Donnerstag, 25. April 2024

Archiv

Sozialprojekt
Coffee to stay

Die Idee des "aufgeschobenen Kaffees" kommt aus Italien, jetzt wird sie auch in einem Berliner Café umgesetzt: Gäste spendieren denjenigen einen Kaffee, die ihn sich nicht leisten können.

Von Thomas Klatt | 05.12.2019
Eine volle Kaffeetasse steht auf einem hellen Holztisch.
"Aufgeschobener Kaffee" heißt die Tasse, die man nicht selbst trinkt. (imago/CHROMORANGE)
Der kleine Café-Pavillon am Boxhagener Platz in Berlin-Friedrichshain ist gut besucht. Betrieben wird er seit 2002 von Karuna e. V.. Ein Verein, der es auf die schiefe Bahn geratenen Jugendlichen ermöglicht, ihre vom Gericht auferlegten Sozialstrafen im Café abzuleisten. Und dabei ein wenig Gastronomie zu lernen. Auf dem Tresen steht ein Schild: "Aufgeschobener Kaffee 1 Euro."
Mitarbeiterin Juliana Schlett von Karun e.V. kann das erklären: "Aufgeschobener Kaffee, das werden wir ganz oft gefragt, was das ist. Die Leute denken erst, oh Kaffee für 1 Euro, für sich selbst. Nein, ist es nicht. Sie bezahlen einen kleinen Kaffee, für den, der es sich nicht leisten kann."
"Dass man mal sprechen kann"
Beste Qualität aus der benachbarten Kiezrösterei. Der nomale Kaffee kostet 1,60 €. Zu der 1-Euro-Spende tut Karuna noch 60 cent dazu, für einen guten Zweck.
Juliana Schlett erzählt: "Das war 2015, da hat uns ein Gast gefragt, ob wir das kennen, ob wir davon schon mal gehört haben. Suspended Coffee!? Nein, was ist das? Es kommt aus einem anderen Land, die das feiern..."
Ursprünglich eine Idee aus Süditalien, die sich mittlerweile weltweit herumgesprochen hat, wie diese Frau im Café-Pavillon weiß: "Ich kenn das aus den USA, ich hab selbst gerade schon zwei gekauft, weil man damit Leuten helfen kann, die sich das nicht selbst leisten können. Und wenn man einen Euro übrig hat, der tut einem manchmal nicht weh. Manchen schon."
Denn am Boxhagener Patz tummeln sich nicht nur Touristen und Hipster, sondern auch Obdach- und Wohnungslose. Die holen sich im Cafe-Pavillon die Umsonst-Straßenzeitung "Karuna-Kompass", die sie weiter verkaufen können. Und trinken einen aufgeschobenen Kaffee.
"Für uns ist das immer eine ganz wohl gesonnene Idee. Wenn wir gerade hierher kommen, frisch Zeitungen holen, wir kein Geld in der Tasche haben, dass wir erst mal einen Kaffee trinken können. Ich würd's mir, glaube ich, von jedem Lokal wünschen, dass nicht immer nur gespendet wird an irgendwelche Organisationen, sondern dass Obdachlosen direkt geholfen wird. Es gibt auch ein paar Döner, die ich mittlerweile weiß, die machen das, damit man einmal am Tag einen Döner essen kann", sagt ein Obdachloser, der im Radio Mike genannt werden möchte. Es sei ja nicht nur der Kaffee. Er habe auch das seltene Gefühl, hier willkommen zu sein.
Mike sagt: "Ich find's schon sehr herzlich, wie sie es machen, dass wir hier einfach so die Zeitungen holen können, dass man nicht einfach ignoriert wird. Man kann miteinander quatschen. Man lernt auch mal den einen oder anderen kennen. Ich hab jetzt gerade vier Stunden an der Frankfurter Allee gestanden und ich hab keine einzige Zeitung los gekriegt. Darfst keinen ansprechen, weil sonst kriegste gleich mit der S-Bahn Ärger oder mit dem Karree Ärger. Du stehst da wie ein begossener Pudel und die Leute ignorieren Dich, wo sie gerade können."
Aufgeschobener Kuchen, aufgeschobener Pulli
Geschätzt jeder zweite Gast bezahlt noch einen Kaffee extra, schätzt Karuna-Mitarbeiterin Juliana Schlett. Nicht immer reicht es für jeden: "Wir haben so eine Übersicht, damit wir auch wissen, wie viel aufgeschobene Kaffees haben wir. Wie viel können wir auch tatsächlich rausgeben. Der Kunde kauft, gibt noch einen Euro extra, wir habe dann ein Glas, Zettel, die sind laminiert, da steht drauf "aufgeschobener Kaffee". Damit auch die Leute, die sich einen abholen, sehen, ist denn einer da? Kann ich denn fragen? Heute hat sich wieder die Waage gehalten, gerade mal zwei."
Am Boxhagener Platz ist Karuna e.V. das einzige Café mit aufgeschobenem Kaffee. In ganz Berlin machen auch nur wenige Gastronomen mit. Doch könnte man die Idee ausweiten? Aufgeschobener Kuchen? Oder aufgeschobener Pullover? Einer zahlt für andere mit?
"Ich finde es total schön, wenn so Sachen in der kleinen Idee bleiben, und nicht in zu große Aktionen ausarten. Das mit dem aufgeschobenen Kaffee ist klein, schön und überschaubar. Und zu den großen Klamottenkonzernen müsste man sich generell überlegen", sagt diese Kundin.
Anders herum: Entlässt man mit seiner Spende nicht den Staat aus seiner Fürsorgepflicht? An einem anderen Tisch draußen sagt eine Kundin: "Ich finde das eine gute Idee. Gleichwohl kann man schon die Kritik sehen, dass der Staat sich aus seiner Fürsorgepflicht irgendwo rausmogelt. Ich bin da ambivalent". Ein Mann antwortet: "Wenn man jetzt nicht unterstützt, heißt es ja nicht, dass der Staat es automatisch tut. Und wenn man unterstützt, zeigt es ja, dass der Bedarf da ist. Man muss beides tun."