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Später Antrittsbesuch

Fast acht Monate hat sich der britische Premierminister Gordon Brown Zeit gelassen für seinen Antrittsbesuch bei der Europäischen Kommission. Kein böser Wille, betont sein Sprecher, Brown setze auf Europa. Aber es ist offensichtlich, dass der britische Regierungschef Treffen mit EU-Vertretern, wo es nur geht, vermeidet. Martin Zagatta berichtet.

    "Die Veränderungen, die der Lissabon-Vertrag mit sich bringt, sind ja nicht so grundlegend, wie manche das behauptet haben. Und ein Referendum gibt es doch nur, wenn es um eine grundsätzliche Frage von Verfassungsbedeutung geht."

    Der neue EU-Vertrag also nicht viel mehr als eine Lappalie. Dem Kommissionspräsidenten Barroso kann Gordon Brown heute berichten, dass er mit dieser Argumentation wahrscheinlich durchkommt. Die Mehrheit im Londoner Parlament scheint gesichert, obwohl sich laut Umfragen drei von vier Briten ein Referendum wünschen.

    Dagegen jedoch wehrt sich Brown, obwohl er als weit EU-kritischer gilt als sein Vorgänger Tony Blair. In Großbritannien den Euro einzuführen, steht für ihn nicht zur Debatte. Dass der Brite in Brüssel jetzt aber seine Forderung untermauert, die Subventionen für die Landwirtschaft drastisch zu kürzen, ist heute nicht unbedingt zu erwarten. Schließlich ist Brown selbst in Erklärungsnot. Denn ausgerechnet das Land, das sonst so sehr für mehr Marktwirtschaft und einen freien Wettbewerb eintritt, hat sich gerade für die Verstaatlichung der Hypothekenbank Northern Rock entschieden - eine höchst umstrittene Politik, die der Premierminister nun auch noch mit Seitenhieben auf die europäischen Nachbarn rechtfertigt.

    "Wir mussten einschreiten, um finanzielle Stabilität zu gewährleisten, in einer Situation, in der Banken in Deutschland wie auch in den USA in Schwierigkeiten gekommen waren. Und ich glaube, dass wir darauf besser vorbereitet waren als andere Länder. Der Beleg für wirtschaftliche Kompetenz ist doch, dass die Beschäftigung in unserem Land noch zunimmt, während die Arbeitslosigkeit in Deutschland und Frankreich doppelt so hoch ist und nun auch in Amerika wieder ansteigt."

    Ob die von Aktionären der Northern Rock als Enteignung kritisierte Verstaatlichung des Kreditinstituts mit den EU-Vorgaben vereinbar ist, damit muss sich nun die Wettbewerbskommissarin Neelie Kroes befassen. Mit ihr will sich Brown heute ebenfalls treffen. Nennenswerter Widerstand aus Brüssel wird allerdings nicht erwartet, zumindest vorerst nicht. Die EU-Kommission scheint derzeit bemüht, jede Konfrontation mit Großbritannien zu vermeiden. Die Durchsetzung der angekündigten Pläne für einen EU-weiten Gesundheitsdienst etwa, der der Londoner Regierung gegen den Strich geht, weil sich dann wohl noch mehr Briten lieber im Ausland behandeln ließen als in ihrem berüchtigten Gesundheitssystem.

    Besonders heikle Vorhaben werden offenbar auf die lange Bank geschoben, so jedenfalls der Eindruck in London, um vor der Entscheidung über den Lissabonner Vertrag den Europaskeptikern auf der Insel nur keinen Auftrieb zu geben.