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"Sorge um Menschen"

Der designierte SPD-Spitzenkandidat Michael Naumann will die soziale Frage in den Mittelpunkt des Hamburger Bürgerschaftswahlkampfs stellen. "Die soziale Schere zwischen Arm und Reich und auch zwischen dem Mittelstand und der Oberschicht öffnet sich zusehends und mit großer Geschwindigkeit", sagte er. Das mache ihm Sorgen.

Moderation: Jochen Spengler |
    Jochen Spengler: Die Hoffnung der hanseatischen Sozialdemokraten hat seit Mittwoch einen Namen, und der lautet: Michael Naumann. 65 Jahre alt, unter Gerhard Schröder zwei Jahre lang Kulturstaatsminister, zuvor Journalist, Professor, Verleger, zuletzt Mitherausgeber der Wochenzeitung "Die Zeit" und jetzt eben Spitzenkandidat für die Bürgerschaftswahl 2008, Gegenkandidat des christdemokratischen Bürgermeisters Ole van Beust, und, so sagt der SPD-Bezirkschef Johannes Kahrs, ein, Zitat, "sozialdemokratisches Rundum-Glücklich-Paket". Guten Morgen, Michael Naumann!

    Michael Naumann: Guten Morgen, Herr Spengler! Als Paket habe ich mich noch nie gefühlt, aber warum nicht?

    Spengler: Warum nicht? Was hat Sie so gelangweilt an dem Herausgeberjob bei der "Zeit", dass es Sie nun in die Niederungen einer zerstrittenen Partei treibt?

    Naumann: Also gelangweilt hat mich natürlich bei der "Zeit" überhaupt nichts. Das ist überhaupt kein langweiliges Blatt, und die Redaktion war ganz fabelhaft und ist ganz fabelhaft. Nein, nein, die Herausforderung, die nach Berlin größte Metropole Deutschlands als Bürgermeister zu führen, ist sicherlich für jeden Journalisten und Ex-Politiker ganz groß und durchaus auch ehrenvoll. Und darüber hinaus lebe ich seit 1971 hauptsächlich in Hamburg, da sind auch meine Kinder groß gezogen worden, dort liegt mein kleines Segelboot. Aber das sind keine wirklichen Gründe, sich in die Politik zu schmeißen, sondern in Hamburg gibt es eine ganz interessante Entwicklung, die auch Berlin übrigens kennen gelernt hat und auch einige andere große deutsche Städte: Die soziale Schere zwischen Arm und Reich und auch zwischen dem Mittelstand und der Oberschicht öffnet sich zusehends und mit großer Geschwindigkeit. Das macht mir Sorgen, weil ich dann doch eigentlich durch meine Kindheit sozialdemokratisch geprägt bin, in anderen Worten: Ich habe mal erlebt, was es heißt, in bitterster Armut zu leben. Das macht mir Sorgen, und mit den zurückgelassenen Schichten, die neuerdings zum Teil auch als Unterschichten, was so einen etwas negativen Beigeschmack hat, identifiziert werden, die Sorge um diese Menschen ist bei mir durchaus ausgeprägt.

    Spengler: Auf die soziale Schere möchte ich gleich noch zu sprechen kommen. Lassen Sie mich noch bei einem anderen Punkt bleiben. Sie haben in New York gelebt, Sie gelten als intellektueller Weltmann, der den Glamour liebt.

    Naumann: Also wenn einer 13 bis 14 Stunden am Tag arbeitet, dann ist das nicht sehr glamourös.

    Spengler: Ich wollte Sie gerade fragen, ist denn das Amt des Bürgermeisters wirklich so reizvoll? Das kann Ihnen doch eigentlich keinen Spaß machen, Altenheime zu öffnen oder Jugendzentren zu schließen.

    Naumann: Das ist so eine merkwürdige Vorstellung von Kommunalpolitik, man begibt sich gewissermaßen in Altenheime und tröstet Alte. Gleichzeitig wirft man mir auch vor, dass ich 65 bin und auch alt bin, vielleicht suche ich da ja nur Trost. Das sind alles, Herr Spengler, mit Verlaub, und ich glaube nicht, dass Sie selbst diese Vorurteile hegen, Vorurteile gegenüber Kommunalpolitik.

