Stefan Heinlein: So weit dieser Bericht von Bettina Marx. Und am Telefon in der israelischen Hafenstadt Haifa begrüße ich jetzt Natan Sznaider, er ist Soziologie-Professor in Tel Aviv. Guten Morgen, Herr Sznaider!
Natan Sznaider: Guten Morgen!
Heinlein: Schreiende Kinder, klagende Mütter und Väter, bewegende Szenen, wir haben es gerade gehört, aus dem Gaza-Streifen. Wie wirken diese Bilder auf die israelische Öffentlichkeit?
Sznaider: Schwer zu sagen. Ich meine es gibt... es ist klar, dass gegen die Gewalt der Armee, die diese Leute aus ihren Häusern holt, die Siedler jetzt nichts anderes mehr bringen können als die symbolische Gewalt, die sie, die sie gegen die, gegen die Armee anwenden und versuchen auch in dem Sinne irgendwie das narrativ im Fernsehen zu bestimmen. Die Leute schauen, schauen sich das an. Eigentlich gibt es Live-Übertragungen der, der, der Evakuierung jetzt schon seit einigen Tagen, fast schon 24 Stunden. Aber es setzt so ein Prozess, glaube ich, der Müdigkeit ein. Die Leute sind zwar mitleidig gegenüber den Siedlern aber nur bis zu einem gewissen Punkt. Ich glaube man kann also auch, diese ganze Symbolik, die Benutzung der Kinder mit den erhobenen Armen, die sie in ihrem Bericht erwähnt haben, also viele, glaube ich, Beobachter, die sich sogar mit den Siedlern im gewissen Sinne identifizieren können, sind so ein bisschen die Grenzen des guten Geschmacks erreicht worden.
Heinlein: Die Grenzen des guten Geschmacks sind erreicht, sagen Sie, eine gewisse Müdigkeit in der Bevölkerung. Gibt es denn eine Art Sympathie? Gibt es Verständnis überhaupt für das Verhalten dieser radikalen Abzugsgegner?
Sznaider: Es gibt Verständnis auf jeden Fall! Ich meine, diese Siedler haben in den letzten 30 Jahren hier in Israel praktisch eine wahnsinnig große Legitimation genossen. Sie waren die Pioniere. Sie waren die, die an den Frontlinien gegen den Palästinensern praktisch mit ihren ... in ihren Häusern gestanden haben. Kein Mensch mag es sehen, wenn Leute zu Flüchtlingen gemacht werden, wenn Siedlungen geräumt werden. Es geht irgendwie auch so an wirklich ans Eingemachte des zionistischen Projekts, das ja in dem Sinne auch wirklich ein Siedlungsprojekt ist. Man, man identifiziert sich gefühlsmäßig mit den Leuten, aber man hat auch ganz klar eingesehen, dass die Räumung des Gazastreifens genau das Richtige ist. Man identifiziert sich auch mit, ganz klar mit dem was Scharon jetzt vor zwei Tagen sehr ruhig im Fernsehen gesagt hat, dass man, um auch... dass es im Interesse des jüdischen Staates ist, diese Siedlungen zu räumen. Die meisten Leute wissen das. Und ich habe das Gefühl, dass in ein paar Tagen, wenn diese Sache vorbei ist, in einem Monat, wird diese traumatische Räumung, wie sie heute noch gesehen wird, vergessen sein. Und es wird als ein politischer Reifungsprozess gesehen, und ein wichtiger Schritt in die, in die Zukunft für die Friedensverhandlungen auch mit den Palästinensern, wenn man so mittendrin ist wie jetzt und eigentlich nichts anderes mehr sieht, als diese weinenden und, und verzweifelten Menschen, die von grausamen Soldaten aus ihren Häusern gezerrt werden, dann hat es natürlich diesen Wahnsinns-traumatischen Effekt, aber ich glaube, dass das ja kurzfristig sein wird und die langfristigen politischen Konsequenzen dann doch einsickern werden.
