Adolf Bauer: Nein, sie sind reine Kaffeesatzleserei. Wenn man überlegt, wie lange die Maßnahmen gehalten haben, die in den letzten Jahren verabschiedet wurden, dann kann man sich vorstellen, wie albern im Grunde genommen ein Versuch ist, über 25 Jahre im voraus eine Planung zu betreiben, wenn man nicht mal in der Lage ist, bis zur Jahreswende oder bis 2005 oder 2006 sicher Prognosen abzugeben.
Wiese: Ob nun 46 Prozent oder 43 Prozent, die von der Bundesregierung anvisierte Mindestrente ist wesentlich niedriger als das heutige Niveau, das bei 53 Prozent liegt. Müssen sich also künftige Ruheständler, egal was beschlossen wird, mit dem unangenehmen Gedanken vertraut machen, nur noch eine Basissicherung zu bekommen?
Bauer: Ja, das ist leider der Fall. Dies ist eine dramatische Absenkung des Rentenniveaus um 20 Prozent, und zwar nicht auf heute, sondern für die Zeit in 20, 25 Jahren, und das können wir so nicht akzeptieren, weil diese Kaffeesatzleserei keine Grundlage für eine gesicherte Maßnahme sein kann. Wir können nur fordern, dass man langfristig plant, dass man Perspektiven einbaut, dass man zu anderen Einnahmequellen in der Rentenversicherung kommt.
Wiese: Bevor wir da im Einzelnen darauf eingehen, vielleicht noch kurz zu der geplanten Reform der Bundesregierung: Was, wenn die Mindestrente unter die 46-Prozent-Marke zu sinken droht? Dann muss – so der Vorschlag des Gesetzentwurfes – die Regierung eingreifen. Aber ihre Möglichkeiten sind doch beschränkt. Der Beitragssatz darf laut Gesetz nicht über 22 Prozent steigen. Dann bleiben doch nur zwei Möglichkeiten, die Renten zu senken oder die Lebensarbeitszeit zu erhöhen, zum Beispiel auf 67 Jahre oder gar auf 70 Jahre. Sind das für Sie denkbare Möglichkeiten?
Bauer: Denkbare Möglichkeiten sind für uns zunächst einmal das tatsächliche Renteneintrittsalter auf 65 Jahre anzuheben. Heute ist es so, dass ein großer Teil der arbeitsfähigen Menschen mit 50 in das Arbeitslosenleben, in die Erwerbslosigkeit gedrängt oder in den Vorruhestand oder in die Rente gedrängt werden. Wenn man davon abweichen würde, wenn man endlich dazu käme, die Leute bis 65 Jahren arbeiten zu lassen, dann könnte man viele der Probleme, die wir heute haben, beseitigen. Der nächste Punkt, den Sie angesprochen haben: Es ist geradezu aberwitzig anzunehmen, dass eine Regierung im Jahre 2008 oder 2012 sich bereits auf ein Rentenniveau oder auf Beitragshöhen festlegen könnte, wenn wir heute nicht mal in der Lage sind, einen Zeitraum von zwölf Monaten zu überschauen. Diese Gesetze sind reine Augenwischerei, und sie haben dazu gedient, die Abgeordneten, die anderer Meinung sind, zur Stange zu zwingen.
Wiese: Ihre Organisation, der Sozialverband Deutschland, hat ein verfassungsrechtliches Gutachten in Auftrag gegeben mit der Maßgabe einer möglichen Klage vor dem Bundesverfassungsgericht. Können Sie kurz zusammenfassen, worum es Ihnen da eigentlich geht?
Bauer: Wir sind der Meinung, dass viele der beschlossenen Maßnahmen dem Verfassungsrecht nicht standhalten. Deswegen lassen wir zur Zeit prüfen den vollen Krankenversicherungsbeitrag auf Versorgungsbezüge, wir lassen prüfen die vollen Pflegeversicherungsbeiträge und wir lassen prüfen die Streichung von Studienzeiten. Das sind zum Beispiel nur drei Punkte, die in der Vergangenheit auch in verfassungsgerichtlichen Urteilen eine Rolle gespielt haben und die ein Eigentumsrecht darstellen. Wir sind der Meinung, dass die jetzigen beschlossenen Maßnahmen vor dem Verfassungsrecht nicht standhalten werden.