    Spengler: Wie verstehen Sie denn die Kommunalpolitik, die Sie betreiben wollen?

    Naumann: Die Kommunalpolitik, die ich betreiben will, hat drei Prioritäten: erstens Sicherung und Verbesserung der Arbeitsplatzsituation, Sicherung der Infrastruktur einer Stadt, dazu zählen die Schulen, die Straßen, die in Hamburg in einem besonders schlechten Zustand sind, der Hafen, die Verhinderung des Verkaufs der Hafenanlagen. Man muss sich vorstellen, die neoliberal organisierte und orientierte CDU in Hamburg hat vor, den Hafen zu verkaufen.

    Spengler: Das macht sie aber doch, um Geld zu bekommen, oder?

    Naumann: Was immer die Ideologie dahinter gewesen sein mag, man verkauft nicht Infrastrukturen, die über Jahrhunderte, muss ich in diesem Falle sagen, durch Steuerzahler bezahlt und aufgebaut worden sind, für eine Summe, die innerhalb von zwei oder drei Jahren verbraucht ist respektive ein Haushaltsloch abdeckt, was interessanterweise jetzt plötzlich, nachdem der Doppeletat Hamburger Senats zur Debatte stand und verabschiedet worden ist, eine Haushaltslücke zu decken, die plötzlich erschienen ist. Und im nächsten Jahr ist dann Geld dann wieder weg. Das geht nicht. Also in anderen Worten: Da braucht man eigentlich kein großer Politiker oder Finanzpolitiker zu sein. Das nächste Mal verkaufen sie die ganzen Elbufer. Also das geht nicht.

    Spengler: Ja, nun ist der Stadtstaat ja verschuldet. Wie wollen Sie denn ohne Geld die soziale Schere schließen?

    Naumann: Das ist interessant, dass Sie das sagen, Herr Spengler.. In der Tat ist die Stadt verschuldet. In der Pro-Kopf-Verschuldung rangiert Hamburg hinter Berlin und Bremen an dritter Stelle. Man fragt sich natürlich nach sieben Jahren Ole-von-Beust-Regierung, wie es dazu kommen konnte, das ist das eine. Das andere ist, wie ist diese Schere zu schließen? Nun, ich hoffe doch sehr, das Prinzip Hoffnung gilt auch Gott sei Dank in der Politik, dass der Wirtschaftsaufschwung, an dem Hamburg teilhat, sich fortsetzt, ein Wirtschaftsaufschwung, den mit Verlaub auch CDU-Politiker auf die Reformbestrebungen der Vorgängerregierung, der rot-grünen, zurückführen, nicht nur, aber auch. Das ist das eine. Ich hoffe, dass die Steuereinnahmen sich verbessern. Des Weiteren gibt es aber Situationen in einer Stadt, in der Schuldenaufnahme, wenn Sie strukturell langfristig erfolgreich sind und nicht einfach nur aktuelle Haushaltslöcher schließen wollen, vernünftig sind. Das ist in jeder Regierung und in allen demokratischen Regionen so zu beobachten. Aber eine Schuldenpolitik, wie sie in den vergangenen sieben Jahren betrieben worden ist, die sich meines Erachtens einfach nur in permanent wachsenden Zinslasten der Stadt niederschlägt und sonst in gar nichts Spürbarem, das möchte ich vermeiden.

    Spengler: Herr Naumann, Sie klingen schon so engagiert. Woran liegt es, dass viele journalistische Kollegen und auch Politikwissenschaftler, habe ich nachgelesen, Ihnen kein nachhaltiges Interesse an dem Bürgermeisterposten zutrauen und Sie als Zählkandidaten bezeichnen, als zeitweilige Erscheinung?

    Naumann: Ach wissen Sie, Politologen, ich bin ein habilitierter Politologe, sind im Universitätsleben auch nur zeitweilige Erscheinungen. Ganz besonders lustig finde ich den immer wieder befragten Professor Walter, der ein Journalist ist wie Sie und ich, aber den Professortitel stolz vor sich herträgt, den ich übrigens auch habe und niemals benutze, weil ich das einfach albern finde.

