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''Souveränität von Staaten soll kein Schutzschild mehr für Verbrecher sein''

    Durak: Im Bundestag werden heute Grundgesetzänderungen debattiert, möglicherweise auch beschlossen. Artikel 16 Absatz 2 verbietet die Auslieferung Deutscher an ausländische Gerichte. Das soll geändert werden. Damit verbunden ist nämlich die Einrichtung eines internationalen Strafgerichtshofes zur Verfolgung von Kriegs- und Menschenrechtsverbrechen, von der UNO 1998 beschlossen. - Am Telefon ist nun Herta Däubler-Gmelin, Bundesjustizministerin. Schönen guten Morgen!

    Däubler-Gmelin: Guten Morgen Frau Durak.

    Durak: Weshalb ist denn diese Diskussion jetzt erst in der Abschlussphase? Andere Länder haben doch wohl schon ratifiziert.

    Däubler-Gmelin: Nun, es sind 60 Ratifizierungen erforderlich, um den internationalen Strafgerichtshof zur Entstehung zu bringen. Insgesamt haben jetzt 22 Staaten ratifiziert; wir werden der 23. sein. Deswegen habe ich ja auch sehr stark auf das Tempo gedrängt. Aber ganz offensichtlich braucht eben der parlamentarische Prozess seine Zeit, auch und gerade bei den Grundgesetzänderungen. Da geht es ja schließlich darum, dass das heute bestehende absolute Verbot, Deutsche auszuliefern, jetzt nicht alleine für diesen internationalen Strafgerichtshof mit einer Ausnahme versehen wird, sondern dass diese Ausnahme auch für die Rechtsgemeinschaft der europäischen Mitgliedsstaaten gelten soll.

    Durak: Und darin liegt ein Problem, dass das ausschließlich die EU-Länder betrifft?

    Däubler-Gmelin: Nein, das lag darin. Da mussten Formulierungen bedacht werden. Da mußte die Konsequenz durchgeprüft werden. Diese Überlegungen sind jetzt, wie ich finde, zu einem sehr guten Abschluss gekommen, so dass wir heute diesen - ich glaube, das kann man schon sagen - sehr wichtigen Schritt, der zu einem historischen Einschnitt führen wird, mitmachen können.

    Durak: Wer hat sich denn dort auf wen zu bewegt?

    Däubler-Gmelin: Ich denke das haben alle gemacht. Das ist bei parlamentarischen Prozessen immer so. Frau Durak, lassen Sie mich aber eines sagen: der internationale Strafgerichtshof, der ja von der diplomatischen Konferenz schon vor zwei Jahren beschlossen wurde, der war zwischen den großen Fraktionen im deutschen Bundestag nie zweifelhaft. Wir wollen das. Wir sind der Meinung, dieser Gerichtshof muss sein, damit Menschenrechtsverletzer, Leute, die Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen entweder begehen oder anordnen, sich auch dann nicht mehr sicher fühlen können, wenn sie in einem Land sind, das sie nicht verfolgt. Das wird in Zukunft nicht mehr gehen. Wir haben darüber hinaus aber auch sehr stark darauf gedrängt, dass das Statut für diesen internationalen Gerichtshof erstens alle umfasst und zweitens rechtsstaatlich ist. Das ist ganz wichtig.

    Durak: Noch einmal zurück, Frau Däubler-Gmelin. Wie soll denn der entsprechende Artikel im Grundgesetz nun lauten?

    Däubler-Gmelin: Der lautet heute ja, Deutsche dürfen nicht ans Ausland ausgeliefert werden. Jetzt wird die Ausnahme gemacht, außer für den internationalen Strafgerichtshof und die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union, soweit rechtsstaatliche Grundsätze garantiert sind. Das ist in beiden Fällen der Fall.

    Durak: Werden die EU-Länder nicht stutzen, wenn dann dort steht, soweit Grundrechte eingehalten werden?

    Däubler-Gmelin: Nein, das glaube ich nicht, und zwar einfach deshalb, weil wir ja für den Fall, dass sie stutzen sollten, in die Begründung hineingeschrieben haben, dass dieses eine Selbstverständlichkeit ist. Die Europäische Union ist eine Rechtsgemeinschaft. Wir wiederholen also das, was wir wollen und was selbstverständlich ist.

    Durak: Weshalb wird es dann extra noch mal formuliert, wenn es selbstverständlich ist?

    Däubler-Gmelin: Weil in der Tat ein großer Teil des deutschen Bundestags Wert darauf legte, dass man es noch mal nachlesen kann. Das entspricht in der Klarstellungsfunktion ja auch der Aufgabe einer Verfassung, dass man ganz genau weis, der Schutz gilt und er gilt durchgehend. Ausnahmen gibt es für diese beiden rechtsstaatlich geprüften Bereiche.

    Durak: Wie steht es denn mit den USA?

