Remme: In welchen Fragen ist man sich gestern Abend einig geworden?
Simonis: Eigentlich in vielen. Zunächst einmal haben sich die Ministerpräsidenten mit dem Bundeskanzler darauf geeinigt, in der Entfernungspauschale ein Stückchen weiter zu gehen. Sie ist gestaffelt, und damit ist ein großer Teil unserer Einwände auch bei Seite, weil bei einer gleichmäßigen ungestaffelten Pauschale hätten diejenigen, die zwei Meter zu Fuß gehen, genauso viel bekommen wie die, die mehrere Kilometer fahren müssen. Das schien uns nicht ganz gerecht zu sein. Da sind wir sozusagen aufeinander zugegangen. Die Länder haben ein bisschen nachgegeben. Nun erwarten wir, dass der Bund ein bisschen nachgibt und uns entgegenkommt bei der Frage der Beseitigungskosten von schon vorhandenem Tiermehl beziehungsweise ein Konzept zu erarbeiten, wie wir in der Zukunft damit umgehen wollen, weil ja, wenn Tiermehl nicht mehr verfüttert werden darf, es aber dennoch hergestellt werden muss, weil es ja Tierkadaver gibt, die Frage ist, was machen wir eigentlich damit. Das geht ja immer weiter; das hört ja nicht nach der ersten Aktion auf.
Remme: Bleiben wir zunächst einmal bei der Entfernungspauschale. Die wird jetzt ja billiger. Die Länder wollen sich also beteiligen. In welchem Ausmaß?
Simonis: In dem in der Landesverfassung vorgesehenen üblichen Rahmen. Das heißt ungefähr hälftig.
Remme: Wie viel ist sie denn durch die neue Staffelung billiger geworden?
Simonis: Das hat gestern keiner ausgerechnet. Statt der über zwei Milliarden rutschen wir jetzt jeweils nach unten, wie weit die Staffel gilt, also um etwa 600 Millionen. Wir kommen unter zwei Milliarden.
Remme: Im Gespräch war ja auch mal eine mögliche Befristung dieser Pauschale. Ist diese vom Tisch?
Simonis: Sie ist meiner Meinung nach mehr oder weniger vom Tisch. Wir haben uns gestern nicht darüber unterhalten, weil wir ja nun auch warten müssen, was die anderen sagen. Ich glaube nicht, wenn das einmal drin steht, was grundsätzlich auch im Koalitionsvertrag steht, dass die dann später mal wieder herausgenommen werden kann.
Remme: Sie sagen, hier werden Ungerechtigkeiten vermieden, die programmiert waren. Viele werden sagen, diese Staffelung ist eine Einsicht in die Tatsache, dass die ursprünglich vorgesehene Regelung nicht zu finanzieren war.
Simonis: Sie war nicht nur nicht zu finanzieren - das geben wir ja zu; das war unser Problem, weil es so teuer war -, sondern wenn sie in einer beliebigen Stadt wie Berlin oder Hamburg ein Monatsticket bei Bus oder Bahn haben, konnten sie bei der alten Regelung dennoch steuerliche Kosten geltend machen, die ihnen nie entstanden sind, weil das Ticket eindeutig 140, 150 oder 180 Mark gekostet hat, aber sie konnten bis zu 18.000 Mark im Jahr beim Finanzamt geltend machen. Das ist nicht in Ordnung gewesen, und das haben wir jetzt versucht, durch die Staffelung aufzufangen.
Remme: Muss sich Gerhard Schröder hier den Vorwurf gefallen lassen, unter dem Eindruck wütender Proteste gegen Benzinpreise von über zwei Mark Versprechen abzugeben und sie dann nicht einzuhalten?
Simonis: Nein, aber wollen wir mal so sagen: Richtig war, unter dem wütenden Protest der Leute auf den Heizölkostenvorschlag zu kommen, weil es ja wirklich Leute gibt, die auf dem kalten Fuß erwischt worden sind. Wer ein kleines Einkommen hat und eine Familie zu ernähren hat, für den ist das fast unbezahlbar geworden. Das habe ich verstanden. Bei der Entfernungspauschale nehme ich an hat ihm im Kopf gespukt, dass das sowieso im Koalitionsvertrag drin steht, und da war dort eine Möglichkeit. Aber so wie es in seiner Rede gesagt worden ist, hat sich natürlich jeder etwas anderes darunter vorgestellt.
