Freitag, 19. April 2024

Archiv

Solidaritätspakt
"Ein falsches Signal"

Der FDP-Vorsitzende Christian Lindner hält die Weiterführung des Solidaritätspaktes für falsch. "Das hat den Charakter einer erheblichen Steuererhöhung", sagte er im DLF. Gerade angesichts der Rekordeinnahmen des Bundes sollten die Bürger nicht weiter damit belastet werden.

Christian Lindner im Gespräch mit Christiane Kaess | 27.11.2014
    Der FDP-Vorsitzende Christian Lindner während seiner Rede in Bonn.
    Christian Lindner (Roland Weihrauch / picture-alliance / dpa)
    Die aktuell niedrigen Zinsen sorgten für eine Umverteilung: Das Vermögen privater Sparer schmelze, während der Staat sich darüber gut finanzieren könne. "Es ist eine Frage der Fairness, dass der Staat die niedrigen Zinsen nutzt, um sich solide aufzustellen und die Bürger dann zu entlasten," sagte Lindner. Er bemängelte die fehlende Investitionsbereitschaft des Bundes und der Länder.
    Die Weiterführung des Solis sende ein falsches Signal der Verlässlichkeit der Politik: "Wenn etwas verlängert wird, das eigentlich auslaufen sollte, ist das eine Erhöhung." Es sei außerdem ein klarer Wortbruch der CDU.
    Der SPD wirft er politische Heuchelei vor: "Man kann nicht den Mindestlohn einführen und dann die Sozialabgaben und Steuern erhöhen." In Wahrheit gehe es bei dem Pakt um die Finanzierung anderer Koalitionsprojekte wie beispielsweise dem "enorm teuren" Rentenpaket.

    Das Interview in voller Länge:

    Christiane Kaess: Was soll mit dem Solidaritätszuschlag passieren? Hat die Abgabe, die den Aufbau Ost finanzierte, in ein paar Jahren noch eine Berechtigung und wenn ja welche? Die SPD und grün regierten Länder haben sich dafür ausgesprochen, den Soli in die reguläre Einkommenssteuer zu integrieren. So käme ein erheblicher Teil den Bundesländern zugute, auch oder vor allem den westlichen Bundesländern. Und auch diese brauchen dringend Geld, zum Beispiel, um das in bessere Straßen zu investieren. Die Unions-regierten Länder wie Sachsen oder Bayern aber wollen da nicht mitziehen. Ihre Kritik: Integriert man den Soli in eine andere Steuer, käme das einer Steuererhöhung gleich. Die hat die Union aber vor der Bundestagswahl abgelehnt.
    Mitgehört hat Christian Lindner, Vorsitzender der FDP. Guten Morgen!
    Christian Lindner: Guten Morgen nach Köln, Frau Kaess.
    Kaess: Herr Lindner, Sie sind beim Treffen der Ministerpräsidenten heute nicht dabei. Aber was würden Sie den Ministerpräsidenten raten? Wie sollten die sich einigen, wenn es um die Zukunft des Solis geht?
    Lindner: Die Politik sollte den Bürgerinnen und Bürgern ein klares Signal der Verlässlichkeit senden. Den Menschen war zugesagt, dass der Solidaritätszuschlag nur solange und soweit erhoben wird, wie er zur Bewältigung der teilungsbedingten Sonderlasten benötigt wird. Jetzt läuft 2019 der Solidarpakt II aus, damit auch der Solidaritätszuschlag. Ihn jetzt zu verlängern, obwohl er eigentlich jetzt entfallen sollte, das hat den Charakter einer sehr erheblichen Steuererhöhung. Wenn etwas verlängert wird, was auslaufen sollte, dann ist das eine Erhöhung der Belastung. Ich halte das für ein falsches Signal der mangelnden Verlässlichkeit der Politik, und im Übrigen passt das auch nicht in eine Zeit, in der der Staat Rekordeinnahmen hat und niedrigste Zinsen für seine Finanzierung nur zu zahlen hat. In diese Zeit passt es nicht, dass die Bürgerinnen und Bürger zusätzlich belastet werden, wie das ja inzwischen wieder politische Mode ist, von den Grunderwerbssteuern, die in den Ländern erhöht werden, über den Lohnklau, wenn ich das so sagen darf, bei der Kalten Progression im Bund. Dann auch noch Soli - ich finde, das ist ein ganz falsches Zeichen.
