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Sonnenstürme demolieren die Ozonschicht

Geophysik. - Episodisch kommt es auf der Sonne zu gewaltigen Gas-Ausbrüchen. Unser Zentralgestirn schickt dann gewaltige Teilchenschauer ins All, bestehend aus extrem energiereichen, positiv geladenen Elementarteilchen, den Protonen. Trifft solcher Protonenhagel auf das Magnetfeld der Erde, dann gehen schon mal Satelliten verloren, weil ihre Bordelektronik regelrecht zersiebt wird, oder die Stromversorgung bricht zusammen wie Ende der 80er Jahre in Kanada. Ein Messprogramm auf dem europäischen Umweltsatelliten ENVISAT zeigt nun: Die Sonnenstürme nagen auch an der Ozonschicht, die uns eigentlich vor der Sonne und ihrer schädlichen UV-Strahlung schützen soll.

Von Volker Mrasek | 03.11.2004
    Es war genau vor einem Jahr, in der letzten Oktober- und ersten November-Woche. Gleich mehrfach hintereinander war auf der Sonne die Hölle los. Es kam zu gewaltigen Gasausbrüchen und jedes Mal raste eine schier unendliche Zahl energiereicher Protonen auf die Erde zu.

    Für die finnische Weltraumphysikerin Annika Seppälä war das der Moment, um ihre Augen auf die Erdatmosphäre zu richten. Oder besser gesagt: Die Augen des Messinstruments GOMOS auf dem europäischen Umweltsatelliten ENVISAT:

    Wir haben verfolgt, was mit Ozon und anderen Spurengasen in höheren Atmosphärenschichten während dieser Ereignisse geschieht. Und wir mussten feststellen, dass die Sonnenstürme zu einer starken Ozonzerstörung über der Arktis führten. Es ist das erste Mal, dass so etwas während der Polarnacht beobachtet werden konnte.

    Das klappt erst, seit das GOMOS-Instrument im All ist. Es misst die Konzentration verschiedener Spurengase in der Lufthülle der Erde, braucht dazu aber kein Sonnenlicht. GOMOS genügt die schwache Strahlung ferner Sterne. Man spricht auch von stellaren Okkultationsmessungen. Sie sind sogar in der schwärzesten Polarnacht möglich.

    Für Seppäläs Arbeitsgruppe am Finnischen Meteorologischen Institut in Helsinki kam bei der Auswertung der Satelliten-Daten Erstaunliches ans Licht:

    Unmittelbar nach dem Ereignis hatte das Ozon um rund 40 Prozent abgenommen. Mehrere Wochen später waren es dann sogar 60 Prozent, und zwar in 40 bis 50 Kilometer Höhe. Das ist schon ein großes Ausmaß an Zerstörung.

    Panik muss deshalb aber nicht aufkommen. Die Ozonschicht, die die Erde umspannt und uns vor der schädlichen UV-Strahlung der Sonne schützt, ist im Höhenbereich von 15 bis 25 Kilometern am dichtesten. So tief dringen die Sonnen-Partikel am Ende doch nicht in die Erdatmosphäre ein. Die solaren Protonen nagen nur am oberen Rand der Ozonschicht. Doch immerhin: Ihr Zerstörungswerk hinterlässt durchaus sichtbare Spuren:

    Auf das Gesamt-Ozon in der Atmosphäre bezogen ist der Verlust vielleicht nicht ganz so groß. Aber wir denken schon, es sind zehn bis 20 Prozent.

    Das UV-Schutzmolekül wird nicht direkt zerstört, sondern erst in einem zweiten Schritt. Energiereich, wie sie sind, spalten die Sonnen-Protonen zunächst atmosphärischen Stickstoff. In der Folge entstehen jede Menge Stickoxide. Die aber sind imstande, Ozon abzubauen, und zwar in katalytischen Reaktionszyklen, das heißt, ohne selbst dabei aufgebraucht zu werden. Das erklärt die hohen Ozonverluste 40 bis 50 Kilometer über dem Erdboden.

    Kritisch könnten Sonnenstürme im Frühjahr werden, wenn die Polarnacht endet. Das ist die Zeit, in der die Ozonschicht über der Arktis alljährlich bröckelt. Dann bauen Chlor und Brom aus FCKW und Feuerlöschern atmosphärisches Ozon chemisch ab. Käme es in diesem Moment auch noch zu Gasausbrüchen auf der Sonne, dann würden die solaren Teilchenschauer zusätzliche Ozon-Verluste auslösen.

    Vielleicht geht die Wirkung der Sonnenstürme sogar noch darüber hinaus. Annika Seppälä und ihre Kollegen in Helsinki haben da so einen Verdacht:

    Wenn man die Auswirkung eines Sonnensturms längere Zeit verfolgt, über Monate, dann ist vorstellbar, dass die Ozon zerstörenden Stickoxide in der Atmosphäre absinken. Man nennt diesen Prozess "Sedimentation". Auf diese Weise könnten sie am Ende doch dorthin gelangen, wo sich das meiste Ozon befindet, in der zentralen Ozonschicht. Das hätte dann ernstere Folgen.

    Nun warten die finnischen Forscher auf neuerliche Sonnenstürme im arktischen Winter. Kommen sie wirklich, dann müssen sich die Ozon fressenden Stickoxide auf eine Dauerbeobachtung einstellen.