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Solidarpakt 2 - Nach dem Treffen der ostdeutschen Ministerpräsidenten mit Bundeskanzler Schröder

Durak: Der Osten Deutschlands ist auf Sonderförderung angewiesen, wird es bleiben weit über das Jahr 2004 hinaus. Ab dann sollte der Solidarpakt Nummer 2 greifen. Und weil sie dieser Überzeugung sind, drängen die Ministerpräsidenten Ostdeutschlands die Bundesregierung, zu handeln und dabei möglichst konkret zu werden. Gestern Abend trafen sie den Bundeskanzler. Unter anderem in der sächsischen Staatskanzlei aber wird seit geraumer Zeit an den Grundlagen des Paktes gearbeitet. Bei uns nun am Telefon der Ministerpräsident von Sachsen. Guten Morgen Kurt Biedenkopf!

    Biedenkopf: Schönen guten Morgen.

    Durak: Eines der gestrigen Gesprächsergebnisse ist - das war in den Nachrichten hier im Deutschlandfunk schon zu hören -, dass es doch noch keinen konkreten Zeitplan gibt für den Pakt Nummer 2. Sind Sie enttäuscht?

    Biedenkopf: Nein, ich bin nicht enttäuscht. Wir haben eine sehr komplizierte Lage, weil wir nicht nur über die Fortsetzung der Anstrengungen beim Aufbau Ost sprechen müssen, sondern auch über die Neuordnung des Finanzausgleichs, mit der uns das Bundesverfassungsgericht beauftragt hat, und die Steuerreform. Wir sind uns einig, dass erst einmal die Steuerreform in trockenen Tüchern sein muß. Wir hoffen, dass das vor der Sommerpause der Fall ist. Mit der Bundesregierung wollen wir jetzt prüfen, wie dann der Terminplan für die weiteren Beratungen aussehen kann, wenn wir sie Ende 2001 abschließen wollen. Ich hatte den Eindruck, dass der Bundeskanzler dieser Überlegung, die Dinge bis 2001 abzuschließen, also Ende 2001/Beginn 2002, sehr offen gegenübersteht. Wir alle sind nicht daran interessiert, dass diese sehr komplizierte Materie in den Bundestagswahlkampf gerät.

    Durak: Der Finanzminister Hans Eichel, so war zu hören, zweifelt daran, dass die Neuregelung des Länderfinanzausgleichs so rasch zu bewältigen ist. Hat er nicht doch Recht?

    Biedenkopf: Wissen Sie, das sind alles sicherlich sehr wichtige Überlegungen, aber ich finde, man fängt so etwas nicht mit Zweifeln an, sondern mit der Absicht, es zu schaffen. Wenn wir uns die entsprechenden Termine setzen und dann auch den entsprechenden Druck machen, bin ich überzeugt, geht das. Denn so unklar sind die Dinge ja nicht. Sie haben selbst davon gesprochen, dass unsere Staatskanzlei in Dresden mit den anderen Staatskanzleien der ostdeutschen Länder seit einem Jahr die Vorbereitungen geschaffen hat. Wir haben die wichtigsten deutschen Institute, die sich mit solchen Fragen befassen, konjunkturpolitische, wirtschaftspolitische Institute, um Gutachten gebeten. Diese Gutachten liegen vor. Wir haben sie beraten, wir haben daraus Schlußfolgerungen gezogen. Das ganze Material liegt der Bundesregierung vor, den westdeutschen Ländern. Also es ist nicht so, dass wir bei null anfangen. Wir haben ziemlich genaue Vorstellungen davon, wie groß die gesamtdeutsche Aufgabe Aufbau Ost noch ist, in welchen Zeiträumen man sie abwickeln kann. Wenn man die Dinge jetzt vor sich herschiebt, dann schiebt man sie eigentlich eher deshalb vor sich her, weil man sie noch eine Weile kochen will. Aber ich finde, sie sind schon ziemlich gar.

    Durak: Woher nehmen Sie denn die Hoffnung, Herr Biedenkopf, dass die sogenannten Südländer, also Bayern, Baden-Württemberg und auch Hessen, was den Länderfinanzausgleich angeht mit allen anderen zu einer Einigung in dem angesprochenen Zeitrahmen kommen? Bisher deutete nichts darauf hin.