    "Charakter einer erhöhten Belastung"
    Kaess: Aber, Herr Lindner, von Steuererhöhung kann ja keine Rede sein. Die Abgabe läuft seit mehr als zwei Jahrzehnten.
    Lindner: Wenn etwas auslaufen soll und verlängert wird, dann hat das den Charakter einer erhöhten Belastung. Denn würde die Zusage eingehalten, dass er eben 2019 fortfolgende nicht mehr erhoben wird, dann hätte sich ja die Belastung der Bürgerinnen und Bürger planmäßig reduziert, und genau dieses Signal der Verlässlichkeit ist jetzt erforderlich. Übrigens wäre es in besonderer Weise ein Wortbruch der CDU, denn die CDU hat jede Form von Mehrbelastung ausgeschlossen. Das war eine klare, eine der wenigen klaren Zusagen der Union für die Große Koalition.
    Kaess: Das war vor der Bundestagswahl und es geht ja auch nicht um eine neue Erhöhung, weil, wie ich gerade gesagt habe, die Abgabe läuft ja seit geraumer Zeit.
    Lindner: Frau Kaess, wir sind da offensichtlich unterschiedlicher Meinung. Meine Meinung ist - und wir halten beide den Widerspruch sicher aus -, meine Meinung ist: Soll etwas auslaufen und dann wird im Nachhinein die Geschäftsgrundlage geändert und es wird gesagt, es soll nicht auslaufen, hat das für mich den Charakter einer erhöhten Belastung. Es kann doch kein Zweifel daran sein. Würde der Soli 2020 auslaufen, hätten die Bürger, alle Bürger, auch die mit geringen Einkommen, eine erheblich niedrigere Belastung, und das soll ihnen jetzt vorenthalten werden, und zwar im Widerspruch zu gegebenen Zusagen.
    Kaess: Gut. Den Widerspruch, den halten wir jetzt aus. Warum, Herr Lindner, gehen Sie davon aus, dass wir das Geld nicht mehr brauchen?
    Lindner: Ich sehe Rekordeinnahmen beim Staat. Wolfgang Schäuble kalkuliert alleine bis 2017 mit 100 Milliarden Euro jetzt noch zusätzlichen Steuereinnahmen, über das hinaus, über was er jetzt verfügen kann. Und wir haben niedrigste Zinsen. Der Staat hat so gut wie keine Zinsen zu seiner Finanzierung zu zahlen. Das ist ein bemerkenswerter Fakt der Umverteilung, denn für die privaten Sparer schmilzt das, was sie zur Seite gelegt haben, durch die niedrigen Zinsen, die sie nur erhalten, in der Sonne und der Staat finanziert sich sehr niedrig. Das ist eine Art Umverteilung von Staat zu Privat über die niedrigen Zinsen. Gerade in dieser Zeit wäre es auch eine Frage der Fairness, dass der Staat die niedrigen Zinsen nutzt, um sich solide aufzustellen und die Bürgerinnen und Bürger dann in anderer Weise von Schaden befreit.
    "Unsolide, nicht langfristig orientiert, nicht nachhaltig"
    Kaess: Sie sprechen von diesen üppigen Einnahmen und dennoch ist es aber so, dass 2020 die Schuldenbremse der Länder für die Länder und für die Kommunen kommen wird und schon jetzt viele Länder nicht verfassungsgemäße Haushalte demnach haben. Dann ist es doch eigentlich umso wichtiger, dass zusätzliches Geld fließt, weil sonst müsste man die Investitionen noch mehr kürzen.