Wiese: Und was dann, wie geht es dann weiter, falls es tatsächlich so kommen sollte?
Bauer: Wenn das Verfassungsgericht die bestehenden Regelungen aufheben würde, müsste der Gesetzgeber zu neuen Maßnahmen kommen. Er muss auch zu neuen Maßnahmen kommen, wenn die von ihm selbst eingeplanten Hürden nicht eingehalten oder erreicht würden. Das zeigt die Fragwürdigkeit dieses gesamten Maßnahmenpaketes, und wir sind der Meinung, dass man nicht erst dann Strukturdiskussionen führt, wenn es zu spät ist. Wir müssen heute grundsätzliche Maßnahmen diskutieren und nicht diese Flickschusterei von heute auf morgen und von morgen auf übermorgen betreiben. Seit Norbert Blüm diskutieren wir immer nur "die Rente ist sicher" und pflegen ständig an irgendwelchen Veränderungen herumzudiskutieren statt ein grundsätzliches Problem anzufassen, nämlich die gesamte Rente auf eine gesunde Basis zu stellen.
Wiese: Sie vertreten ja nun Hunderttausende Rentnerinnen und Rentner und vor einiger Zeit haben Sie eine große Demonstration in Hannover organisiert. Wie ist eigentlich die Stimmung an der Basis, wenn man das so benennen kann?
Bauer: Die Stimmung unter den Mitgliedern ist deswegen wütend, nicht nur weil man derzeit an die Renten geht, für die die Menschen viele Jahre lang einbezahlt haben, sondern auch weil man der jüngeren Generation die Perspektive nimmt. Das ist genau mit dem jetzigen Niveausicherungsgesetz auch so ein Ding. Es trifft diejenigen, die heute 40 Jahre alt sind oder jünger, und das kann nicht Sinn einer Rentengesetzgebung sein, heute Maßnahmen zu treffen aufgrund von Kaffeesatzleserei, die Menschen treffen, die noch 20, 25 oder mehr Jahre arbeiten müssen.
Wiese: Aber was schlagen Sie vor? Was muss getan werden? Irgendetwas muss ja getan werden, sonst werden die Renten nicht finanzierbar sein.
Bauer: Wir schlagen vor, eine Erwerbstätigenversicherung ernsthaft zu diskutieren. Das würde bedeuten, dass man mehr Menschen in die Rentenversicherung bringt, dass man die Beamten, die Politiker, die Selbständigen mit in diese Rentenversicherung hineinbringt. Der entscheidende Faktor heute ist aber, die Arbeitslosigkeit zu beseitigen, mehr zu tun zur Verhinderung, dass Menschen mit 40 oder 45 Jahren aus dem Arbeitsleben rausgedrängt werden. Wenn diese beiden Maßnahmen, Senkung der Arbeitslosigkeit und Erweiterung der Rentenbeitragszahler, durchgezogen würden, dann wäre die Rentenversicherung zu retten.
Wiese: Sie plädieren also für die Bürgerversicherung?
Bauer: Ja, oder eine Erwerbstätigenversicherung, wie man sie auch nennt. Das wäre eine Maßnahme, die ernsthaft diskutiert werden sollte. Wir haben heute das Gefühl, dass CDU und SPD Dinge diskutieren und beschließen, ohne an die grundsätzlichen strukturellen Reformen zu gehen. Diese Diskussion wird geführt, nachdem man Flickschustermaßnahmen beschlossen hat, und das ist der falsche Weg.
Wiese: Frappiert es Sie eigentlich, dass ausgerechnet eine rot-grüne Regierung in der Rentenfrage derartige Einschnitte plant?
