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Soziale Netzwerke im US-Wahlkampf
"Virtuelle Megaphone, durch die man sich gegenseitig anbrüllt"

Die Kommunikationswissenschaftlerin und Journalistin Miriam Meckel sieht die Entwicklung von sozialen Netzwerken in Wahlkämpfen kritisch. Im Deutschlandfunk sagte sie, die Kommunikation dort habe nichts mit den Versprechen zu tun, die man einst mit sozialen Netzwerken verbunden habe. Dass Fakten im Wahlkampf eine immer geringere Rolle spielen, "das treibt mich wirklich um", so Meckel.

Miriam Meckel im Gespräch mit Stephanie Gebert | 09.11.2016
    Miriam Meckel bei einer Diskussionsrunde
    Miriam Meckel ist Chefredakteurin der Wirtschaftswoche und arbeitet als Kommunikationswissenschaftlerin an der Universität St. Gallen in der Schweiz. (dpa)
    Stephanie Gebert: Obama hat gut gepasst in die neue Form des Wahlkampfes über die Sozialen Medien. Er war selbst jung und hatte kurze, knackige Botschaften mit "Yes, we can!" und "Change!" Wieviel ist davon noch bei den fast 70-jährigen Kandidaten übrig geblieben?
    Miriam Meckel: Da ist relativ wenig von übrig und es ist ja auch eine ganz andere Verwendung, die Social Media jetzt sowohl bei Trump als auch bei Clinton finden. Ich glaube, dass Hillary Clinton mit ihrer Kampagne einen Riesenschwung nach vorne genommen hat. Im letzten Wahlkampf, wo sie gegen Obama angetreten ist, hat sie unter anderem deshalb auch viele Chancen vergeben, weil sie das nicht zu nutzen gewusst hat. Da ist Professionalisierung vonstattengegangen. Nur die Kandidaten stehen beide natürlich nicht für das, was Obama, wie Sie es beschrieben haben, verkörpert hat, sondern sie nutzen soziale Medien eigentlich, um ununterbrochen aufeinander einzusenden und damit diejenigen zu fangen zu versuchen, die irgendwie im weiteren Sinne zu ihrer Anhängerschaft gehören. Das heißt, die sozialen Medien sind in diesem Wahlkampf zu virtuellen Megaphonen verkommen, durch die man sich gegenseitig anbrüllt, in der Hoffnung, damit sozusagen Resonanz in der Anhängerschaft zu finden. Bei Trump ist das relativ gut gelungen, aber es hat natürlich nichts mit der demokratischen Vielfalt und den Versprechen, die man einst mit sozialen Medien verbunden hat, zu tun.
    Gebert: Vielfach war die Rede davon, dass Clinton zu professionell ist, und Donald Trump, eine eigene Handschrift auf Twitter hat, und seine Posts authetisch wirken, weil er frei Schnauze formuliert. Ist Trump also glaubwürdig und kann er damit die sozialen Medien besser für sich nutzen?
    Meckel: Ich denke, das ist so. Ich glaube, dass Donald Trump tatsächlich die Mechanismen der vermeintlichen Authentizität, auch der Radikalität in der Formulierung, die wir aus einem anderen Blick als Verlust an Zivilisationserrungenschaft kritisieren würden, so nutzt, dass er damit wirklich Erfolg hat und erst mal einfach was raushaut. Das ist ja ein Prinzip, was in den sozialen Medien leider in letzter Zeit sehr an Attraktivität gewonnen hat, auch an Resonanz gewonnen hat. Das kann Trump sehr viel besser und beherrscht es sehr viel besser als Hillary Clinton das tut. Sie möchte das vermutlich auch nicht, weil das auch zu ihrem ganzen Selbstverständnis als Repräsentantin einer politischen Klasse gehört, die sich zu zügeln hat, wenn sie in so einer Funktion ist oder in so eine Funktion rein will wie jetzt gerade die Präsidentschaft. Aber das hilft in den sozialen Medien gar nicht, weil da ganz andere Tonlagen inzwischen herrschen.
    "Damit steht man nebeneinander mit dem Gesicht zur Wand"
    Gebert: Postfaktische Politik das ist ein Phänomen dieser Zeit, das durch das Internet erst wirklich Verbreitung findet. Ist das die richtige Analyse?
