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Soziologe Nassehi über AfD-Ausschluss
"Es darf keine Unberührbaren geben"

AfD-Politiker sind beim 100. Katholikentag in Leipzig unerwünscht. Sie wurden ausdrücklich nicht eingeladen. Der Münchner Soziologe Armin Nassehi sieht das kritisch. Auch "Leute, die auch solche Positionen vertreten, sollte man hören und vielleicht argumentativ so weit bringen, dass sie von ihren Sätzen abrücken können", sagte Nassehi im DLF. Man brauche die Stärke des Argumentierens.

Armin Nassehi im Gespräch mit Monika Dittrich |
    Soziologe Armin Nassehi.
    "Die bunten Bilder, das Rituelle, das ästhetisch Schöne" - die Welt ist katholischer geworden. Eine These des Soziologen Armin Nassehi (imago / Horst Galuschka)
    Monika Dittrich: Herr Nassehi, wie frei sind Katholiken in ihrem Denken, wenn sie es mit der Religion ernst nehmen?
    Armin Nassehi: Wenn sie es mit der Religion ernst nehmen, sind sie sicherlich sehr frei, wenn sie es mit der Kirche wirklich ernst nehmen, sind sie es vermutlich nicht so sehr. Und darin bildet sich vielleicht schon die ganze Ambivalenz der katholischen Kirche ab, die natürlich zentralisiert so etwas wie ein Lehramt vorgeben möchte und damit auch vorgeben möchte, was gedacht, zumindest was offiziell gedacht werden kann. Gleichzeitig weiß sie natürlich auch, dass sie den Zugriff auf das Denken ihrer Kirchenmitglieder längst verloren hat und andere Formen der Überzeugung finden muss. Zum Katholischen gehört ja ... wenn man etwa an die Zeit der Französischen Revolution, an so Figuren wie Joseph de Maistre denkt, einer der Begründer sozialwissenschaftlichen Denkens, wo gesagt wird, in der ganzen Demokratie und Aufklärung, da tut man nur so als könne man frei denken, man braucht Autoritäten, die einem das vorführen - das passt natürlich nicht mehr in eine moderne Welt und daran passt sich auch die katholische Kirche an.
    Dittrich: Und heute, wenn wir uns die großen weltpolitischen und gesellschaftlichen Debatten anschauen, was tragen Katholiken beziehungsweise was trägt die katholische Kirche dazu bei?
    Nassehi: Es ist ja sehr interessant, wenn wir auf die deutschen Debatten gucken, dass wir gar keinen so großen Unterschied zwischen protestantischen und katholischen Positionen - etwa wenn es um biomedizinische Fragen, wenn es um Reaktionen auf Rechtsradikalismus und Ähnliches geht - beobachten können. Wenn Sie Veranstaltungen sehen, in denen Bedford-Strohm und Kardinal Marx zusammensitzen, dann sind die beiden sich natürlich sehr einig, auch deshalb, weil religiöse und kirchliche Sprecher nicht mehr die Autorität haben, die sie einmal hatten, das heißt diese Differenz des Katholischen und Protestantischen, die findet man womöglich mehr in den Subtexten als in den konkreten Aussagen.
    "Kirchentage sind große Märkte"
    Dittrich: Aber man könnte ja auch die Meinung vertreten, dass es gar nicht die Aufgabe der Kirche ist, sich in politische Debatten wie Klimawandel, Dieselskandal oder Finanzkrise einzumischen.
    Nassehi: Das Interessante, was wir Soziologen die Ausdifferenzierung des Religiösen nennen, - das heißt, dass das Religiöse sich hauptsächlich mit dem Religiösen beschäftigt und ein eigenlogischer Bereich ist - hat ja auch zur Folge, dass man sich aus dieser eigenlogischen Perspektive mit allem beschäftigen kann, zum Religiösen gehört es ja tatsächlich, so etwas wie die Gesamtheit der Welt beschreiben zu können und da tauchen dann auch die Grundfragen auf, die öffentlich diskutiert werden. Anders können sie übrigens die Menschen gar nicht erreichen, wenn sie an Kirchentage denken, dann sind das eigentlich große Märkte, auf denen jedes Thema, das in der Gesellschaft diskutiert wird, vorkommen kann und auch vorkommen muss, gebrochen durch religiöse oder kirchliche Perspektiven - bisweilen auch gar nicht gebrochen dadurch - aber womöglich ist das der einzige Weg, die Menschen durch Kirchlichkeit zu erreichen.
