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Solti Dirigentenwettbewerb
Neue Pultstars gesucht

300 Nachwuchs-Talente hatten sich bei dem Dirigentenwettbewerb Sir Georg Solti beworben. Ins Finale schafften es Wilson Ng, Valentin Uryupin und Farkhad Khudyev: drei charismatische Dirigenten, drei Stile und am Ende ein erster Platz.

Von Ursula Böhmer | 13.02.2017
    Ennio Morricone hält den Taktstock, neben ihm sitzt ein Cellist.
    Charisma haben alle Finalisten des Wettbewerbs – Schwächen allerdings auch. (dpa/Britta Pedersen)
    Er zählt mittlerweile zu den wichtigsten Dirigentenwettbewerben in der Welt: Der Internationale Wettbewerb Sir Georg Solti in Frankfurt. Knapp 300 Nachwuchs-Dirigenten hatten sich für die 8. Ausgabe des buchstäblichen Schlagabtauschs beworben - 22 wurden nach Frankfurt eingeladen. Drei kamen schließlich ins Finale. Gestern Vormittag wurde in der Alten Oper darüber entschieden, wer mit welchen Preisen nach Hause gehen durfte. Ursula Böhmer war dabei.
    Überraschungskandidat Wilson Ng
    Weit ausgebreitete Arme, ein offen-fröhliches Gesicht: "Hallo, hier bin ich" scheint Wilson Ng zu sagen, beziehungsweise zu schlagen – zu Beginn des Stückes, das er im Vorfeld zugelost bekam: Hector Berlioz "Konzertouvertüre Le Carneval Romain". Der Chinese mit ungewöhnlichem Namen Wilson Ng ist ein Überraschungskandidat beim Internationalen Dirigentenwettbewerb Sir Georg Solti in Frankfurt: Denn eigentlich ist er Flötist – und hat erst vor drei Jahren überhaupt mit dem Dirigieren angefangen. In Meisterkursen und in Proben mit einem aus Freunden zusammengetrommelten Orchester hat Ng das Töne angeben gelernt: Learning by doing:
    "Schlagtechnik übe ich eigentlich nicht. Das Meiste entnehme ich der Partitur! Ich schaue rein, stelle mir den Klang vor – und der Zauber besteht darin, wie man den Klang über die eigene Vorstellungskraft in den Körper überträgt! Ich glaube, Dirigieren kann man nicht lernen – man muss es einfach machen! Das ist wie Schokolade essen: Man muss erst mal rausfinden, wie sie schmeckt – dann kann man alles machen!"
    Die Kür: La Valse von Maurice Ravel
    Alles machen kann auch der Ukrainer Valentin Uryupin. Auch er hat zunächst ein Blasinstrument studiert – die Klarinette. Das Dirigierhandwerk hat er dann unter anderem bei Kurt Masur gelernt. Im Final-Konzert in der Alten Oper Frankfurt setzt Uryupin erst den Besen von Dukas "Zauberlehrling" in präzise Bewegungen. Dann zeigt er in dem Stück sein Können, in dem sich nacheinander auch seine beiden Konkurrenten beweisen müssen: Ravels "La Valse".
    "In Dukas Stück muss man sich eher zurücknehmen – und einfach nur die Geschichte des Zauberlehrlings erzählen. Das ist kein tragisches Werk. Ravel hingegen ist ein sehr ernsthaftes Stück: Der Dirigent stirbt hier förmlich auf der Bühne!"
    Drei Dirigenten – drei Stile
    Wie unterschiedlich die drei Finalisten des Solti-Dirigentenwettbewerbs "ticken" und taktieren, zeigt sich dann an dieser Stelle in Ravels "La Valse". Valentin Uryupin arbeitet hier vor allem das Geheimnisvolle, Atmosphärische heraus. Weich, duftig klingt das Orchester an dieser Stelle unter Wilson Ng, der spürbar insgesamt einen eher kompakt-beschwingten Ravel im Sinn hat. Der Dritte im Dirigentenbunde, Farkhad Khudyev aus Turkmenistan, lässt er es wiederum gern langsamer angehen – tendiert dazu, Tempi dann auch mal zu verschleppen. Was will Farkhad Khudyev in "La Valse" erzählen?