Bauer: Ja, das verunsichert auch viele Bürger. Die CDU und die SPD sind im Augenblick auf dem gleichen Weg, nämlich eine dramatische Rentenkürzung hin zu einer Sozialhilfehöhe vorzunehmen, und das kann nicht der Weg eines sozialen Staatswesens sein.
Wiese: Danke für das Gespräch.
Wiese: Ob nun 46 Prozent oder 43 Prozent, die von der Bundesregierung anvisierte Mindestrente ist wesentlich niedriger als das heutige Niveau, das bei 53 Prozent liegt. Müssen sich also künftige Ruheständler, egal was beschlossen wird, mit dem unangenehmen Gedanken vertraut machen, nur noch eine Basissicherung zu bekommen?
Bauer: Ja, das ist leider der Fall. Dies ist eine dramatische Absenkung des Rentenniveaus um 20 Prozent, und zwar nicht auf heute, sondern für die Zeit in 20, 25 Jahren, und das können wir so nicht akzeptieren, weil diese Kaffeesatzleserei keine Grundlage für eine gesicherte Maßnahme sein kann. Wir können nur fordern, dass man langfristig plant, dass man Perspektiven einbaut, dass man zu anderen Einnahmequellen in der Rentenversicherung kommt.
Wiese: Bevor wir da im Einzelnen darauf eingehen, vielleicht noch kurz zu der geplanten Reform der Bundesregierung: Was, wenn die Mindestrente unter die 46-Prozent-Marke zu sinken droht? Dann muss – so der Vorschlag des Gesetzentwurfes – die Regierung eingreifen. Aber ihre Möglichkeiten sind doch beschränkt. Der Beitragssatz darf laut Gesetz nicht über 22 Prozent steigen. Dann bleiben doch nur zwei Möglichkeiten, die Renten zu senken oder die Lebensarbeitszeit zu erhöhen, zum Beispiel auf 67 Jahre oder gar auf 70 Jahre. Sind das für Sie denkbare Möglichkeiten?
Bauer: Denkbare Möglichkeiten sind für uns zunächst einmal das tatsächliche Renteneintrittsalter auf 65 Jahre anzuheben. Heute ist es so, dass ein großer Teil der arbeitsfähigen Menschen mit 50 in das Arbeitslosenleben, in die Erwerbslosigkeit gedrängt oder in den Vorruhestand oder in die Rente gedrängt werden. Wenn man davon abweichen würde, wenn man endlich dazu käme, die Leute bis 65 Jahren arbeiten zu lassen, dann könnte man viele der Probleme, die wir heute haben, beseitigen. Der nächste Punkt, den Sie angesprochen haben: Es ist geradezu aberwitzig anzunehmen, dass eine Regierung im Jahre 2008 oder 2012 sich bereits auf ein Rentenniveau oder auf Beitragshöhen festlegen könnte, wenn wir heute nicht mal in der Lage sind, einen Zeitraum von zwölf Monaten zu überschauen. Diese Gesetze sind reine Augenwischerei, und sie haben dazu gedient, die Abgeordneten, die anderer Meinung sind, zur Stange zu zwingen.
Wiese: Ihre Organisation, der Sozialverband Deutschland, hat ein verfassungsrechtliches Gutachten in Auftrag gegeben mit der Maßgabe einer möglichen Klage vor dem Bundesverfassungsgericht. Können Sie kurz zusammenfassen, worum es Ihnen da eigentlich geht?
Bauer: Wir sind der Meinung, dass viele der beschlossenen Maßnahmen dem Verfassungsrecht nicht standhalten. Deswegen lassen wir zur Zeit prüfen den vollen Krankenversicherungsbeitrag auf Versorgungsbezüge, wir lassen prüfen die vollen Pflegeversicherungsbeiträge und wir lassen prüfen die Streichung von Studienzeiten. Das sind zum Beispiel nur drei Punkte, die in der Vergangenheit auch in verfassungsgerichtlichen Urteilen eine Rolle gespielt haben und die ein Eigentumsrecht darstellen. Wir sind der Meinung, dass die jetzigen beschlossenen Maßnahmen vor dem Verfassungsrecht nicht standhalten werden.
