Freitag, 19. April 2024

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Soziologe Bude über Bürgerlichkeit
Verständigung und Orientierung sind unabdingbar

Viele Parteien in Deutschland verstünden sich als bürgerlich. Die politische Diskussion, was das eigentlich heiße, führten sie aber nicht, kritisierte der Soziologe Heinz Bude im Dlf. In den klassischen politischen Richtungen müsse wieder über die Bedeutung von Bürgerlichkeit gestritten werden.

Heinz Bude im Gespräch mit Anja Reinhardt | 16.02.2020
Wien,Burgtheatwer, Podimsdiskussion: Europa im Diskurs. Leben wir im Zeitalter des Populismus? Heinz BUDE, Soziologe, Universität Kassel; |
Die Debatte, was bürgerlich ist, wird "zu eng geführt und bildet den Deutungsbedarf in unserer Gesellschaft nicht mehr ab", meint der Soziologe Bude (picture alliance / picturedesk / Robert Newald)
Was meint die AfD, wenn sie sich bürgerlich nennt? Und sind die Grünen auch bürgerlich, oder anders bürgerlich? Der Soziologe Heinz Bude sieht ein großes Diskussionsvakuum bei diesem Begriff, den fast alle Parteien bei ihrer Selbstbeschreibung im Munde führen. Es gebe großen Gesprächsbedarf, aber vor allem Union und Sozialdemokraten seien "nicht mehr in der Lage, in diesem Konflikt zu intervenieren".
Bude wünscht sich deswegen eine Debatte, ruhig auch Streit darüber, was "bürgerlich" heißen soll - sozialdemokratisch am Arbeitnehmer als Maß der Dinge orientiert, konservativ an Tradition und Weitergabe von materiellem Erbe und "tiefsitzenden kulturellen Traditionen", liberal über Selbstveranwortung und ein Interesse an öffentlichen Angelegenheiten oder - wie die AfD es diskutiere - mit der Kernfrage: Welche Gruppe darf die Gesellschaft dominieren und welche nicht?
"Wir brauchen wieder eine Auseinandersetzung"
Auch in einer Gesellschaft, die sich im Sinne der Grünen als progressiv und postmigrantisch verstehe, sei eine Verständigung und Orientierung unabdingbar, etwa über die Interpretation der gemeinsamen Geschichte. "Wir brauchen wieder eine Auseinandersetzung in den klassischen politischen Richtungen" über die Bedeutung von Bürgerlichkeit, meint Bude.
Während die Bedeutung des Bürgerlichen für ihn auszuhandeln bleibt, sieht Bude das Nichtbürgerliche politisch klar umrissen: Nichtbürgerlich sei ein Lebensentwurf, der nichts mit Mäßigung zu tun habe und in unserer Gesellschaft eher etwas zu zerstören als etwas zu bewahren sehe.
Bude sieht übrigens "konservative Tendenzen in allen westlichen Gesellschaften" - dass nämlich gesellschaftlich arrivierte Menschen ihren Status gegenüber Nachdrängenden zu stabilisieren suchten.