Archiv


Solms: Kandidatur von Bisky überdenken

Bei der Wahl der Bundestags-Vizepräsidenten hat der PDS-Vorsitzende Bisky die erforderliche Mehrheit verfehlt. Der FDP-Politiker Hermann Otto Solms forderte die Linkspartei auf, eine erneute Kandidatur Biskys zu überdenken. Offensichtlich besitze dieser nicht das nötige Vertrauen im Parlament, sagte Solms, der selbst zum stellvertretenden Parlamentsvorsitzenden gewählt worden war.

Moderation: Jürgen Liminski |
    Jürgen Liminski: Es begann so friedlich gestern im neuen Bundestag und endete mit einer rätselhaften Blamage: Blamage für den Vorsitzenden der Linkspartei Bisky und rätselhaft, weil keiner weiß, wie die Linkspartei nun zu dem ihr zustehenden Vizepräsidenten des Bundestages kommen soll, denn die PDS-Nachfolgepartei will Bisky wieder aufstellen. In einem Interview mit meinem Kollegen Klaus Remme gestern Abend sagte die parlamentarische Geschäftsführerin der Linkspartei/PDS Dagmar Enkelmann:

    " Ich finde, das hat mit Selbstbewusstsein nicht allzu viel zu tun, wenn man sozusagen normale parlamentarische Gepflogenheiten nicht akzeptiert und vor allen Dingen wenn man eins nicht akzeptiert und das ist das, was vor allen Dingen so ärgerlich ist. Es geht ja nicht um Lothar Bisky. Es geht nicht um diese Fraktion. Es geht ja vor allen Dingen um die vier Millionen Wählerinnen und Wähler, die ihr Kreuz nun mal an der Stelle gemacht haben, wo Linkspartei stand. Das stört offenkundig einige und eine ziemliche Mehrheit in diesem Parlament, so dass sie nicht mal über den Schatten springen können, den Repräsentanten dieser Fraktion für das Präsidium zu wählen. Ich sage wir sind über den Schatten gesprungen. Wir haben alle anderen Kandidaten gewählt. Sie haben eine deutliche Mehrheit bekommen, auch mit Hilfe der Linken. Insofern ist es einfach nicht zu akzeptieren, dass man nicht wenigstens dieses parlamentarische Recht tatsächlich auch einräumt."

    Liminski: So weit die parlamentarische Geschäftsführerin der Linkspartei Dagmar Enkelmann und mitgehört hat der Vizepräsident des Bundestages, Hermann Otto Solms, der mit einem überwältigenden Ergebnis wieder gewählt worden ist. Da müssen auch etliche Stimmen von der linken Seite, also von SPD und Grünen, vermutlich auch von der PDS, dazugekommen sein. Guten Morgen Herr Solms!

    Hermann Otto Solms: Guten Morgen Herr Liminski!

    Liminski: Herr Solms, der Linkspartei steht ein Vizepräsident zu. Sie hat Fraktionsstatus. Sie haben eben den O-Ton gehört. Ist die personalpolitische Ächtung der Führungsperson einer demokratisch gewählten Partei das richtige Mittel der Auseinandersetzung, selbst wenn es sich um eine linksextreme Partei handelt?

    Solms: Nun ob es das richtige Mittel ist, will ich nicht bewerten, denn das ist Entscheidung der Abgeordneten des Bundestages, und zwar ganz individuell jedes einzelnen Abgeordneten. Ich verstehe die Geschäftsordnung so, dass jede Strömung, politische Strömung im Parlament mit Fraktionsstärke auch im Präsidium des Parlamentes vertreten sein soll - deswegen hat jede Fraktion einen Anspruch darauf, eine Vizepräsidenten zu stellen -, dass die Person aber, die gestellt wird, das persönliche Vertrauen auch der Mehrheit des Bundestages genießen muss. Offenkundig haben nicht ausreichende Abgeordnetenzahlen zur Verfügung gestanden, um Herrn Bisky, der ja Parteivorsitzender der PDS lange Zeit war und ist, das Vertrauen zu geben.

    Liminski: Nun hat aber Gysi angekündigt, der Fraktionschef, Lafontaine übrigens auch, die Linkspartei werde Bisky wieder aufstellen. Man habe Zeit. Der interne Solidarisierungseffekt ist auch schon voll aufgegangen. Bisky ist jetzt sozusagen der Held in den eigenen Reihen. Er wurde an der Front im Reichstag zusammengeschossen, wird, wie er es sieht, politisch tot aufs Pferd gesetzt und wieder in die Schlacht geschickt. Wird dadurch die Linkspartei nicht auch für andere attraktiv? Viele Deutsche sind ja doch sehr anfällig für solche psychologischen Effekte und Regungen.