Wiese: Und was dann, wie geht es dann weiter, falls es tatsächlich so kommen sollte?
Bauer: Wenn das Verfassungsgericht die bestehenden Regelungen aufheben würde, müsste der Gesetzgeber zu neuen Maßnahmen kommen. Er muss auch zu neuen Maßnahmen kommen, wenn die von ihm selbst eingeplanten Hürden nicht eingehalten oder erreicht würden. Das zeigt die Fragwürdigkeit dieses gesamten Maßnahmenpaketes, und wir sind der Meinung, dass man nicht erst dann Strukturdiskussionen führt, wenn es zu spät ist. Wir müssen heute grundsätzliche Maßnahmen diskutieren und nicht diese Flickschusterei von heute auf morgen und von morgen auf übermorgen betreiben. Seit Norbert Blüm diskutieren wir immer nur "die Rente ist sicher" und pflegen ständig an irgendwelchen Veränderungen herumzudiskutieren statt ein grundsätzliches Problem anzufassen, nämlich die gesamte Rente auf eine gesunde Basis zu stellen.
Wiese: Sie vertreten ja nun Hunderttausende Rentnerinnen und Rentner und vor einiger Zeit haben Sie eine große Demonstration in Hannover organisiert. Wie ist eigentlich die Stimmung an der Basis, wenn man das so benennen kann?
Bauer: Die Stimmung unter den Mitgliedern ist deswegen wütend, nicht nur weil man derzeit an die Renten geht, für die die Menschen viele Jahre lang einbezahlt haben, sondern auch weil man der jüngeren Generation die Perspektive nimmt. Das ist genau mit dem jetzigen Niveausicherungsgesetz auch so ein Ding. Es trifft diejenigen, die heute 40 Jahre alt sind oder jünger, und das kann nicht Sinn einer Rentengesetzgebung sein, heute Maßnahmen zu treffen aufgrund von Kaffeesatzleserei, die Menschen treffen, die noch 20, 25 oder mehr Jahre arbeiten müssen.
Wiese: Aber was schlagen Sie vor? Was muss getan werden? Irgendetwas muss ja getan werden, sonst werden die Renten nicht finanzierbar sein.
Bauer: Wir schlagen vor, eine Erwerbstätigenversicherung ernsthaft zu diskutieren. Das würde bedeuten, dass man mehr Menschen in die Rentenversicherung bringt, dass man die Beamten, die Politiker, die Selbständigen mit in diese Rentenversicherung hineinbringt. Der entscheidende Faktor heute ist aber, die Arbeitslosigkeit zu beseitigen, mehr zu tun zur Verhinderung, dass Menschen mit 40 oder 45 Jahren aus dem Arbeitsleben rausgedrängt werden. Wenn diese beiden Maßnahmen, Senkung der Arbeitslosigkeit und Erweiterung der Rentenbeitragszahler, durchgezogen würden, dann wäre die Rentenversicherung zu retten.
Wiese: Sie plädieren also für die Bürgerversicherung?
Bauer: Ja, oder eine Erwerbstätigenversicherung, wie man sie auch nennt. Das wäre eine Maßnahme, die ernsthaft diskutiert werden sollte. Wir haben heute das Gefühl, dass CDU und SPD Dinge diskutieren und beschließen, ohne an die grundsätzlichen strukturellen Reformen zu gehen. Diese Diskussion wird geführt, nachdem man Flickschustermaßnahmen beschlossen hat, und das ist der falsche Weg.
Wiese: Frappiert es Sie eigentlich, dass ausgerechnet eine rot-grüne Regierung in der Rentenfrage derartige Einschnitte plant?
Bauer: Ja, das verunsichert auch viele Bürger. Die CDU und die SPD sind im Augenblick auf dem gleichen Weg, nämlich eine dramatische Rentenkürzung hin zu einer Sozialhilfehöhe vorzunehmen, und das kann nicht der Weg eines sozialen Staatswesens sein.
Wiese: Danke für das Gespräch.