Remme: Ja, zumal die 80 Pfennig im Raume standen. Das heißt er hat den Leuten etwas versprochen, was er jetzt nicht einhält?
Simonis: Nein. Ich glaube nicht, dass man das so nicht sagen kann. Wenn man im ersten Moment sagt, alle kriegen 80 Pfennig, und dann stellt man fest, dass die, die es wirklich brauchen, weil sie diese langen Strecken jeden Tag pendeln, genauso viel bekommen wie der, der nebenan im Ort wohnt oder in der Großstadt bleibt und sehr viel geringere Kosten hat. Dass das jemand nicht als gerecht empfinden kann, verstehe ich. Das ist höchstwahrscheinlich erst als sie sich über die Papiere gebeugt haben allen klar geworden.
Remme: Kommen wir auf das zweite Thema der gestrigen Runde. Der Kampf gegen BSE, das Tiermehlverbot kostet Geld. Wissen Sie schon wie viel?
Simonis: Nein, null Ahnung. Muss ich Ihnen ehrlich sagen. Ich kann es Ihnen für Schleswig-Holstein sagen, weil ich dort die Mengen kenne. Ich kann es aber beispielsweise schon nicht mehr für Bayern sagen. Da müssen wir uns wirklich mal zusammensetzen, die Finanz- und Landwirtschaftsminister, und die Mengen erst mal zusammenrechnen. Es bleiben ja einige Mengen auf den Höfen, die jetzt schon verteilt sind. Die kommen gar nicht mehr wieder zurück. Die holen wir uns auch gar nicht zurück. Da haben wir gesagt, damit die Tiere nicht verhungern, weil so schnell auch kein Ersatz vorhanden ist, dies darf dort noch verfüttert werden, wo es gesetzlich auch bis jetzt verfüttert werden darf.
Remme: Dann sagen Sie schnell für Schleswig-Holstein die Zahlen.
Simonis: Bei uns in Schleswig-Holstein haben wir gesagt, diese erste Aktion kostet uns ungefähr 45 Millionen Mark. Das beinhaltet die Schnellbeprobung, die dabei ist, die Lagerhaltung, die wir aufmachen müssen für die Mittel, die wir aus den Firmen beziehungsweise aus den Verteilern, also dem Landhandel herausholen, und die weitere Verbrennung von Tierkadavern. Das ist einfach ein irrsinniger Preis, der in diesem Jahr auf uns zukommt, und im nächsten Jahr wird es nicht viel billiger.
Remme: Was halten Sie von den angestrebten Maßnahmen, die jetzt umgesetzt werden, um das Vertrauen der Verbraucher zurückzugewinnen, zum Beispiel diese Schnelltests? Denn in der Mehrheit gilt doch: wir testen die älteren Tiere und sollen die jüngeren ungetestet essen.
Simonis: Die können sie testen oder nicht testen; sie kriegen nichts heraus. Die Tiere, die jünger als 30 Monate alt sind, können krank sein und sie können trotzdem keinen Befund feststellen. Der Test ist nicht darauf ansprechend. Erst ab dem 30. Lebensmonat eines solchen Tieres wissen wir das. Das bedeutet, wir können den Menschen keine hundertprozentige Garantie geben, außer dass wir sagen, haltet euch an bestimmte Maßregeln, zum Beispiel kein Hirn essen und so weiter, keine Innereien. Dann kann man ihnen sagen, geht zu den Fleischern, die ihr kennt, und lasst euch genau sagen, woher das Fleisch kommt. Im übrigen könnte eine Spontanerkrankung auch bei einem biologisch aufgezogenen Rind passieren. Ich glaube, dieses nachträgliche Überlegen, woran hätte es liegen können, das bringt uns alles gar nichts. Wir werden uns Gedanken machen müssen - und ich glaube, das liegt wirklich europaweit auf der Hand -, wie wir Tierhaltung in der Zukunft so gestalten wollen, dass die Gefahr einer Ansteckung oder einer Erkrankung der Tiere gering ist. Das heißt, wir müssten mal ein bisschen nach Amerika oder Argentinien gucken, wo die Tiere auf den Weiden stehen oder nicht mit Sachen gefüttert werden, die in die Futtermittelkette nicht hineingehören.