    Lindner: Oder klare Schwerpunkte in den Haushalten setzen und bei neuen Konsumausgaben, also zusätzlichen staatlichen Ausgaben, zunächst einmal ein Stoppsignal setzen, und darum geht es doch in Wahrheit, Frau Kaess. Der Zusammenhang ist doch unverkennbar. Es ist seinerzeit eine LKW-Maut eingeführt worden mit der Begründung, man müsste stärker investieren in die öffentliche Infrastruktur. Was ist danach gemacht worden? Der staatliche Finanzierungsanteil ist exakt um den Betrag gekürzt worden, wie das Aufkommen der LKW-Maut war. Man hat es also benutzt, um Aufgaben neu zu finanzieren und Investitionstätigkeit zu reduzieren. Genau das, prognostiziere ich, ist auch hier die versteckte Absicht. Die Große Koalition hat ein Rentenpaket beschlossen, das enorm teuer ist - wir reden über 230 Milliarden Euro bis zum Jahr 2030 -, das aber nur bis 2017 finanziert ist. Dann ist die Rücklage der Rentenkasse aufgebraucht. Dann muss der Steuerzuschuss aus dem Bundeshaushalt erhöht werden. Jetzt geht die Kreativität dahin, wie bekommen wir noch mal zusätzliche Taler in die Kasse, nicht für Investitionen, sondern für Konsumausgaben.
    Kaess: Ihr Vorwurf, Herr Lindner, an die politisch Verantwortlichen ist Misswirtschaft?
    Lindner: Unsolide, genau, nicht langfristig orientiert, nicht nachhaltig. Es kann kein Zweifel bestehen - darauf wollen Sie jetzt bestimmt hinaus -, dass in den westdeutschen Bundesländern erheblicher Investitionsbedarf ist. Dem stimme ich zu.
    Kaess: Und das müsste ja schon eine Menge Misswirtschaft sein, wenn man das vom Tisch fegen will, und das ist offenbar eine Misswirtschaft, die bisher dann nur der FDP aufgefallen ist.
    Lindner: Nein, keineswegs! Die reduzierte Investitionsquote im Bundeshaushalt, das ist auch Gegenstand der Generaldebatte gestern im Deutschen Bundestag gewesen. Leider nicht mit der Priorität, wie ich es mir gewünscht hätte. Bis 2017 sinkt ja die Investitionsquote im Bundeshaushalt weiter, trotz der hohen Einnahmen und der niedrigen Zinsen, weil Schwerpunkte an anderer Stelle gebildet werden. Ich nenne mal das Beispiel, dass 1.600 zusätzliche Beamte jetzt beim Zoll eingestellt werden, um die enorm gewachsene Bürokratie bei den mittelständischen Betrieben zu kontrollieren, die jetzt ja Buch führen müssen über die Frage, ob sie Mindestlohn zahlen oder nicht. Zehn Milliarden Euro Bürokratiekosten, sagt der Normenkontrollrat. Da geht das Geld hin und an anderen Stellen fehlt es eben.
    Was ist zu tun? Bei der Debatte über einen neuen Bund-Länder-Finanzausgleich muss es natürlich eine Stärkung der Investitionsmöglichkeit auch der westdeutschen Länder geben. Aber diese Einigung darf nicht zulasten Dritter erfolgen, nämlich zulasten der Bürgerinnen und Bürger, die zusätzlich zur Kasse gebeten werden. Mein Vorschlag ist: Klare Vorfahrt für Investitionen - und bei den Konsumausgaben, weil man sehr leicht damit ja Wahlkämpfe führen kann, zusätzlichen Konsum zu versprechen, da muss es eine Verständigung in Deutschland geben, dass wir das bisherige Niveau von Staatsausgaben erst einmal solide finanzieren, bevor Frau Nahles neue Ideen umsetzen darf.
    Umverteilung zu "ideologischen Wohlfühlprojekten"
    Kaess: Aber Sie geben zu, Herr Lindner, auch die westlichen Bundesländer haben durchaus Nachholbedarf. Das Beispiel Nordrhein-Westfalen kennen Sie selber sehr gut; dort war auch die FDP lange Zeit mit in der Regierung. Wie ist denn der Rückstand an Investitionen eigentlich zu erklären?
    Lindner: Eine Umschichtung aus dem investiven Bereich nach und nach in den Bereich des Staatskonsums und der Bürokratie. Gerade weil Sie Nordrhein-Westfalen ansprechen, das kenne ich ja sehr gut -
    Kaess: Und deshalb fahren wir über schlechte Straßen in Nordrhein-Westfalen?