    Solms: Nun das muss sich die Linkspartei genau überlegen, ob das für sie sinnvoll ist und gut ist. Es geht ja nicht um eine Ächtung der Partei, obwohl sie nicht die Zustimmung der Mehrheit des Volkes hat. Es wird aber völlig respektiert, dass diese Partei einen Vizepräsidenten stellt. Der herausgehobene Repräsentanten der PDS der hat eben das Vertrauen der Mehrheit der Abgeordneten nicht gewonnen und das muss die Linkspartei auch respektieren.

    Liminski: Werden Sie denn Bisky wählen?

    Solms: Ich habe ihn gewählt und ich respektiere die Entscheidung jeder Fraktion. Deswegen wähle ich ihn. Aber darauf kommt es nicht an. Ich bin ja nur einer von 614.

    Liminski: Ist die Nichtwahl Biskys auch ein Signal für die Eigenwilligkeit des Parlaments?

    Solms: Ich halte es für gut, nicht gerade bei diesem Beispiel, aber wenn das Parlament mehr Selbstbewusstsein hat. Ich habe es bedauert, dass in der letzten Legislaturperiode die rot-grüne Mehrheit die Vorschläge der Regierung immer abgenickt hat sozusagen und nicht ein eigenständiges Selbstbewusstsein gewonnen hat. Ich hoffe, dass jetzt bei der großen Koalition die große Mehrheit, Zwei-Drittel-Mehrheit, der Regierungsfraktionen mehr Selbstbewusstsein zeigt und nicht nur die Regierung trägt, sondern sie auch kontrolliert und eigenständigen, auch kritischen Vorschlägen in ihren eigenen Reihen Chancen gibt.

    Liminski: Der neue Parlamentspräsident Lammert hat schon deutlich gemacht, wir sind nicht das Vollzugsorgan der Regierung. Ist das nur politische Muskelspielerei, oder glauben Sie tatsächlich, dass die Fraktionen sich zu Gegenkraftzentren zur Regierung aufschwingen können?

    Solms: Das ist ja das schwierige an unserer Verfassung, dass die Mehrheitsfraktionen die Regierung stellen und tragen, dass das Parlament aber andererseits Auftraggeber und Kontrolleur der Regierung sein muss. In diesem Spannungsfeld haben sich gerade die Mehrheitsfraktionen zu bewegen. Die Oppositionsfraktionen haben die Aufgabe, natürlich in erster Linie die Regierung zu kontrollieren, kritisch Fehler herauszuarbeiten und Alternativen vorzustellen, aber auch die Regierungsfraktionen haben diese Kontrollfunktionen und nicht nur die Aufgabe, das abzunicken, was die Regierung vorschlägt. Gerade im Rahmen einer großen Koalition kommt den Regierungsfraktionen dabei eine sehr viel größere Verantwortung zu.

    Liminski: Paradoxerweise könnte, wenn ich das recht verstehe, also das Parlament trotz der großen Mehrheit für die Regierung zu einem Hort der Reformideen und Diskussionen werden. Wird es ein Abnickerparlament oder ein Impulsgeber, ein Ort politischer Gestaltung auch?

    Solms: Das wäre schön, wenn das so wäre, wenn das Parlament wieder mehr Aufmerksamkeit und Respekt auf sich ziehen könnte und nicht der Eindruck in der Öffentlichkeit wieder verstärkt wird, dass die eigentlichen Diskussionen im Fernsehen stattfinden. Das wird aber auch davon abhängen, nicht nur von den Abgeordneten im Parlament, sondern auch von den Regierungsmitgliedern, dass sie ihre Vorschläge und Vorstellungen zuerst im Parlament und seinen Gremien vortragen, bevor sie in die Öffentlichkeit gehen, damit es klar wird, wo die eigentlichen politischen Entscheidungen und wo die Gesetzgebung stattfindet.

    Liminski: Die kleine FDP, Ihre Partei, hat angekündigt, die große Koalition vor sich hertreiben zu wollen. Die Grünen werden ihr, befreit von regierungsinternen Rücksichtnahmen, wahrscheinlich nur wenig nachstehen. Also noch einmal: verlagern sich die Reformgewichte ins Parlament?

