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Sotschi 2014
Schmid: "Reingehen und Flagge zeigen"

Rekordleichtathlet Harald Schmid war vom Boykott der Olympischen Spiele 1980 betroffen. Mit einem reinen Boykott erreiche man allerdings nichts, sagte er im Deutschlandfunk. Sport könne sich aber auch nicht aus der Politik heraushalten. Politische Zustände in Russland müssten öffentlich gemacht werden.

Harald Schmid im Gespräch mit Dirk Müller | 07.02.2014
    "Sotschi"-Schriftzug auf Bob- und Rodelbahn in Sotschi
    "Sotschi"-Schriftzug auf Bob- und Rodelbahn in Sotschi (dpa / picture alliance / Michael Kappeler)
    Dirk Müller: Sotschi 2014 und alles, was damit zu tun hat, unser Thema jetzt mit Leichtathletik-Legende Harald Schmid, zweifacher Bronze-Medaillen-Gewinner 1976 und 1984, einmal in Montreal, dann in Los Angeles auf seiner Paradestrecke, den 400 Meter Hürden. Aber auch ein Athlet, der sich immer einen kritischen Blick auf den Sportbetrieb erhalten hat. Guten Tag, Herr Schmid.
    Harald Schmid: Ja, hallo!
    Müller: Muss Sport immer politisch sein?
    Schmid: Na ja, er muss nicht, aber er ist es. Da kommt man nicht von weg. Ganz einfach: Das liegt in der Sache. Die Länder, die Olympia ausrichten, haben natürlich auch immer die Erwartung, dass das politisch nach außen wirkt. Und dann setzt gleich wieder die politische Diskussion ein. Das kennen wir seit Langem und es ist jetzt bei Moskau genauso. - Nicht Moskau, sondern mit Sotschi.
    Müller: Sie haben Moskau gesagt. Wir hatten kurz darüber gesprochen: Sie waren ja damals auch ein Betroffener: 1980 der Olympia-Boykott in Moskau. Wie war das damals für Sie?
    Schmid: Na ja, da hat eigentlich der Sport versucht, Politik zu machen. Und hat selbst einen Boykott beschlossen, mit wenig Wirkung, mit wenig Ergebnis. Und alle standen danach wirklich so ein bisschen mit hängenden Armen da und haben auch ein bisschen geweint und haben gesagt, wie dumm waren wir, dass wir diesen Boykott beschlossen haben. Für die Sportler ist das immer tragisch, wenn so was passiert, für mich auch, denn ich war eigentlich ein richtiger Gold-Medaillen-Kandidat. Ich konnte nicht starten. Deswegen sagt man immer, der Sport soll sich aus der Politik raushalten. Das geht aber nicht. Sie sehen ja die Diskussion im Moment.
    Müller: War das Betrug an Ihrer Leistung, an Ihrer Arbeit damals?
    Schmid: Betrug ist irgendwie falsch. Es war ein Verrat, denn die Sportfunktionäre haben es beschlossen und sie haben eigentlich ihren ursächlichen Auftrag verraten, die Sportler zu Olympischen Spielen zu führen. Das war ihr Auftrag und sie haben beschlossen, nein, das machen wir nicht, weil die Politik das gerne sieht, dass wir nicht fahren.
    Müller: Unter Kanzler Schmidt ist das damals entschieden worden. Hatten Sie – Sie waren ja einer der führenden Athleten; Sie haben gerade gesagt: Gold-Medaillen-Hoffnung; Sie haben sich auch ganz oft für die Sportler-Szene und für die Belange der Sportler eingesetzt -, hatten Sie damals Gelegenheit, auch direkt mit den politisch Verantwortlichen zu sprechen?
    Schmid: Nein, keine Chance.
    Müller: Sie haben es versucht?
    Schmid: Ach ja! Ich habe mir vorgestellt, dass man auch mal den Sportler selbst sieht und ihn befragt, wie ist denn das, wenn wir jetzt so einen Boykott fordern. Und noch mal ganz klar: Das hat nicht die Bundesregierung oder irgendeine andere politische Institution entschieden, sondern das Nationale Olympische Komitee hat das entschieden. Deswegen muss man das noch mal klarmachen. Es waren die Sportfunktionäre, die sich dagegen entschieden haben und Politik gemacht haben.