    Also in wenigen Worten, woran mag das liegen? Es fressen sich immer wieder Klischees fest. Wenn ich daran denke, dass Müntefering als ein kühler, abweisender Mensch bezeichnet wird. Jeder, der ihn kennt, weiß, das ist das absolute Gegenteil, es grenzt fast an Sentimentalität, seine Empfindsamkeit. Das ist der eine Grund. Der andere Grund ist sicherlich der, dass niemand so genau in die Archive guckt. Das hat etwas mit dem Zustand des zeitgenössischen Journalismus zu tun. Also wir wurde vorgeworfen, ich habe noch nie einen Wahlkampf geführt. Es ist ja sehr seltsam. Mir wurde vorgeworfen, ich sei ein Job-Hopper. Wissen Sie, ich bin, glaube ich, seit 1971 mit Unterbrechungen der "Zeit" verbunden gewesen. Ich habe zwölf Jahre lang im Verlag gearbeitet. Es gibt eine einzige Lebensphase, in der ich kurzfristig nur verblieben bin, und das war buchstäblich aus den reinst privaten Gründen, die nun auszubreiten vor Ihren Zuhörern oder vor irgendjemandem sonst völlig falsch wäre, das waren die zwei Jahre im Kanzleramt von Gerhard Schröder. Das war politisch sicherlich eine der aufregendsten Zeiten, die man sich vorstellen kann. Mir hat es sehr gefallen, und ich glaube, die Berliner, wenn sie rückschauen, und auch übrigens die ostdeutschen Bürger, ihre Kulturetats sind ausnahmslos verdoppelt worden in diesen zwei Jahren, die waren glücklich darüber.

    Spengler: Das ist also falsch, wenn man Ihnen die Liebe zum Wechsel unterstellt?

    Naumann: Ungerecht.

    Spengler: Das heißt, Sie sind durchaus beständig?

    Naumann: Ich bleibe mir selber treu, und wenn man sagt, du musst dein Leben ändern, dann hat das etwas damit zu tun, wenn Sie einen Job gut gemacht haben und größere Veränderungen nicht mehr nötig sind, dann ist es sicherlich gut, dass Sie, wenn Sie ein Angebot bekommen, dieses genau prüfen. Ich selber habe mich noch nie um einen Job beworben, außer den allerersten als Volontär beim "Münchner Merkur".

    Spengler: Sie wissen, welchen Gegner Sie haben. Sie treten gegen einen 14 Jahre jüngeren in Hamburg überaus beliebten und mit Amtsbonus versehenen Hanseaten namens Ole von Beust an. Jetzt mal ehrlich: Rechnen Sie sich wirklich Chancen dagegen aus?

    Naumann: Also der Ole von Beust wurde während des Wahlkampfs von Monat zu Monat immer jünger auf den Wahlplakaten. Am Ende hat er wirklich schon fast das Teenageralter erreicht, also das, was mit moderner Fototechnik möglich ist, hat die CDU ausgenutzt.

    Spengler: Aber er ist 14 Jahre jünger als Sie.

    Naumann: Ja, aber die Partei ist in diesen letzten sieben Jahren doch sehr viel älter geworden, finde ich. Und darüber hinaus gibt es in Hamburg nicht nur Kinder, die wählen, und Jugendliche, die dem Image entsprechen, sondern es gibt auch ältere Menschen, um die Wahrheit zu sagen, immer mehr.

    Spengler: Das heißt aber, schwer wird es dennoch?

    Naumann: Natürlich. Man kann nicht wirklich gerade behaupten, dass unsere Partei, die Sozialdemokratie, im Augenblick in den Großstädten vor Selbstbewusstsein nur so strotzt, aber dieses ihnen zurückzugeben, das sehe ich auch als eine meiner Aufgaben.

    Spengler: Das war Michael Naumann, der Spitzenkandidat, der designierte, der Hamburger SPD für die Bürgerschafswahl im kommenden Jahr. Herr Naumann, herzlichen Dank für das Gespräch.

    Naumann: Ich danke Ihnen auch.