    Biedenkopf: Ach, das will ich nicht sagen. Dass in dem jetzigen Stadium die Länder, die den Prozeß vorm Bundesverfassungsgericht geführt haben, auch zu einer Neuordnung kommen wollen, ist doch selbstverständlich. Das würde ich genauso machen. Bei den bisherigen Ministerpräsidentengesprächen, die ja diese Dinge vorbereiten und dann auch zum Teil gestalten, ist von gerade den Ländern, die Sie erwähnt haben, nicht der geringste Zweifel gelassen worden, dass die Fortführung des Aufbau Ost eine Sonderaufgabe ist und dass man die nicht in die langfristige Neuordnung des Finanzausgleiches hineinziehen darf. Wenn wir jetzt den Finanzausgleich neu ordnen, ordnen wir ihn, so hoffe ich, für die nächsten 50 Jahre. Wir haben aber nicht die Absicht, noch 50 Jahre einen Solidarpakt zu haben. Das heißt, wir müssen die beiden Dinge schon trennen. Im übrigen ist am bisherigen Solidarpakt der Bund mit zwei Dritteln der Kosten beteiligt. Das heißt, es ist zu einem wesentlichen Teil eine Frage, wie Gesamtdeutschland durch den Bund den Aufbau Ost weiter finanzieren hilft. Die Länder sind demgegenüber sehr viel weniger beteiligt. Wenn wir das so machen, wie wir es bisher im Solidarpakt gemacht haben, dass wir den Aufbau Ost von dem normalen horizontalen Finanzausgleich lösen, gewissermaßen zwei verschiedene Abteilungen schaffen, normaler Finanzausgleich, den wir neu ordnen müssen, und den Solidarpakt, der ja zeitlich begrenzt ist, dann müßten wir in der Lage sein, das in den anderthalb Jahren zu bewältigen, die uns noch zur Verfügung stehen.

    Durak: Was wäre denn, Herr Biedenkopf, wenn es mit dem Länderfinanzausgleich doch nicht klappt?

    Biedenkopf: Warum soll ich das diskutieren? Ich bin angetreten, um das klappen zu lassen, wissen Sie. Da kennen Sie ja meine Antwort auch schon. Wenn es nicht klappt? Über die Brücke gehe ich, wenn ich hinkomme. Jetzt diskutiere ich aber nicht darüber, was ich machen würde, wenn es nicht klappt. Das ist die beste Methode sicherzustellen, dass es funktioniert.

    Durak: Wir werden das sehen. - Herr Biedenkopf, die Sonderförderung Ost ist ja keine Einbahnstraße. Einmal abgesehen davon, dass die Ostdeutschen ebenfalls ihren persönlichen Solidarbeitrag leisten, darf und muß von den neuen Bundesländern ein größtmöglicher Eigenbedarf erwartet werden. Was bieten denn die ostdeutschen Bundesländer den anderen Geberländern?

    Biedenkopf: Ich glaube, in Ihrer Frage kommt eine Vorstellung von Deutschland zum Ausdruck, die ich nicht teile. Der Aufbau Ost ist keine Sache der ostdeutschen Länder. Was die Menschen hier in den letzten zehn Jahren an Leistungen erbracht haben, hat kein Menschen von der westdeutschen Bevölkerung gefordert und will es auch nicht. Gesamtdeutschland ist hier der Verantwortliche. Das sind wir alle. Die Ostdeutschen haben in den letzten zehn Jahren mit Hilfe der starken Volkswirtschaft, die in Westdeutschland in 40 Jahren Freiheit wachsen konnte - sie wäre hier genauso, wenn es nicht die deutsche Teilung gegeben hätte; dann wäre Sachsen wahrscheinlich eine der führenden Industrieregionen in Deutschland -, enorme Leistungen erbracht. Das ist ihr Beitrag. Wenn dieser Beitrag so nicht gebracht würde, dann würde ganz Deutschland dadurch belastet. Denn wir werden ja kaum in der Lage sein, Deutschland wieder zu teilen und in Westdeutschland sich dann auf die gute alte Zeit zurückzuziehen. Das ist nicht die Zukunft unseres Landes. Die Zukunft unseres Landes ist die Fortsetzung der nationalen Solidarität, die ich immer in besonderer Weise bewundert habe und für die ich auch immer sehr dankbar war. Ich finde, in diesem Rahmen sollten wir das auch lassen. Das ist kein Ost-West-Geschäft, sondern das ist eine gesamtdeutsche Anstrengung, die sich jetzt vorrangig auf den Teil Deutschlands konzentriert und auch noch konzentrieren muß, dem 40 Jahre lang die Chance genommen worden ist, sich zu entwickeln wie im Westen.