    Meckel: Ich glaube, das ist ein Wort, das die Zeit, in der wir im Moment leben, gut beschreibt. Sie haben in diesen Tagen - und das zeigt der amerikanische Wahlkampf beispielhaft -, Sie haben die Möglichkeit, sich hinzustellen und zu sagen, die Erde ist eine Scheibe, deshalb können wir eine Mauer darum herumbauen und die wird auch nicht runterfallen, während sie von einer Kugel runterfallen würde. Und damit können Sie gewinnen. Und das treibt mich tatsächlich um, weil wenn Sie die Logik in einer solchen Argumentation des Postfaktischen analysieren, dann kommen Sie darauf, dass es keine Chance gibt, sich noch zu verständigen. Die einen sagen, das ist so, die anderen sagen, das ist nicht so. Dann sagen die ersten, aber Studien und empirische Befragungen und Zahlen und Fakten beweisen; dann sagen die zweiten, dann lügen diese Zahlen und Fakten und diese Studien. Und damit steht man nebeneinander mit dem Gesicht zur Wand, aber man kommt keinen Schritt weiter und man guckt sich auch nicht an. Und das ist eine Situation, die ziemlich beispiellos ist, würde ich sagen, vor allen Dingen in einer demokratischen Gesellschaft. Das kann ich mir vorstellen in einem totalitären Staat, das kann ich mir in Ansätzen vorstellen in Ägypten und möglicherweise auch in Russland oder so, aber ich kann es mir eigentlich nicht vorstellen in der ältesten Demokratie der Welt. Und dass ein Land, was das "first amendment" hervorgebracht hat, tatsächlich Vorreiter ist in der beispielgebenden Praxis für postfaktische Kommunikation, das finde ich erschreckend und das treibt mich wirklich um.
    Gebert: Sogenannte Twitterbots, also automatisierte Accounts, machen bei beiden Kandidaten um die 40 Prozent der Follower aus, das sagt eine Studie. Wie groß ist die Gefahr dieser Bots. Und: Sind sie für den Ausgang der Wahl entscheindend?
    Meckel: Ich würde nicht so weit gehen zu sagen, dass Bots wahlentscheidend sein können, aber ich gehe schon so weit zu sagen, dass der Einsatz von Technik, von ganzen Botsystemen durch Hacker oder auch durch gezielte Propagandisten Meinungsklimata oder Meinungswellen hervorrufen kann. Wenn Sie sich vor Augen führen, dass ein Drittel der Follower auf Twitter von Donald Trump Bots sind - das lässt sich feststellen -, dann kann man zum Beispiel nach dem ersten Duell feststellen, dass der Hashtag #TrumpWon, Trump hat gewonnen, durch Botmaschinerie, also durch Technik sozusagen getrendet wurde, zum Trend wurde, und damit natürlich etwas passiert, indem Beobachter merken, oh, das ist ein Thema, was im Internet ganz manifest wird, das ist offenbar die Meinung, und es gibt so einen Mechanismus, den nennen wir in der Forschung Bandwagon-Effekt. Man möchte immer auf dem Siegerwagen mitfahren und "Tärää" machen. Das wollen dann viele Menschen natürlich auch im Bereich der öffentlichen Meinung. Die wollen gern dabei sein, und wenn sie noch schwankend sind, lassen sie sich womöglich dadurch dann motivieren, tatsächlich sich auch auf die Seite der Sieger, der Trumpisten sozusagen zu stellen. Das sind Mechanismen, die man tatsächlich nachweisen kann im Internet und die schon für verzerrte Wahrnehmungen sorgen können. Wir stehen da, glaube ich, in der Forschung sehr am Anfang in der Beobachtung, aber wir müssen gerade als Vertreter von Medien aufpassen, dass wir mit solchen Botschaften eben vorsichtig umgehen. Trends im Internet muss man mit Vorsicht genießen; die muss man genau angucken und die geben durchaus nicht tatsächliche Meinungsbilder wieder, können aber beeinflussend sein, weil das natürlich nicht jeder weiß.
    Meckel: FBI-Chef sah sich wohl in Zwickmühle
    Gebert: Schauen wir auf die letzten Meter des Wahlkampfs. Hillary Clintons E-Mail-Affäre hat da alles betimmt und ihren Vorsprung dahinschmelzen lassen. Kann diese Affäre sie tatsächlich den Wahlsieg kosten?
    Meckel: Ich habe mich sehr gewundert über das Statement des FBI-Chefs und die Wiederaufnahme der Untersuchung. Ich kann es mir eigentlich nur erklären, dass er sich in der Zwickmühle gesehen hat, entweder was zu sagen und damit in einen Fettnapf zu treten, oder nichts zu sagen und damit in den Fettnapf der Unterstellung der Zurückhaltung von wichtigen Fakten zu Gunsten einer Kandidatin zu treten. Wenn es jetzt ein Ergebnis gibt, dass Trump gewinnt, wird das eine Riesendiskussion werden, glaube ich. Dann wird es weitreichende, auch wirklich konstitutionelle Fragen geben, die die Amerikaner lange beschäftigen werden, und es wird sehr viel Unruhe geben - nicht nur durch die Personalie Trump, das wird schon reichen, aber auch dieses Problem: wie gehen eigentlich Institutionen mit einer Wahl gerade in so einer Situation um. Das wird Folgen haben. Insofern müssen wir jetzt abwarten, wie das Ergebnis der Wahl aussieht. Wenn Hillary gewinnt, wird das Thema, glaube ich, erst mal im Wesentlichen vom Tisch sein, wenngleich auch da man damit rechnen muss, dass Trump bis hin zum Impeachment, also einem Amtsenthebungsverfahren alles versuchen wird, um seine Interessen da durchzusetzen, auch aus der Verliererposition heraus.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.