Heinlein: Wird es tatsächlich, Herr Professor Sznaider, so schnell gehen? Ein Monat, dann ist dieses Trauma bewältigt? Gibt es nicht einen hohen innenpolitischen Preis, den Scharon für dieses Ende des zionistischen Projektes, für die Durchsetzung des Räumungsbefehles, wird zahlen müssen?
Sznaider: Ich glaube nicht, ich glaube nicht! Ich glaube die Mehrheit der Bevölkerung steht dahinter, also steht wirklich dahinter, und sieht ein, dass diese... dass Gaza irgendwie geräumt werden muss. Es ist ja auch kein Zufall, dass das gerade mit der Räumung des Gazastreifens begonnen wird. Ich meine, der Großteil der israelischen Bevölkerung ist für diese Räumung. Und ich glaube, dass dieser Versuch der Siedler auch, ich meine, dass ist ja ganz klar auch eine ganz geplante und auch verursachte... also intendierter Versuch, diese Räumung so traumatisch wie möglich zu machen. Dass der wie ein Bumerang auch zurückschlägt, die Sympathien der beobachteten Menschen wäre viel stärker glaube ich, wenn sie sich ruhig und trauernd zurückgezogen hätten. Diese ständige Nutzung auch von Symbolen der Shoah und des Holocaust, ist für viele Leute hier einfach nicht tragbar auch. Deswegen glaube ich auch, dass hier der langfristige politische Effekt viel stärker sein wird, als diese kurzfristigen traumatischen Bildern, die wir jetzt hier im Fernsehen die ganze Zeit sehen. Das geht schnell vorbei.
Heinlein: Wie werden die national-religiösen, die radikalen Siedler mit ihrem religiösen Fundamentalismus reagieren? Befürchten Sie eine weitere Radikalisierung? Ariel Sharon hat nach dem Attentat, nach dem Attentat, nach dem Anschlag gestern ja selbst von jüdischem Terror gesprochen. Glauben Sie an eine Ausweitung dieser Aktionen?
Sznaider: Das kann durchaus passieren. Und da müssen die israelischen Sicherheitskräfte sehr, sehr hart daran arbeiten, das in irgendeiner Form, einzuschränken. Ich glaube, dass ist, dass dürfte vielleicht eine der Konsequenzen dieser Aktion sein, weil das... die politische Konsequenz ist, dass das national-religiöse Lager sich selbst spaltet in zwei. Und zwar diejenigen, die immer noch an die Souveränität des Staates Israel glauben, was auch die Mehrheit innerhalb des national-religiösen Lagers ist und ein sehr, sehr radikaler Kern, der verstanden hat, dass er von einem Großteil der Bevölkerung, und vom Staat selbst eigentlich als solcher, als eben extremer marginaler Kern, betrachtet wird. Und da wird es Leute geben, die also auch ganz klar gewaltbereit sind und man sich auch noch auf wahrscheinlich weitere solcher terroristischen Anschläge von jüdischen Terroristen einstellen muss, die in der nächsten Zeit passieren können. Das ist klar.
Heinlein: Herr Professor Sznaider, der ehemalige Ministerpräsident Yitzhak Rabin wurde von radikalen Siedlern ermordet. Wie groß ist die Gefahr für Ariel Scharon selbst?
Sznaider: Sagen wir mal so, wenn er unbewacht irgendwie durch die Straßen gehen würde, wäre es bestimmt möglich, dass jemand einen Anschlag auf ihn verüben würde. Er wird im Moment sehr, sehr gut bewacht und man kann nur hoffen, dass man nicht an ihn rankommt. Also, auf jeden Fall, gibt es, so wie Leute bereit waren Rabin zu ermorden, gibt es im Moment auch Leute die bereit sind Scharon umzubringen, das ist klar.
Heinlein: Der israelische Soziologie-Professor Natan Sznaider heute Morgen hier im Deutschlandfunk. Ich danke für das Gespräch und auf Wiederhören nach Haifa!