    Durak: Was müßte denn den Solidarpakt Nummer 2 von seinem Vorläufer unterscheiden?

    Biedenkopf: Der wichtigste Unterschied wird sein, dass es weniger ist. Davon gehen wir jedenfalls aus. Wir richten uns auch darauf ein, was zum Beispiel bedeutet, wenn es so kommt, wie wir das als Möglichkeit erwarten, dass der sächsische Haushalt, der jetzt mehrere Jahre lang praktisch konstant war, und zwar nominal, also nicht mit Inflationsausgleich konstant war, möglicherweise drei Milliarden Mark zurückgeht oder zehn Prozent. Das bedeutet einen Rückgang der Mittel, die uns dann hier für die Bewältigung der Aufgaben in Sachsen zur Verfügung stehen, den sich kein westdeutsches Bundesland vorstellen könnte. Das ist alles kein einfacher Weg. Das zweite: Man wird sich stärker, als das bisher der Fall war und auch sein mußte, auf die investive Seite konzentrieren. Das heißt weiterer Ausbau der Infrastruktur, wo wir jetzt etwa die Hälfte des Defizits abgetragen haben. Die andere Hälfte müssen wir noch abtragen. Stärkere Investitionen auch in das, was wir die Wissensgesellschaft nennen, also Bildung, Hochschulen, Universitäten. Es geht aber auch um den weiteren Aufbau der eigenen Steuerkraft.

    Durak: Wie steht es denn um den sehr zielgerichteten Einsatz der dann neuen Mittel?

    Biedenkopf: Der Einsatz der Mittel ist heute auch sehr zielgerichtet.

    Durak: Der Vorwurf aus dem Westen ist aber häufig zu hören, dass im Osten alles verbraucht wird.

    Biedenkopf: Wissen Sie, diese Vorwürfe finde ich immer deshalb sehr merkwürdig, weil ich bisher noch kein westdeutsches Land gefunden habe was bereit ist, seinen eigenen Mitteleinsatz ebenso kontrollieren zu lassen. In Westdeutschland werden die Mittel auch nicht immer sehr zielgerichtet eingesetzt, wenn ich mir nur angucke, was in Nordrhein-Westfalen in den letzten Jahren passiert ist. Wenn uns so etwas passiert wäre, wie diese Fehlinvestitionen im Ruhrgebiet, dann würde man monatelang in Deutschland darüber diskutieren, dass die Ossis zu doof sind, Geld auszugeben. Ich finde, wir sollten uns von solchen zum Teil wirklich primitiven gegenseitigen Vorwürfen trennen. Natürlich haben wir auch Fehler gemacht beim Einsatz der Mittel. Das kann gar nicht anders sein. Wir sind aber der Meinung, dass der überwältigende Teil der Mittel vernünftig eingesetzt worden ist, und das Ergebnis ist in Sachsen jederzeit zu besichtigen.

    Durak: Die Ossis sind vor allem schlau genug, fremder Leute Geld auszugeben. Das ist ja die andere Seite des Vorwurfes.

    Biedenkopf: Ja darf ich mal fragen, welche fremden Leute das sein sollen? Wieso sind dann die Bayern schlau genug, Bundesmittel für Bayreuth, für Bamberg, für ihr Nationalmuseum oder für den Bau der Autobahnen in Bayern auszugeben? In Bayern ist der Bau der Autobahnen durch den Bund keine Transferleistung; in Sachsen ist es eine Transferleistung. In Bayern wird der Bundesgrenzschutz selbstverständlich dem Bund zugerechnet; in Sachsen wird der Bundesgrenzschutz als Transferleistung behandelt. Für das Kindergeld ist das genauso. Alles das sind Dinge, die uns in Deutschland auseinandertreiben und nicht zusammenführen.

    Durak: Herr Biedenkopf, ein kurzes Wort. Einnahmen aus den Mobilfunklizenzen vielleicht für den Solidarpakt 2 verwenden?

    Biedenkopf: Nein! Die Einnahmen aus der Versteigerung der Lizenzen müssen verwendet werden für den Abbau der Staatsschuld. Der Abbau der Staatsschuld in gleicher Höhe würde bedeuten, dass der Bund insoweit weniger Zinsen zahlen muß. Das was er an Zinszahlungen einspart, das sollte er dann für Investitionen ausgeben, aber nicht für laufende Kosten.

    Durak: Der Ministerpräsident von Sachsen, Kurt Biedenkopf. - Herzlichen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören!

    Link: Interview als RealAudio