    Dittrich: Das Stichwort Kirchentag haben sie jetzt gesagt, morgen beginnt in Leipzig der 100. Katholikentag, in einer Stadt, in der nur 4,3 Prozent Katholiken leben. Welche Botschaft könnte oder sollte von so einem Treffen ausgehen?
    Nassehi: Ich weiß nicht, ob der Genius loci da tatsächlich so eine riesengroße Rolle spielt, aber die Botschaft, die davon ausgehen wird, ist ganz klar: Dass die Kirche - und ich glaube, dass viele Beobachter von außen gar nicht so richtig wahrnehmen können, ob es sich nun protestantische oder katholische Formen handelt - dass die Kirche und die Kirchen durchaus in der Lage sind, wichtige sowohl moralische als auch andere Sätze über das zu sagen, was in der Welt tatsächlich stattfindet. Ich glaube, dass es sich um so etwas wie Transmissionsveranstaltungen handelt, also nicht Missionsveranstaltungen, sondern Transmissionsveranstaltungen, in denen man gewissermaßen indirekt auch kirchliche und religiöse Sprecher in der öffentlichen Debatte situieren kann. Viele der Debatten, die dort stattfinden, könnten auch auf politischen Veranstaltungen, Kulturveranstaltungen, künstlerischen Veranstaltungen stattfinden.
    "Wir brauchen die Stärke des Argumentierens"
    Dittrich: Sie haben es gesagt: "politische Veranstaltungen". Die rechtspopulistische AFD ist nun ausdrücklich nicht eingeladen worden. Wie finden Sie das?
    Nassehi: Das ist durchaus ambivalent. Ich meine, im ersten Moment wird man sagen, naja, man muss denen nicht noch eine Bühne bieten, wobei das vielleicht naiv ist, weil Bühnen bieten sich im Moment für Rechtspopulisten genug. Wenn man so spricht, spricht man als politischer Akteur und ich fände es viel interessanter, Foren zu finden, in denen man sich wirklich ernsthaft mit diesen populistischen Positionen auseinandersetzen kann. Das kann man machen, wenn man will, man braucht dazu eine gewisse Kompetenz. Vielleicht ist es auch manchmal ein bisschen Sorge, den allzu einfachen Sätzen auf den Leim zu gehen. Ich finde es viel spannender, das anders zu machen.
    Dittrich: Das heißt dort ist die Kompetenz nicht vorhanden?
    Nassehi: Das kann ich empirisch nicht beurteilen, aber es scheint ja doch zumindest Sorge zu geben, dass rechtspopulistische Akteure, wenn sie dort auftreten, womöglich als "Gewinner" hervorgehen. Aus religiöser Perspektive würde man sagen, es kann keine Unberührbaren geben. Das heißt, Leute, die auch solche Positionen vertreten, die sollte man hören und vielleicht argumentativ so weit bringen, dass sie von ihren Sätzen abrücken können oder dass zumindest ein Publikum sehen kann, was am Ende von solchen Sätzen übrig bleibt. Religiös würde man das vielleicht als eine Form von Barmherzigkeit beschreiben, intellektuell würde ich sagen, man braucht die Stärke des Argumentierens.
    Dittrich: Vor einigen Jahren haben Sie einmal gesagt, die Welt sei katholischer geworden. Würden Sie das heute auch noch sagen?
    Nassehi: Ich hab das bezogen auf die Erfahrung, dass wir heute vielmehr auf Rituelles anstatt auf Kognitives geeicht sind, eine sehr bildhafte Kultur geworden sind, und meine These bestand eigentlich darin, dass diese kulturprotestantische Idee des sich selbst zurücknehmenden, argumentierenden Bürgers mit rationalen Gründen für viele womöglich nicht so interessant ist wie die Bilder, die bunten Bilder, das Rituelle, das ästhetisch Schöne, was das Katholische auch einem nichtkatholischem Publikum entsprechend anbieten kann, insofern ist die Welt katholischer geworden, ob die Religiosität katholischer geworden ist, darüber müsste man noch diskutieren.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.