Remme: Mit Nachhaken hat das ja eigentlich nur bedingt zu tun. Wir müssen etwas mehr über dieses Problem herausfinden. Wenn ich mir zum Beispiel anschaue, dass der Gründer der Firma Prionix Bruno Ösch fordert, dringend umfassende BSE-Untersuchungen an Schweinen durchzuführen. Er sagt, falls BSE in Schweinen existiert, hat das noch keiner gemerkt, weil noch keiner nachgeschaut hat. Das kann doch nicht sein?
Simonis: Ich staune sowieso über all die Vorschläge, die wir gemacht kriegen. In dem Hof, wo das Tier gefunden worden ist, nehmen wir Bodenproben, weil ein Professor gesagt hat, das Zeug sitzt im Boden. Also nehmen wir Bodenproben. Neben aller berechtigten Sorge, die die Menschen haben - und das finde ich auch vollkommen in Ordnung; das haben wir an den Hotlines gemerkt, dass die vor allem wissen wollen, was können wir unseren Kindern geben, welche Nahrungsmittel sollten wir möglichst erst mal nicht anfassen -, ist auch ein bisschen Hysterie. Die Forschung, die bis jetzt relativ wenig gesagt hat - ich erinnere mich nicht daran, dass diese Diskussion vorher stattgefunden hat - kommt alle fünf Minuten mit einem neuen Vorschlag, und wir laufen hinter all diesen Vorschlägen her. Das kann so nicht gehen. Da bin ich mehr dafür, dass europaweit ein Forschungsprogramm aufgelegt wird, die ganzen Probleme auf den Tisch gelegt werden. Ich bin auch nicht dagegen, dass Schweine beprobt werden. Das macht den Braten auch nicht mehr fett. Ich bin jetzt aber dagegen, dass wir den Verbraucher derartig verunsichern einschließlich uns selber, dass man gar nichts mehr essen mag. Denn es gibt auch eine These die sagt, es geht über den Boden hinein in die Pflanzen; also nehmen wir es auch über die Pflanzen wieder auf. Ich kann das weder widerlegen, noch kann ich sagen, dass das stimmt.
Remme: Hysterie hat man auch solchen Wissenschaftlern vorgeworfen, die man seit einer Woche sehr, sehr ernst nimmt?
Simonis: Ja, ich sage auch gar nicht, dass ich denen diese Hysterie vorwerfe. Ich habe aber auch von vielen Sachen, die jetzt auf den Tisch kommen, vorher noch nie gehört. Das kann mein Fehler sein, aber ich habe nicht gehört, dass das richtig seriös und offen diskutiert worden ist.
Remme: Frau Simonis, letzte Frage: Wie können wir verhindern, dass diese BSE-Angst ein Strohfeuer bleibt, das ohne Konsequenzen bleibt in Bezug zum Beispiel auf den Umbau hin zu einer nachhaltigen Landwirtschaft?
Simonis: Das ist die Frage an die Politik. Da kann ich mir lebhaft vorstellen, dass es durchaus einige gibt die sagen, das legt sich alles wieder. Wenn das Rind erst mal weg ist und sonst kein weiterer Befund in dieser Herde mehr drin ist, dann war das ein Einzelfall. Dann hören wir auf, uns große Sorgen zu machen. Jetzt muss die eigentliche Arbeit ansetzen, nämlich zu überlegen, ob das, worin Europa in der Landwirtschaft gesteuert ist, wirklich auf Dauer zu verantworten ist. Ich glaube, da gibt es sehr viele besonnene Menschen, die nein sagen. Nun muss die Politik Ersatzmodelle anbieten, wie man heute unsere Ernährung sicherstellen kann. Wir essen viel zu viel Fleisch. Das weis jeder in der Zwischenzeit. Wir werden unsere Nahrungsgewohnheiten, aber auch unsere Verbrauchergewohnheiten umstellen müssen.
Remme: Vielen Dank! - Das war Heide Simonis, die SPD-Ministerpräsidentin von Schleswig-Holstein.
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