    Müller: Die Sportfunktionäre, die unter dem Druck der Politik entschieden haben?
    Schmid: Das ist richtig, ja.
    Müller: Wenn Sie da noch einmal zurückblicken, weil einige auch jetzt kritische Stimmen gefordert haben, wir müssen im Grunde Sotschi boykottieren – viele haben damals gesagt, wir müssen China boykottieren – Sie haben damals gesagt, Moskau ist boykottiert worden. Das ist ja das große Beispiel gewesen, wie übrigens dann im Gegenzug 1984 Los Angeles von der östlichen Seite, von der Sowjetunion und den Anrainerstaaten blockiert worden ist. Sie sind davon überzeugt, dass das nie etwas gebracht hat?
    Schmid: Ich halte es für besser, das zum Thema zu machen, wie es auch jetzt gemacht wird. Die politischen Zustände in Russland werden öffentlich gemacht, man diskutiert darüber und vielleicht erzeugt man auch auf diesen Wegen einen Druck, dass ein Umdenken zumindest ansatzweise erfolgt in diesem Land. Ein paar Reaktionen hat es ja schon gegeben. Mit einem reinen Boykott erreicht man das meistens nicht, da verhärten sich die Fronten. Reingehen, Gespräch, Flagge zeigen, Meinungen äußern, das halte ich für viel besser.
    Müller: Das ist viel effektiver, wenn man vor Ort ist - es sind ja fast 3000 Sportler vor Ort, ebenso viele Funktionäre -, wenn dadurch die Öffentlichkeit genau dorthin fokussiert wird und man eventuell zumindest rhetorisch etwas ändern kann?
    Schmid: Ja! Aber man muss auch einmal sagen: Das russische Volk wäre ja in dem Sinne vielleicht sogar auch Leidtragender, wenn man dann kommt und sagt, jetzt boykottieren wir euch, ihr seid alle die Schlechten. Dann trifft man vielleicht die Falschen. Man muss die politische Führung sensibilisieren dafür, dass das nicht ganz in Ordnung ist, wie sie mit den Menschen in ihrem Land umgehen. Und das geht am besten, wenn man in das Land reinkommt und da auch mal was sagen kann, bei einer Pressekonferenz und so weiter, wobei man natürlich sehr vorsichtig sein muss als olympischer Athlet. Man darf auf olympischen Terrain keine politische Meinungsäußerung machen, man darf keine Abzeichen tragen oder irgendetwas in dieser Form. Das steht so drin eigentlich.
    Müller: Sie haben nach wie vor sehr viel Kontakt zu aktiven Sportlern, Sie unterstützen viele junge aktive Sportler, Sie kennen auch viele, die jetzt vor Ort sind, die in Sotschi sind. Inwieweit ist man als Sportler, wenn man konzentriert sein muss auf seinen Auftritt, auf seine Leistung, abgelenkt, eventuell durch die Rahmenbedingungen, die wir jetzt vorfinden?
    Schmid: Es gibt eine, man kann schon fast sagen, goldene Regel: Wenn du dort gewinnen willst und deine beste Leistung zeigen willst, musst du den Kopf frei haben. Du musst dort fähig sein, nur an das eine zu denken und dich komplett zu konzentrieren. Und das kann man nur jedem einzelnen Sportler noch mal so ganz klar sagen. Und die wissen das ja auch, weil Hochleistung ist deren Geschäft. Die wissen, wenn sie gut sein wollen, müssen sie alles andere ausblenden. Das ist einfach notwendig. Und Sportler, die dort in Sotschi was schaffen wollen, müssen erst mal, wenn sie dann da sind, wenn sie sich vorbereiten auf den Wettkampf, Politik draußen lassen. Das geht nicht anders. Sonst kann man den Kopf einfach nicht dort hinlenken, auf was es ankommt. Sie müssen immer bedenken: Sie haben nur diese eine einzige Chance, bei Olympia anzutreten. Und sie müssen in dem Moment den richtigen Sprung machen, sie müssen die richtige Figur springen, sie müssen das richtige Tempo angehen. Und dann kann man nicht an andere Dinge denken.