    "Für mich geht es hier um einen Ball, auf dem sich Menschen unterschiedlicher Gesellschaftsschichten und Generationen begegnen. Man kann sich die herumfliegenden Bänder und Blumen förmlich vorstellen! Ich sag dem Orchester immer: Ihr Klang sollte gut riechen! Oder auch mal schlecht riechen – die Unterschiede sind hier sehr wichtig! Denn die Ball-Gesellschaft wird immer wilder – bis hin zu einem Punkt, an dem es keine Regeln mehr gibt! Alle sind am Ende total verrückt und betrunken – was dem Stück die unterschiedlichsten Charaktere verleiht!"
    Körpersprache Dirigieren
    Weit geöffnete Arme oder eher fest im Brustbereich? Wippende Beine oder eher bodenverhaftet? Grazile Drehbewegungen im Handgelenk oder zielstrebig geradeaus? Erlaubt ist, was gefällt – Hauptsache, die unterschiedlichen Körpersprachen der Finalisten werden von den Orchestermusikern deutlich verstanden, finden Ingo de Haas und Ulrich Edelmann. Die Konzertmeister des Frankfurter Opernorchesters und des hr-Sinfonieorchesters haben die drei Runden des Wettbewerbs im Wechsel in beiden Rollen erlebt: als Orchestermusiker und als Juroren.
    "Es hängt ganz von der Musik ab, dass er vor allem die Musik zeigen kann mit seinen Händen. Dass es präzise ist, aber dann, wenn eine Musik keine Super-Präzision verlangt, auch vielleicht mal weich ist, dass also die Variabilität im Schlag vorhanden ist!"
    "Was für mich speziell noch eine Rolle spielt, ist die Ausstrahlung eines Dirigenten, weil ich denke, das, was ein Publikum begeistert, ist mehr als nur das Objektive, was man so beurteilen kann. Sondern es ist auch so was - man sagt vielleicht Charisma - oder etwas Mystisches, das ein Dirigent haben kann, das einen dann wirklich fesseln kann manchmal. Das kann man oft gar nicht richtig analysieren, woran das liegt. Das ist eine gewisse Ausstrahlung, die da ist oder nicht da ist!"
    Charisma haben alle Finalisten des Wettbewerbs – Schwächen allerdings auch: Matthias Roscher, Kontrafagottist des hr-Sinfonieorchesters, kann in der Konzertpause daher keinen Favoriten ausmachen.
    "Idealerweise müsste man sich aus allen dreien einen backen können, aber das ist natürlich nicht möglich. Der eine ist ein bisschen temperamentvoller, der andere ein bisschen melancholischer. Für mich kommt keiner für den 1. Platz in Frage, das kann ich schon mal sagen!"
    Preisgeld und ein Taktstock von Sir Georg Solti
    Die siebenköpfige Jury aus teils internationalen Gästen sieht das anders. Darunter Lady Valery Solti, die Witwe des Wettbewerbs-Namensträgers Sir Georg Solti. Sie darf heute die Glücksfee sein.
    "Ich fange an mit dem 3. Preis: Er geht an Farkhad Khudyev!"
    Der Chinese Wilson Ng bekommt den 2. Preis: 10.000 Euro.
    "And the first prize goes to Valentin Uryupin!"
    Mit einem Preisgeld von 15.000 Euro und dem Publikumspreis – einem Original-Taktstock von Sir Georg Solti - darf Valentin Uryupin am Ende nach Hause gehen. Gewonnen hat er zudem Gastdirigate beim hr-Sinfonieorchester und beim Frankfurter Opernorchester. Ob das der Sprung in die internationale Dirigentenkarriere ist? Das wird sich zeigen.