Sznaider: Dankeschön! Ja, auf Wiederhören!
Natan Sznaider: Guten Morgen!
Heinlein: Schreiende Kinder, klagende Mütter und Väter, bewegende Szenen, wir haben es gerade gehört, aus dem Gaza-Streifen. Wie wirken diese Bilder auf die israelische Öffentlichkeit?
Sznaider: Schwer zu sagen. Ich meine es gibt... es ist klar, dass gegen die Gewalt der Armee, die diese Leute aus ihren Häusern holt, die Siedler jetzt nichts anderes mehr bringen können als die symbolische Gewalt, die sie, die sie gegen die, gegen die Armee anwenden und versuchen auch in dem Sinne irgendwie das narrativ im Fernsehen zu bestimmen. Die Leute schauen, schauen sich das an. Eigentlich gibt es Live-Übertragungen der, der, der Evakuierung jetzt schon seit einigen Tagen, fast schon 24 Stunden. Aber es setzt so ein Prozess, glaube ich, der Müdigkeit ein. Die Leute sind zwar mitleidig gegenüber den Siedlern aber nur bis zu einem gewissen Punkt. Ich glaube man kann also auch, diese ganze Symbolik, die Benutzung der Kinder mit den erhobenen Armen, die sie in ihrem Bericht erwähnt haben, also viele, glaube ich, Beobachter, die sich sogar mit den Siedlern im gewissen Sinne identifizieren können, sind so ein bisschen die Grenzen des guten Geschmacks erreicht worden.
Heinlein: Die Grenzen des guten Geschmacks sind erreicht, sagen Sie, eine gewisse Müdigkeit in der Bevölkerung. Gibt es denn eine Art Sympathie? Gibt es Verständnis überhaupt für das Verhalten dieser radikalen Abzugsgegner?
Sznaider: Es gibt Verständnis auf jeden Fall! Ich meine, diese Siedler haben in den letzten 30 Jahren hier in Israel praktisch eine wahnsinnig große Legitimation genossen. Sie waren die Pioniere. Sie waren die, die an den Frontlinien gegen den Palästinensern praktisch mit ihren ... in ihren Häusern gestanden haben. Kein Mensch mag es sehen, wenn Leute zu Flüchtlingen gemacht werden, wenn Siedlungen geräumt werden. Es geht irgendwie auch so an wirklich ans Eingemachte des zionistischen Projekts, das ja in dem Sinne auch wirklich ein Siedlungsprojekt ist. Man, man identifiziert sich gefühlsmäßig mit den Leuten, aber man hat auch ganz klar eingesehen, dass die Räumung des Gazastreifens genau das Richtige ist. Man identifiziert sich auch mit, ganz klar mit dem was Scharon jetzt vor zwei Tagen sehr ruhig im Fernsehen gesagt hat, dass man, um auch... dass es im Interesse des jüdischen Staates ist, diese Siedlungen zu räumen. Die meisten Leute wissen das. Und ich habe das Gefühl, dass in ein paar Tagen, wenn diese Sache vorbei ist, in einem Monat, wird diese traumatische Räumung, wie sie heute noch gesehen wird, vergessen sein. Und es wird als ein politischer Reifungsprozess gesehen, und ein wichtiger Schritt in die, in die Zukunft für die Friedensverhandlungen auch mit den Palästinensern, wenn man so mittendrin ist wie jetzt und eigentlich nichts anderes mehr sieht, als diese weinenden und, und verzweifelten Menschen, die von grausamen Soldaten aus ihren Häusern gezerrt werden, dann hat es natürlich diesen Wahnsinns-traumatischen Effekt, aber ich glaube, dass das ja kurzfristig sein wird und die langfristigen politischen Konsequenzen dann doch einsickern werden.