    Müller: Aber ist das möglich, auch in der Vorbereitung, auch morgens beim Frühstück, abends beim Abendessen? Man trifft einen Kollegen, von dem weiß man beispielsweise, dass er schwul ist, homosexuell ist. Kann man das dann ausklammern, kann man sich konzentrieren?
    Schmid: Das ist die reine Übung, ja. Es ist einfach ein Ritual, das man einübt. Und das muss man dann auch beherrschen. Das ist irgendwie so ein Prozess. Der fängt an am ersten Tag und je näher man dem Wettkampf kommt, umso mehr muss man das dann auch umsetzen.
    Müller: Wie sehen Sie das aus der Perspektive jetzt des neutralen Beobachters - das können Sie in der Form ja als ehemals Involvierter gar nicht sein -, aber wenn man jetzt vor dem Fernseher sitzt. Sollte jetzt aus Fairness-Gründen gegenüber den Sportlern, gegenüber den Aktiven ab 17:14 Uhr heute Abend deutscher Zeit, wenn die Spiele offiziell eröffnet werden, sollte dann der Sportler im Vordergrund stehen?
    Über Harald Schmid
    Geboren 1957 in Hanau, Hessen. Harald Schmid feierte als 400-Meter-Hürdenläufer zahlreiche Erfolge, zum Beispiel wurde er zwischen 1977 bis 1989 zwölf Mal Deutscher Meister, wurde mehrfach Europameister und errang zweimal bei Olympischen Spielen eine Bronze-Medaille, nämlich 1976 in Montreal bei der 4 x 400-Meter-Staffel sowie 1984 in Los Angles über 400 Meter Hürden. Nach einem Sportstudium promovierte er 1997. Heute betreibt Schmid eine eigene Kommunikationsagentur.
    Schmid: Das wird von selbst passieren. Der Sport entwickelt seine Eigendynamik und gibt mit seinen Bildern, die er produziert, seinen Ergebnissen, seinen Emotionen den Weg vor. Wenn das heute Abend losgeht, wenn es eine Eröffnungsfeier gibt in Sotschi, wenn die Bilder rüberkommen, wenn die Reporter berichten, auf einmal steht der Sport im Vordergrund. Das wird ganz klar so kommen.
    Müller: Und dann sehen wir Wladimir Putin und dann geht das Ganze wieder von vorne los?
    Schmid: Ich glaube es einfach nicht. Ich glaube, der Sport ist stärker.
    Müller: Harald Schmid, wir haben ja auch E-Mails hier in den Deutschlandfunk reinbekommen, weil wir nun seit vielen Wochen auch kritisch dieses Ereignis oder dieses Großereignis begleiten und begleiten wollen. Und dann schreiben einige – das haben wir heute Morgen noch mal gelesen -, ihr seid so richtige Miesepeter, ihr wollt uns alles verderben. Denken Sie das manchmal auch, wenn Sie die Medienberichterstattung hören, sehen, lesen?
    Schmid: Nein, überhaupt nicht. Die Medien sollen das wiedergeben, was Tagesgeschäft ist. Sie sollen berichten. Und das gehört eben dazu, dass man als Medienbeobachter das aufnimmt, was sich dort entwickelt in dem Land. Und es gehört dazu, dass man das einfach rüberbringt. Es ist nicht nur Sport, was wir da erleben, es ist auch der Eingriff in die Umwelt, es ist die politische Situation. Das gehört sich so, dass man das erfährt als Konsument. Auf der Seite bin ich im Moment, ja.
    Müller: Bei uns heute mittag live im Deutschlandfunk Leichtathletik-Legende Harald Schmid. Danke für das Gespräch und Ihnen viele spannende Stunden.
    Schmid: Ja! Danke Ihnen auch. Tschüss!
    Müller: Tschüss!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.