    Solms: Ja, das ist meine Hoffnung und das ist natürlich unser Bestreben, sage ich als FDP-Abgeordneter, als größte Oppositionspartei. Wir wollen kritisch mit dieser großen Mehrheit umgehen und auch in der Öffentlichkeit zeigen, dass kleine Parteien die Oppositionsarbeit natürlich genauso effektiv vollführen können, wie das große Parteien tun.

    Liminski: Zum ersten Mal haben wir fünf Parteien im Parlament. Damit ergeben sich mehrere Optionen für Koalition und Regierungswechsel. Wird das Parlament labiler, ist vielleicht sogar ein Hauch von Weimar zu spüren, oder schützt uns die Verfassung davor?

    Solms: Nein! Hauch von Weimar, diese Gefahr sehe ich überhaupt nicht, denn natürlich müssen sich die großen Fraktionen klar werden, dass in einer großen Koalition nicht nur Hoffnungen und Chancen liegen, sondern dass darin Gefahren liegen, nämlich insbesondere die Gefahr, dass eine so große Mehrheit überheblich mit der Macht umgeht und die kritischen Punkte glaubt übergehen zu können. Das könnte dazu führen, dass die Aufsplitterung des Parlamentes noch verstärkt wird. Das ist aber alleine eine Verantwortung von CDU/CSU und SPD.

    Liminski: Bei der ersten großen Koalition '66 bis '69 entstand eine Opposition außerhalb des Parlaments, die Apo. Fürchten Sie eine solche Gefahr auch jetzt?

    Solms: Ich sehe jedenfalls diese Entwicklung nicht, auch gerade deshalb nicht, weil ja die unterschiedlichen Strömungen im Parlament vorhanden sind. Die Apo gab es ja damals im Drei-Parteien-System bei einer großen Koalition von CDU und SPD und einer sehr kleinen Opposition der FDP alleine. Heute haben wir ja die Strömung der Linkspartei am extremen linken Flügel und wir haben die Opposition der Grünen, die allerdings von ihren Grundausrichtungen aus verschiedenen Strömungen zusammengesetzt sind und relativ heterogen sind.

    Liminski: Herr Solms, Sie gelten als Verfechter des parlamentarischen Gedankens "One man, one vote" und wollen das Wahlrecht deshalb auf die Kinder ausdehnen, treuhänderisch wahrgenommen von den Eltern. Aber hat dieses Familienwahlrecht noch eine Chance? Die neue Familienministerin ist dagegen; die bisherige war wenigstens privat dafür.

    Solms: Dieses hatte ja auch in der letzten Legislaturperiode realistischerweise keine Chance. Wir bräuchten ja eine Zwei-Drittel-Mehrheit, um das durchzusetzen. Mir geht es aber in erster Linie nicht darum, das sofort umzusetzen - ich weiß, dass es dafür jetzt keine Mehrheiten gibt -, sondern diese Diskussion zu führen, und zwar breit zu führen in der gesamten Gesellschaft und deutlich zu machen, dass die Chancen der jungen Generation, eben der Kinder und Enkel, in der Politik nicht ausreichend wahrgenommen werden und dass das auch daran liegt, dass die Stimmen der jungen Generation, nämlich der Jugendlichen bis zu 18 Jahren, unter den Tisch gefallen sind, weil ihnen erst ab 18 Jahren das Wahlrecht zugestanden wird. 20 Prozent der Stimmen, die ja eigentlich jedem Staatsbürger zustehen, entfallen, und das sind gerade die Stimmen für die junge Generation und für die Familien. Und wenn es diese Stimmen gäbe, dann würde das Parlament sich auch stärker auf die Zukunftschancen der jungen Generation konzentrieren.

    Liminski: Wird es einen neuen fraktionsübergreifenden Entwurf, Gesetzentwurf geben für ein Familienwahlrecht?

    Solms: Ich werde mich persönlich jedenfalls dafür einsetzen. Wir müssen schauen, ob es im neuen Parlament dafür eine tragfähige Basis in allen Fraktionen gibt.

    Liminski: Neues Parlament, neue Sitten, neue Schwerpunkte. Das war Hermann Otto Solms, Vizepräsident des deutschen Bundestages. Besten Dank für das Gespräch, Herr Solms.

    Solms: Vielen Dank Herr Liminski.