muss nicht mehr jeder einen Vertrag bekommen, der nicht bereit ist, Qualität oder Wirtschaftlichkeit zu bringen.

    Meurer: Neigen die kassenärztlichen Vereinigungen dazu, sozusagen eine teure Überfinanzierung zu finanzieren?

    Lauterbach: Die kassenärztlichen Vereinigungen gibt es in dieser Form ja nur in Deutschland und sie leben von dem Einheitsvertrag. Das führt dazu, dass man als Arzt nur besser verdienen kann, indem man in die Masse geht, also Masse statt Klasse folgt. Die kassenärztlichen Vereinigungen definieren sich über diesen Einheitsvertrag und stehen somit einer wettbewerblichen Weiterentwicklung und Modernisierung unseres Systems nach meiner persönlichen Einschätzung im Wege.

    Meurer: Die Ministerin lehnt es ja ab, den Arbeitgeberanteil einzufrieren. So wie ich verstanden habe, bleibt es auch nach dem Sachverständigenrat beim 50-zu-50-Modell. Was denken Sie denn persönlich über den Vorschlag, ein Limit einzuführen, eine Grenze für den Arbeitgeberanteil bei den Krankenkassen zu ziehen?

    Lauterbach: Mit diesem Vorschlag haben wir uns im Ratgutachten nicht im Detail beschäftigt. Ich persönlich lehne den Vorschlag klar ab, und zwar deshalb, weil der Vorschlag ja keine zusätzlichen Einkommensarten ins Spiel bringt, das heißt er schafft es nicht, hier Steueraufkommen oder beispielsweise Privateinkommen ins Spiel zu bringen. Es bleibt bei der einseitigen Belastung der Löhne und diese wird nur in einer sozial bedenklichen Art und Weise stärker auf die Arbeitnehmer verlagert, also entlastet leicht die Arbeitgeber. Das aber auch nur vermeintlich, denn zum Schluss werden auch die Löhne natürlich von den Arbeitgebern gezahlt.

    Meurer: Noch eine persönliche Frage an Sie zum Schluss: Die Gesundheitsministerin steht ja unter heftigem Beschuss der Ärzte und Sie gleich mit, weil Sie als ihre rechte Hand gelten. Wie sehr trifft Sie das, wenn Sie bei Demonstrationen persönlich attackiert werden?

    Lauterbach: Wenig, muss ich sagen, wenn es sachliche Attacken sind. Ich glaube, das gilt auch für die Ministerin. Wir stehen, wie Sie eben selbst ausdrücken, vor einer großen, vor einer radikalen Reform. Und eine große, radikale Reform produziert immer Gewinner und Verlierer. Der Gewinner muss diesmal der Patient sein, und so lange das die Reform gewährleistet, ist auch der Protest des einen oder anderen Leistungserbringers verständlich und den kann ich voll nachvollziehen. Für diese Arbeit werden wir bezahlt, nicht dafür, überall beliebt zu sein.

    Meurer: Das war Professor Karl Lauterbach, Mitglied im Sachverständigenrat Gesundheitswesen, der heute ein Gutachten an Ministerin Ulla Schmidt überreichen wird. Herr Lauterbach, besten Dank und auf Wiederhören.

    Link: Interview als RealAudio