    Lindner: Exakt so ist es. Um allein nur das Beispiel Nordrhein-Westfalen zu nehmen, was vielen Zuhörern in anderen Ländern vielleicht nicht vor Augen steht, aber seit 2010 ist dort massiv reduziert worden im Bereich der Straßeninfrastruktur-Investitionen, ist deutlich gekürzt worden, in jedem Jahr wird gekürzt.
    Kaess: Erst seit 2010, weil davor die FDP mit in der Regierung war?
    Lindner: Ja! Genau das ist der Regierungswechsel Kraft. Frau Kraft hat andere Prioritäten mit den Grünen dann gesetzt. Ganz konkret freut sich der grüne Minister Remmel, der das Umweltressort verantwortet, über jedes Jahr viele neue Stellen in seinem Verwaltungsapparat und auf der anderen Seite im Bereich des Straßenbaus wird gekürzt. Das ist genau das, was ich beschreibe: Es wird eben umverteilt aus dem Bereich von Zukunftsinvestitionen hin zu anderen Prioritäten, teilweise sogar zu ideologischen Wohlfühlprojekten.
    Kaess: Mir ist ein bisschen schwer vorstellbar, Herr Lindner, dass die schlechten Straßen in Nordrhein-Westfalen erst seit 2010 in diesen Zustand geraten sind.
    Lindner: Ja, ist aber ein Fakt, dass seitdem die Prioritäten deutlich verschoben worden sind. Es gab auch vorher Nachholbedarf. Bis 2005 hat ja schon einmal eine rot-grüne Regierung dort die Verantwortung getragen. Auch da gab es niedrige Investitionen. Übrigens wurde dann auch nicht mehr geplant, neue Straßen wurden nicht geplant, weshalb wir in NRW damals und heute noch eine zusätzliche Besonderheit haben. Nordrhein-Westfalen ist nicht in der Lage, Bundesmittel für den Straßenbau abzurufen. Weil zu wenig geplant wird und zu wenig zusätzliche Bauvorhaben in das Planfeststellungsverfahren gehen, kann Nordrhein-Westfalen noch nicht einmal die Fördergelder des Bundes einsacken. Die gehen in andere Länder, die schneller und besser planen. Das ist allerdings eine rot-grüne Besonderheit unseres Landes NRW.
    "Das ist eine Form von politischer Heuchelei"
    Kaess: Herr Lindner, einen Punkt möchte ich noch ansprechen. Es wird ja wahrscheinlich so sein, dass der Soli weiterlaufen wird, denn darin sind sich die Ministerpräsidenten einig. Jetzt gibt es zwei Vorschläge: den aus der Union, weiterlaufen lassen, aber zweckgebunden als Extra-Abgabe, oder den der rot-grün regierten Länder, integrieren in eine Steuer. Wenn Sie jetzt zwischen diesen, aus Ihrer Sicht zwei Übeln, wählen müssten, welches wäre der bessere Vorschlag?
    Lindner: Mit Sicherheit ist die Einarbeitung in den Steuertarif noch weniger überzeugend, denn hier werden auch Geringverdiener noch stärker belastet. Das heißt, es kommt auch noch zu einer Umverteilungswirkung zwischen großen und kleinen Portemonnaies. Dass ausgerechnet das von den SPD-Ministerpräsidenten vorgeschlagen worden ist, halte ich für völlig überraschend und abwegig. Generell kann ich aber nur sagen, man kann nicht davon sprechen, die Bürgerinnen und Bürger zu entlasten, man kann nicht über die Frage von auch Unterschieden beim Einkommen und bei der Vermögensverteilung sprechen, den Leuten einen Mindestlohn geben und danach die Steuern und Sozialabgaben erhöhen. Das ist eine Form von politischer Heuchelei, wie ich sogar sagen muss, die die Bürgerinnen und Bürger der Politik nicht durchgehen lassen sollten.
    Kaess: Die Meinung von Christian Lindner - er ist Vorsitzender der FDP - live bei uns im Interview heute Morgen. Danke schön!
    Lindner: Danke Ihnen, Frau Kaess. Einen guten Tag.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.