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Soziale Medien
Gut vernetzt - aber einsam?

Noch nie waren so viele Menschen über soziale Netzwerke und Smartphone-Apps so intensiv miteinander vernetzt wie heute. Doch trotzdem fühlen sich viele Nutzer einsam, weil echte Freundschaften im digitalen Raum selten entstehen. Experten warnen davor, nur das Leben von anderen zu verfolgen.

Von Florian Schairer | 12.04.2018
    Mann und Frau stehen Rücken an Rücken und kommunizieren mit Smartphones
    Noch nie waren wir Menschen so gut vernetzt wie heute (imago/Ikon Images)
    "Mein Redakteur rief mich in sein Büro, nach dem Motto: 'Wir haben hier die perfekte Geschichte für Dich. Es geht darum, dass Männer mittleren Alters keine Freunde haben.' Ich wollte das nicht wahrhaben und bin die Liste meiner besten Freunde durchgegangen. Es sah nicht gut aus. Meine Freunde, die kamen immer an letzter Stelle. Also habe ich das geschrieben, dass ich ein Loser bin. Kein Artikel des Boston Globe hat in den letzten zehn Jahren so viele Reaktionen hervorgerufen. Manche haben geschrieben: 'Ich erkenne mich wieder', andere einfach nur: 'Ich bin so einsam.'"
    Diese Geschichte erzählte Billy Baker ausgerechnet bei der Internet- und Zukunftsmesse SXSW, die vor kurzem in Austin, Texas stattgefunden hat. Dort, wo jeder auf mindestens drei sozialen Netzwerken gleichzeitig unterwegs ist. Dort, wo man seit Jahren fast schon hysterisch optimistisch von der totalen Vernetzung träumt - ausgerechnet dort war Einsamkeit in diesem Jahr ein wichtiges Thema. Auch die in den USA sehr bekannten Autorin und Beziehungsberaterin Esther Perel treibt das Thema um:
    "Fake News gibt es nicht nur in der Politik, sondern auch ganz besonders in den geschönten fiktiven Darstellungen unserer Leben auf Instagram. Und das sorgt auch dafür, dass wir Probleme, Frustration und Schmerzen nicht mehr als Teil einer kollektiven Sehnsucht oder als Resultat sozialer Missstände erleben, sondern sie privatisieren und zu unseren eigenen machen."
    Soziale Isolation durch Soziale Medien
    Gibt es also eine Verbindung zwischen der Nutzung Sozialer Medien und erlebter Einsamkeit? Im März vergangenen Jahres veröffentlichte Brian Primack von der University of Pittsburg eine Studie, die er unter rund 1.800 Amerikanern zwischen 19 und 32 durchgeführt hat. Das Ergebnis: Bei Menschen, die mehr als zwei Stunden täglich auf sozialen Plattformen verbringen, ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie sozial isoliert sind, etwa doppelt so groß wie bei Menschen, die weniger als eine halbe Stunde dort verbringen.
    Haben viele vielleicht gar keine Zeit mehr für Freundschaften, weil sie zu beschäftigt sind, das Leben anderer im Netz zu verfolgen? Ein bisschen schon, sagt die Verhaltensforscherin Jenna Clark. Sie hat im vergangen Jahr in ihrer Doktorarbeit an der University of North Carolina Chapel Hill verschiedene Studien zum Thema soziale Netzwerke verglichen.
    "Eine Gefahr sind sogenannte 'soziale Snacks'. Damit ist soziale Interaktion gemeint, die so scheint, als würde sie unsere Bedürfnisse befriedigen, denn wir agieren ja mit anderen Menschen, aber dabei entstehen keine tiefergehenden Verbindungen. Das wirkt dann zwar wie soziale Interaktion, aber es bringt niemanden weiter, es entsteht keine Verbindung. Es ist einfach nur ein negatives Erlebnis."
    Negativ für das Selbstwertgefühl
    Danach fühle man sich genauso leer, wie wenn man stundenlang durch Fotos scrollt und Likes verteilt. Und es gibt eine weitere Falle, die User negativ beeinflusst, sagt Jenna Clark.
    "Auf Facebook sehen wir die Highlights der anderen, denn Menschen posten vor allem Dinge, die sie gut aussehen lassen. Wir sehen ihre Urlaubsbilder mit tollem Essen und wir haben uns vielleicht gerade was bei McDonald's geholt. Da fühlt man sich schnell minderwertig und das kann sehr negative Folgen haben: Sozialer Vergleich, das wissen wir aus der Sozialpsychologie, wirkt sich sehr negativ auf Selbstbewusstsein, Zufriedenheit und Glücksgefühl aus."
    Es geht also immer darum, die echten Freundschaften zu pflegen: Billy Baker vom Boston Globe hat Verabredungen mit Freunden - ob in Echt oder im Netz - deshalb nun fest in seinen Alltag eingebaut. Und auch Ester Perel fordert dazu auf, Beziehungen täglich zu pflegen.
    "Wie gut und intensiv unsere Beziehungen untereinander sind, das bestimmt die Qualität unseres Lebens. Die Verbindungen mit anderen Menschen geben uns mehr Sinn im Leben, mehr Glück und mehr Wohlbehagen als jede andere menschliche Erfahrung. Ruft doch einfach mal wieder an anstatt nur eine SMS zu schicken. Und wenn ihr mit jemandem zum Essen geht - lasst das Telefon in der Tasche. Denn es sind unsere Beziehungen, die die Geschichte unseres Lebens schreiben. Also schreibt gut und arbeitet viel daran."