Heinlein: Wird es tatsächlich, Herr Professor Sznaider, so schnell gehen? Ein Monat, dann ist dieses Trauma bewältigt? Gibt es nicht einen hohen innenpolitischen Preis, den Scharon für dieses Ende des zionistischen Projektes, für die Durchsetzung des Räumungsbefehles, wird zahlen müssen?
Sznaider: Ich glaube nicht, ich glaube nicht! Ich glaube die Mehrheit der Bevölkerung steht dahinter, also steht wirklich dahinter, und sieht ein, dass diese... dass Gaza irgendwie geräumt werden muss. Es ist ja auch kein Zufall, dass das gerade mit der Räumung des Gazastreifens begonnen wird. Ich meine, der Großteil der israelischen Bevölkerung ist für diese Räumung. Und ich glaube, dass dieser Versuch der Siedler auch, ich meine, dass ist ja ganz klar auch eine ganz geplante und auch verursachte... also intendierter Versuch, diese Räumung so traumatisch wie möglich zu machen. Dass der wie ein Bumerang auch zurückschlägt, die Sympathien der beobachteten Menschen wäre viel stärker glaube ich, wenn sie sich ruhig und trauernd zurückgezogen hätten. Diese ständige Nutzung auch von Symbolen der Shoah und des Holocaust, ist für viele Leute hier einfach nicht tragbar auch. Deswegen glaube ich auch, dass hier der langfristige politische Effekt viel stärker sein wird, als diese kurzfristigen traumatischen Bildern, die wir jetzt hier im Fernsehen die ganze Zeit sehen. Das geht schnell vorbei.
Heinlein: Wie werden die national-religiösen, die radikalen Siedler mit ihrem religiösen Fundamentalismus reagieren? Befürchten Sie eine weitere Radikalisierung? Ariel Sharon hat nach dem Attentat, nach dem Attentat, nach dem Anschlag gestern ja selbst von jüdischem Terror gesprochen. Glauben Sie an eine Ausweitung dieser Aktionen?
Sznaider: Das kann durchaus passieren. Und da müssen die israelischen Sicherheitskräfte sehr, sehr hart daran arbeiten, das in irgendeiner Form, einzuschränken. Ich glaube, dass ist, dass dürfte vielleicht eine der Konsequenzen dieser Aktion sein, weil das... die politische Konsequenz ist, dass das national-religiöse Lager sich selbst spaltet in zwei. Und zwar diejenigen, die immer noch an die Souveränität des Staates Israel glauben, was auch die Mehrheit innerhalb des national-religiösen Lagers ist und ein sehr, sehr radikaler Kern, der verstanden hat, dass er von einem Großteil der Bevölkerung, und vom Staat selbst eigentlich als solcher, als eben extremer marginaler Kern, betrachtet wird. Und da wird es Leute geben, die also auch ganz klar gewaltbereit sind und man sich auch noch auf wahrscheinlich weitere solcher terroristischen Anschläge von jüdischen Terroristen einstellen muss, die in der nächsten Zeit passieren können. Das ist klar.
Heinlein: Herr Professor Sznaider, der ehemalige Ministerpräsident Yitzhak Rabin wurde von radikalen Siedlern ermordet. Wie groß ist die Gefahr für Ariel Scharon selbst?
Sznaider: Sagen wir mal so, wenn er unbewacht irgendwie durch die Straßen gehen würde, wäre es bestimmt möglich, dass jemand einen Anschlag auf ihn verüben würde. Er wird im Moment sehr, sehr gut bewacht und man kann nur hoffen, dass man nicht an ihn rankommt. Also, auf jeden Fall, gibt es, so wie Leute bereit waren Rabin zu ermorden, gibt es im Moment auch Leute die bereit sind Scharon umzubringen, das ist klar.
Heinlein: Der israelische Soziologie-Professor Natan Sznaider heute Morgen hier im Deutschlandfunk. Ich danke für das Gespräch und auf Wiederhören nach Haifa!
Sznaider: Dankeschön! Ja, auf Wiederhören!