Freitag, 19. April 2024

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Sozialwort der Kirchen
"Das Papier ist weichgespült"

Die Kirchenoberen würden den Schulterschluss mit den wirtschaftlichen und politischen Eliten suchen. "Das gegenwärtige Papier ist eine Ohrfeige gegenüber dem gemeinsamen Sozialwort vor 17 Jahren", sagte der Sozialethiker Friedhelm Hengsbach im DLF.

Friedhelm Hengsbach im Gespräch mit Gerd Breker | 28.02.2014
    Gerd Breker: Sie haben sich viel Zeit gelassen, die Kirchen in Deutschland, um zu einem aktualisierten Sozialwort zu kommen. Das letzte gemeinsame Sozialwort stammt aus dem letzten Jahrhundert und ist auf das Jahr 1997 datiert. Heute wurde es vom Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, das neue Sozialwort, und dem Vorsitzenden der EKD vorgestellt. Und am Telefon sind wir nun verbunden mit Friedhelm Hengsbach. Er ist der ehemalige Leiter des Nell-Breuning-Instituts, guten Tag, Herr Hengsbach!
    Friedhelm Hengsbach: Guten Tag, Herr Breker, ich grüße Sie!
    Breker: 17 Jahre haben wir warten müssen, Herr Hengsbach. Hat sich das Warten gelohnt?
    Hengsbach: Gar nicht, denn ich finde, das gegenwärtige Papier ist eine Ohrfeige gegenüber dem gemeinsamen Sozialwort vor 17 Jahren und es ist auch eine Ohrfeige für das, was Papst Franziskus vor zwei Monaten in seinem Schreiben vorgetragen hat. Es ist, wie Frau Petermann sagt, es ist gleichsam der Spiegel der Großen Koalition bei den großen Kirchen. Es sind ja gar nicht mal die Kirchen, die das Papier geschrieben haben, sondern nur die Kirchenleitungen. Und das heißt, die religiösen Eliten oder die kirchlichen Eliten suchen den Schulterschluss mit den wirtschaftlichen und politischen Eliten. Und das ist ihnen wirklich gelungen.
    Breker: Nun soll ja dieses Sozialwort zu einer gesellschaftlichen Diskussion führen. Ist das eine Grundlage für eine ernsthafte Diskussion der sozialen Lage?
    Hengsbach: Ach, diese soziale Initiative hinkt doch der gesellschaftlichen Diskussion schon längst hinterher. Wer würde denn nicht sagen, dass es eine öffentliche Ordnung auch der Finanzmärkte geben muss? Das Ringen der Regierenden für eine Regulation der Banken und der Versicherungskonzerne und der Investmentfonds ist doch längst im Gang. Oder dass Gewinnmaximierung um jeden Preis kein Ziel wirtschaftlichen Handelns sei, wer wird denn das bestreiten? Also, ich weiß gar nicht, wer dieses Rundschreiben oder diese soziale Initiative, diese verbale soziale Initiative noch kritisch bestreiten sollte. Ich denke immer, es ist ein Blick von einem anderen Stern auf die gesellschaftliche Lage, so wie Frau Petermann das eben gesagt hat. Es werden die Sozialreformen gelobt, es wird Rente mit 67 positiv eingeschätzt und man sieht eben, dass das auch negative Folgen hat.
    Breker: Wer hat denn da, Herr Hengsbach, auf der Bremse gestanden? Wenn wir den Papst nehmen, hat man ja fast den Eindruck, das muss die evangelische Kirche gewesen sein?
    Hengsbach: Nein, das war sie nicht. Die deutsche Kirchenleitung, ja, ist doch praktisch, sitzt doch eher in Löchern und wartet, wie die Dinge sich entwickeln. Und im Grunde denkt doch die bürgerliche, vor allen Dingen die bürgerliche Kirchenleitung, bildungsbürgerliche Kirchenleitung gar nicht anders als die Mehrheit der Deutschen. Also: Erwerbsarbeit steht im Zentrum, das Geschlechterverhältnis wird überhaupt nicht diskutiert, die starke Akzentuierung auf die Industriearbeit wird nicht infrage gestellt im Hinblick auf die personalen Dienste, die im Gesundheitsbereich, Bildungsbereich und eben im Pflegebereich dringend also gefördert werden müssten. Die öffentliche Verschuldung wird natürlich thematisiert, aber dass dieser öffentlichen Verschuldung eine ungeheure private Vermögensanhäufung gegenübersteht, ist gar kein Thema. Und wie man an diese Vermögen herankommt, an eine Umverteilung von oben nach unten und nicht von unten nach oben, wie es bisher der Fall war, das ist eben kein Thema.
    Friedhelm Hengsbach
    Friedhelm Hengsbach (privat)
    Breker: Wie erklärt sich das, wie erklären Sie sich das? Hat das damit zu tun, dass die Christen in Deutschland einfach zu satt sind?
    Hengsbach: Also, das Papier spiegelt das Milieu derer, die es geschrieben haben. Und die Kirchenleitung hat entsprechende Leute ausgesucht, die eher isoliert im wissenschaftlichen oder, ich würde mal sagen, auch im politischen Milieu saturiert sind. Und was der Papst getan hat, nämlich die in den Blick zu nehmen, die an der Grenze liegen, die am Rand sind, also die Frauen oder die Ausgeschlossenen oder die prekär Beschäftigten oder die alten Menschen, die praktisch in den Papiercontainern nach Flaschen suchen, die sie dann verkaufen können, die Menschen sind nicht im Blick. Also, das Papier ist weichgespült, würde ich sagen, weichgespült auf der einen Seite, und erhaben-teilnahmslos.
    Breker: Klingt ein wenig so, Herr Hengsbach, als ob Sie sagen, dieses Papier wird keine Diskussion anregen, sondern wird eher eine Diskussion einschläfern!
    Hengsbach: Oder es wird die Diskussionen, die laufen, eben halt mehr oder weniger bestätigen, ohne jetzt positiv einen Standpunkt einzunehmen, der gleichsam von der Grenze her, vom Rand her die gesamte Situation beurteilt. Es fängt ja auch an mit dem Lob der sozialen Marktwirtschaft, die erweitert werden muss. Oder es fängt an mit allgemeinen Überlegungen, wie Moral oder wie ethische Reflexion das wirtschaftliche Geschehen beeinflussen darf. Aber gleichzeitig gibt es keine ethische Reflexion, keine ethische Argumentation in dem Papier. Es werden 15 normative Leitbilder – Freiheit, Gerechtigkeit, Generationengerechtigkeit, Beteiligungsgerechtigkeit, Solidarität, Gemeinwohl – irgendwo eingesprenkelt, und das ist natürlich keine ethische Argumentation.
    Breker: Eine erste Einschätzung des Sozialwortes der Kirchen in Deutschland von Friedhelm Hengsbach war das im Deutschlandfunk. Herr Hengsbach war der ehemalige Leiter des Nell-Breuning-Instituts und wir bedanken uns sehr für dieses Gespräch, Herr Hengsbach!
    Hengsbach: Bitte schön, Herr Breker!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.