    Däubler-Gmelin: Die USA haben, wie Sie ja wissen, dieses Projekt eines internationalen Strafgerichtshofes, der ja nun das Recht des Stärkeren durch die Stärke des Rechtes ablösen helfen soll, immer zwiespältig begleitet. Auf der einen Seite waren sie sehr dafür. Wenn Sie an die Grundidee denken, die stammt ja vom Ende des Ersten Weltkrieges oder sogar noch früher. Da waren Amerikaner sehr dabei. In Tokio, aber auch in Nürnberg waren Amerikaner ebenfalls dabei. Als es dann gegen Ende des Kalten Krieges überhaupt möglich wurde, tatsächlich einen solchen internationalen Strafgerichtshof einzurichten, da begannen dann die Sorgen, ob ein Land wie die Vereinigten Staaten nicht ein bißchen viel auf seine Souveränität verzichtet. Wir sagen, wir wollen diesen Übergang der Souveränität auf einen internationalen Strafgerichtshof. Die USA tun sich damit noch schwer. Auf der diplomatischen Konferenz vor zwei Jahren konnten sie ihren Standpunkt nicht durchsetzen. Sie versuchen es natürlich mit dem einen oder anderen Ausnahmetatbestand jetzt immer noch. Gerade deshalb ist es so wichtig, dass gerade Europa und dass in Europa auch die Bundesrepublik Deutschland nein sagt, wir wollen das so ratifizieren.

    Durak: Es wird also den internationalen Strafgerichtshof ohne die USA geben?

    Däubler-Gmelin: Ja, Frau Durak, das muss man jetzt noch sehen. Da haben Sie ganz Recht, es wäre sehr, sehr bedauerlich, wenn die USA weiterhin bei Seite stehen würden, obwohl man sagen muss, China tut das ja im Moment auch noch. Auch die Geltung, die sich im Moment jetzt als realistisch absehen lässt, für mindestens die Hälfte der Weltbevölkerung ist schon ein historischer Fortschritt. Aber gerade wir mit unseren guten Verbindungen zu den Vereinigten Staaten sagen natürlich immer wieder, wir möchten gerne, dass die Vereinigten Staaten, diese große und auch demokratisch strukturierte Gesellschaft, dabei ist. Wir werben dafür. Aber man darf das natürlich nicht so tun, dass der internationale Gerichtshof dann kein Gericht mehr wäre, sondern eigentlich nur dann justizieren könnte, wenn zum Beispiel Nationalstaaten damit einverstanden wären. Das geht nicht.

    Durak: Weshalb, Frau Däubler-Gmelin, beschränken Sie sich dann in dem geänderten Grundgesetzartikel auf den Strafgerichtshof und auf die EU-Länder, sofern Grundrechte eingehalten werden, wenn ich es noch mal richtig zitiere? Weshalb schreiben Sie dann nicht direkt auch die USA und China hinein oder sämtliche Staaten, sofern Grundrechte gewährt sind?

    Däubler-Gmelin: Nein, das stand gar nicht zur Debatte, weil das würde ja bedeuten, dass wir jetzt die Auslieferung Deutscher an Gerichte in China oder in die Vereinigten Staaten zulassen würden. Ich darf Ihnen einen ganz praktischen Grund nennen. Die Vereinigten Staaten haben in einer ganzen Reihe ihrer Mitgliedsstaaten ja die Möglichkeit der Todesstrafe, die wir nicht nur national durch unser Grundgesetz, sondern auch durch die europäische Menschenrechtskonvention vollständig ausschließen. Das tun wir nicht. Von daher gesehen kann es eine Auslieferung Deutscher schon aus diesen prinzipiellen Gründen nicht geben. Das stand hier in dieser Diskussion um den internationalen Strafgerichtshof und seine Einrichtung oder jetzt auch um die Erweiterung der Auslieferungsmöglichkeiten durch Gesetz an die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union aber gar nicht zur Debatte.

    Durak: Der Strafgerichtshof bleibt aber dann ohne die USA und China irgendwie amputiert?

    Däubler-Gmelin: Ja, natürlich. Aber wissen Sie, es ist ja Gott sei Dank nicht aller Tage Abend. Der Punkt ist der, dass man den Grundgedanken dieses, wie Sie ja vorhin mit Recht genannten, weltumspannenden und auch so gedachten Strafgerichtshofes sich noch mal in Erinnerung ruft. Die Grundidee ist: Niemand, der Kriegsverbrechen, massenhafte Menschenrechtsverletzungen, Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit entweder selber ausführt oder anordnet auch als sozusagen verantwortlicher Staatsmann, obwohl man nicht weis, ob man diesen Begriff der Verantwortlichkeit hier überhaupt verwenden darf, darf sich mehr sicher fühlen. Die Souveränität von Staaten darf kein Schutzschild mehr für solche Verbrecher sein. Jetzt kommt es natürlich darauf an, dass man sicherstellen muss, dass das dann auch tatsächlich funktioniert. Dazu braucht man alle Staaten. Dass sich einige, die diesen Schritt jetzt zur Abgabe der Souveränitätsrechte nicht leicht tun, noch zurückhalten, das ist so. Gerade deswegen ist mit unserer Ratifizierung oder mit der Ratifizierung der 60 natürlich noch nicht alles erreicht. Aber die Grundlage, dass wir sagen können, wir möchten gerne, wir werben darum, dass die Vereinigten Staaten hier ebenfalls mitmachen, die wird sehr viel besser.

    Durak: Herta Däubler-Gmelin, die Bundesjustizministerin. - Herzlichen Dank für das Gespräch!

    Link: Interview als RealAudio