Es war eine hitzige Debatte. Abgeordnete der Opposition warfen der Volkspartei vor, ein sogenanntes Schlussstrichgesetz für die Verfolgung schwerer Verbrechen gegen die Menschlichkeit vorgelegt zu haben. José Miguel Castillo von den Konservativen rechtfertigte hingegen die beabsichtigten Einschnitte im Weltrechtsprinzip in einer langen Rede:
"Auch wenn Spanien die Avantgarde bei der Anwendung des Weltrechtsprinzips ist, sind die Ergebnisse doch ernüchternd. Ein Verfahren zur Ermittlung anzunehmen heißt nicht, dass es auch ein Urteil gibt. Wenn wir unser Strafrecht nicht effizient gestalten, enttäuschen wir die Hoffnungen all jener, die sich an unsere Gerichte wenden. Wir würden der Justiz damit keinen Gefallen tun, auch dem Weltrechtsprinzip nicht."
Spaniens Gerichte nehmen Fälle wie Folter, Völkermord, Kriegsverbrechen auch dann an, wenn die Taten im Ausland verübt worden sind, die Täter keine Spanier sind und im Ausland leben. Vorreiter war bei der Anwendung des Weltrechtsprinzip Ermittlungsrichter Baltasar Garzón. Opfer lateinamerikanischer Diktaturen wandten sich an ihn, weil in den betroffenen Staaten sogenannte Schlussstrichgesetze den Tätern Straffreiheit gewährten. Garzón begann zu ermitteln, erließ 1998 sogar einen Haftbefehl gegen Augusto Pinochet und setzte damit neue Maßstäbe im internationalen Recht. Heute verteidigt er das Weltrechtsprinzip gegen seine Kritiker:
"Alleine, die Opfer anzuhören, die Verbrechen zu untersuchen, ist für sie eine Form der Wiedergutmachung. Zu behaupten, nur weil wir hier in Spanien wenige Urteile haben, sei das Weltrechtsprinzip sinnlos, ist ein großer Fehler. Das Weltrechtsprinzip ist eine offene Tür für die Opfer, die ja oft zu Verfahren in den Heimatländern führt. Das ist ja im Fall Argentiniens und Chile passiert. Dort sind nach unseren Ermittlungen die Schlussstrichgesetze gefallen. Unsere Ermittlungen wurden weitergeführt. Das Weltrechtsprinzip ist eine Gewähr gegen Straflosigkeit.
Viele vermuten eine Geste an China
Die in Spanien jetzt aber fallen soll. Dem Reformentwurf der Konservativen zufolge soll das Weltrechtsprinzip nur noch dann angewendet werden, wenn die Täter Spanier sind oder in Spanien leben. Damit müssten die Gerichte die meisten Fälle künftig abweisen - und der spanischen Regierung blieben große Unannehmlichkeiten erspart. So ermittelt der nationale Gerichtshof derzeit wegen Menschenrechtsverletzungen in Tibet. Erst im November hat das Gericht fünf internationale Haftbefehle gegen ranghohe chinesische Politiker, darunter Ex-Staatschef Jiang Zemin ausgesprochen. China hat daraufhin Spaniens Botschafter ins Außenministerium einbestellt. Die jetzt im Eilverfahren vorgelegte Reform halten viele für eine beschwichtigende Geste in Richtung Peking, schließlich will die Volkspartei auch die derzeit laufenden, zwölf richterlichen Ermittlungen beenden.
Esteban Beltrán von Amnesty International sieht darin einen Verfassungsbruch. "Wenn das Parlament diese ganzen offenen Fälle schließt, übertritt es seine Kompetenzen. Ein Parlament kann nicht in ein laufendes Verfahren eingreifen. Spanien würde mit dieser Reform aber auch seine internationalen Verpflichtungen verletzten. Darüber gibt es Grundsatzurteile des Internationalen Gerichtshofs. Ein Staat, der auf seine Verpflichtung, Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu verfolgen, verzichtet, handelt illegal. Spanien könnte beim Internationalen Gerichtshof angezeigt werden."
Angehörige von Spaniern, die während der Diktaturen in Chile, El Salvador oder Guatemala umgekommen sind, spanische KZ-Insassen, die darauf warten, dass die USA mutmaßliche ehemalige Wärter an Spanien ausliefern oder eben ein spanischer tibetanischer Mönch würden vergeblich auf Aufklärung hoffen. Kritiker meinen, mit dem Weltrechtsprinzip ersetzten nationale Gerichte den Internationalen Strafgerichtshof. Doch dessen Zuständigkeiten sind begrenzt, gibt Jurist Baltasar Garzón zu Bedenken - und Esteban Beltrán von Amnesty International erinnert eindringlich an die Gründe, die zum Weltrechtsprinzip geführt haben:
"Das Weltrechtsprinzip ist eine Folge des Holocausts. Dort wurden so grausame, nicht zu erklärende Verbrechen begangen, dass man meinte, das sind Verbrechen gegen uns alle, gegen die Menschheit. Darum verjähren diese Verbrechen nicht. Die Täter müssen aufgespürt werden. Das jetzt aufzuweichen, heißt, mit dem Konsens von damals zu brechen. Die erste Konvention über das Weltrechtsprinzip ist von 1948, als Ergebnis des Horrors des Holocausts. Darum geht es hier."
